Liebe Leserinnen und Leser,

vielleicht wiederhole ich mich – dann bitte ich um Verzeihung – aber das Bauen im Bestand klingt eindeutig nach Bauen mit Verstand. Bauen im Bestand ist theoretisch State of the art of Building. Praktisch allerdings ist diese Bau- und Planungsaufgabe mit allen Vorurteilen behaftet, die denkbar sind; bis hin zur Entmündigung des Genialischen der Architektinnenschaft, einzelner jedenfalls.

Bauen im Bestand sei Hochrisiko für Bauherren, institutionelle oder Großinvestoren. Die Geschichte der „bösen Überraschungen“, die ein Bestand immer und meist in heimtückischer Weise bereithält, ist eine vielfach erzählte. Und wer keine spannende kennt, erfindet einfach eine. Angler- bzw. Architektinnenlatein. Dabei gibt es – über alles politisch Korrekte hinaus – mittlerweile mehr geglückte Bauen-im-Bestand-Projekte als geglückte Neubauten. Dass Skandalsanierungen von Kulturbauten in München oder Opernhäusern in Köln oder Bonn das Bauen im Bestand zu diskretieren in der Lage sind, wird von Skeptikern dieser Bauaufgabe ohne längeres Weiterdenken genutzt: Seht her, geht nicht! Ginge doch, wenn Bauherren und Planer anders zusammenarbeiten würden, der Bauherr weniger Glanz, eher Bestand und Funktion verlangte und Gutachter und Planerinnen vom Mindesten ausgingen. Was hier gespart werden könnte, käme dann dem besten Programm zugute!

Deutschland sei gebaut – das mag stimmen oder nicht, es deutet aber auf eine Veränderung in der generellen Bauaufgabe hin. Das scheint so langsam auch in den Hochschulen angekommen zu sein; in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“ dagegen noch längst nicht, hier herrscht noch der alte Glanz, der ganze Stolz auf das geleckt Neuartige (KI sei Dank ein sich verstärkender Trend). Dass das Neuartige auch von Geschichte trennt, dass Geschichte nicht Stillstand ist, sondern Herkunft, das beweisen die vier in dieses Heft gewählten Projekte in hervorragender Weise.

Mit Christian Hellmund, Partner bei gmp, und Stephan Schütz, Executive Partner bei gmp, beide Berlin, haben wir Umnutzungen, Transformationen, Fortschreibungen, Ergänzungen, Ertüchtigungen etc. in Museums- und Gewerbebauten identifiziert und hier ausführlich dokumentiert. Sie zeigen – trotz unterschiedlicher Materialitäten, Zuständen und Maßstäbe – , dass das Bauen im Bestand die neue Ästhetik des zukünftigen Bauens ist. Womit wir zumindest die zwangsweise Entmündigung der Genialen unter uns entkräftet hätten. Bauen im Bestand ist anspruchsvoll und fordert den Respekt vor der Leistung unserer Vorgänger. Neubau als zukünftigen Bestand zu definieren, bringt uns nicht weiter, es sei denn, wir haben das Neue aus dem Alten gewonnen: Kreislaufwirtschaft!

Wir glauben, dass mit der neuen Generation von Inge­nieurinnen und Gestaltern Neues kommt (Bauen mit Herz und Verstand). Das macht Mut. Und weil es heftthematisch passt, wünsche ich Ihnen: Bleiben Sie beständig beweglich!

Mit herzlichem Gruß,

Ihr

Benedikt Kraft

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