Kölner Leuchtturm wirkt. Eine Kooperation

Die Städte sind – neben leeren Kassen – mit zahlreichen Problemstellungen konfrontiert. Zuerst sicher mit der Wohnungsnot, aber auch Luftverschmutzung, Lärm und zunehmende Hitze erzeugen Leidensdruck. Wie man hier reagieren kann, zeigt ein wissenschaftlich begleitetes Projekt eines Fassadenherstellers sehr eindrücklich.

... Henning Kühn und Jan Serode, vor der Anti-NOx-Fassade in Köln
Foto: Benedikt Kraft
... Henning Kühn und Jan Serode, vor der Anti-NOx-Fassade in Köln
Foto: Benedikt Kraft

Wir sitzen in Köln, in der VHS am Neumarkt, einem Gebäude aus den 1960er-Jahren mit zahlreichen Bearbeitungszeitschnitten. Die vor dem Haus vorbeilaufende Caecilienstraße ist vierspurig ausgebaut, was für die Platzierung einer Stickoxid-reduzierenden Fassade von Vorteil ist. „Anti-NOx-Fassade“ nennen Sie die beiden Elemente auf der Fassade zur Straße. Können Sie einmal kurz schildern, was Anti-NOx ist, was es kann?

Henning Kühn (HK): Die Anti-NOx-Fassade beschreibt einmal grundsätzlich die Ursprungsidee – mit der wir schon seit ein paar Jahren an diesem Projekt arbeiten –, wie jegliche Gebäudehüllen einen Mehrwert leisten können im Kontext von Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz. Auf Basis dieses Gedankens sind wir schnell zur Textilfassadenlösung gekommen, die von uns schon für den Markt erhältlich ist.

Jan Serode (JS): Das Besondere an diesem Fassadentyp ist, dass er – dank der photokatalytischen Beschichtung – das Potenzial besitzt, die Außenluft von Stickoxiden zu reinigen. Ein erstes Pilotprojekt haben wir 2020 in Hamburg bereits erfolgreich getestet, damals allerdings in deutlich kleinerem Maßstab. Hier in Köln können wir die Leistungswerte umfassend und unter realen Bedingungen messen. Dazu messen digitale Sensoren permanent vor, hinter und neben der Fassade die Luftqualität – so können wir die Wirkung unter realen Bedingungen exakt nachvollziehen.

Darüber hinaus erfüllt das System weitere wichtige Funktionen: Es schützt das Gebäude vor Überhitzung, reduziert CO₂-Emissionen und ermöglicht zugleich eine moderne und individuelle Gestaltung der Fassade.

Sie sprechen von „wir“. Wer ist das?

JS: Die Idee zur Anti-NOx-Fassade entstand während meiner Forschungsarbeit an der RWTH. Die ECE wurde früh darauf aufmerksam und finanzierte die erste Demonstratorfassade – damals noch kleiner und bereits mit einem Schüco-Grundsystem.

2021 kam die Stiftung „Lebendige Stadt“ hinzu und brachte das Projekt entscheidend voran. Die Stiftung verfolgt das Ziel, die Lebensqualität in Städten zu verbessern. Und das ist dringend ­nötig: 2050 werden Schätzungen zufolge rund 68 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Der Stiftung „Lebendige Stadt“ und Schüco verdanken wir, dass wir in Köln gemeinsam mit der Stadtverwaltung weiterforschen können. Unterstützt werden wir zudem von der Stadt Köln, die uns das Gebäude zur Verfügung stellt, sowie vom Forschungszentrum Jülich mit seiner Expertise zur Luftqualität.

Der Ort scheint mir perfekt …

JS: Ja, in gewisser Hinsicht ist der Standort ideal,­ weil wir hier eine hohe öffentliche Wahrnehmung haben. Täglich kommen Studierende, Sportler, Architekten, Bauingenieure und viele andere vorbei – und genau diese Sichtbarkeit brauchen wir, um zu zeigen, dass innovative Ideen real etwas bewegen können.

Aus technischer Sicht haben wir uns der Herausforderung gestellt, erstmals eine solche Fassade an einer Nordseite zu installieren – also dort, wo die Lichtverhältnisse am schlechtesten sind. Gerade deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass wir selbst unter diesen Bedingungen eine NOx-Reduktion von 30 Prozent nachweisen konnten.

Sie werden nichts zu konkreten Kosten nennen wollen, vermute ich, aber wie sind hier die Kos­ten etwa aufgeteilt? Vielleicht anteilig?

JS: Das ist ein sechsstelliger Betrag, der von den beiden großen Partnern – der Stiftung „Lebendige Stadt“ und Schüco – investiert wurde. Man muss dabei bedenken, dass es sich um ein Forschungs- und Demonstrationsprojekt mit aufwendiger Messtechnik und wissenschaftlicher Begleitung handelt – die Kosten sind daher nicht auf spätere Serienanwendungen übertragbar.

Wie funktioniert die Fassade? Ist das Gewebe beschichtet?

JS: In die Spannrahmen aus recyceltem Aluminium spannen wir ein Polyester-Gewebe, das mit einer lichtaktiven Beschichtung versehen ist. Bei Sonneneinstrahlung werden winzige Partikel aktiv, die Schadstoffe aus der Luft abbauen. Bei diesem Prozess entstehen geringe Mengen Mineralstoffe, darunter Nitrat, die sich auf der Oberfläche ablagern. Der nächste Regenschauer
wäscht sie einfach ab.

Oh je, Nitrate in den Boden, ins Grundwasser!

JS: Das klingt erstmal dramatischer, als es ist. Nitrat ist ein natürlich vorkommender Bestandteil vieler Stoffkreisläufe und in den hier auftretenden Mengen unbedenklich. In der Luft können jedoch schon sehr geringe Mengen mancher Stoffe äußerst kritisch sein – an der Fassade sprechen wir aber von sehr kleinen Konzentrationen. Wir haben das im Vorfeld geprüft: Das Probewasser enthält erwartungsgemäß etwas mehr Nitrat – ein Hinweis darauf, dass der Reinigungsprozess funktioniert.

Wobei wir in Deutschland – der Hochleistungslandwirtschaft sei Dank – recht hohe Grenzwerte haben, was Nitrat angeht. Könnte man das Nitrat nicht vor Ort nutzen?

JS: Ein guter Hinweis – ja, das könnte man tatsächlich. Zuerst aber zur Einordnung: In unserer Wasserprobe lag der Nitratanteil bei lediglich 4,6 mg pro Liter; die WHO empfiehlt unter 50 mg pro Liter, unter anderem zum Schutz von Säuglingen. Würde man unsere Anti-NOx-Fassade mit einer Grünfassade kombinieren, ließe sich dieses Nitrat direkt als Nährstoff für die Bepflanzung nutzen. Das wäre ein überzeugendes Kreislaufmodell und würde zusätzlich die Biodiversität fördern.

Erlaubt das Textil Durchblicke? Von außen gesehen wirkt es sehr dicht …

HK: Transparenz ist hier komplett gegeben, man kann das Textil prinzipiell vor jede Fassade spannen. Man muss sich das wie bei Bussen vorstellen, deren Scheiben mit Werbung beklebt sind: Man kann nicht von außen reinschauen, aber von innen ungehindert nach draußen.

Ist der Spannrahmen allein für das straffe Halten des Gewebes zuständig?

HK: Man könnte diese Fassadenfelder in einem kompletten Rahmen bauen. Aber ab einer gewissen Größe wäre die Rückverankerung zu massiv. Hier haben wir die Spannfläche in ca. 3,5 m breite, horizontale Streifen geteilt.

Ist das Material nachspannbar, nachjustierbar?

HK: Wir verwenden ein Polyester-Gewebe, das schon im Produktionsprozess vorgespannt wurde. Dabei wird das Trägermaterial auf Spannung gezogen, bevor es mit Kunststoff beschichtet wird. Die so hergestellte Vorspannung im Gewebe sichert uns zu, dass wir definitiv nicht nachspannen müssen. Das wollen wir auch nicht, da wir sehr reduzierte Profile verwenden, die nur wenig Nachspannweg haben.

Im Vorgespräch erwähnten Sie, bezogen auf die optischen Eigenschaften des Gewebes, dass hier mit der Medizin kooperiert wurde. In diesem Fall mit Augenärzten, die überprüfen sollten, ob das Gewebe die Sehwahrnehmung von innen nach außen störe. Was kam dabei heraus?

HK: Eine wesentliche Frage seitens der Nutzer ist: Wird mit dem Gewebe die Durchsicht behindert? Wir können mittlerweile sagen, dass je dunkler ein Gewebe ist, desto besser ist die Durchsicht. Schwarzes Gewebe nimmt man kaum mehr wahr.

JS: Wir hatten einmal in einem Architekturwettbewerb eine Textilfassade gezeigt und wurden nur Zweiter, weil u. a. auch bemängelt wurde, dass man durch unsere Fassade nicht hindurchschauen könne! Was aber absolut der Fall war. Das war mit ein Grund dafür, weshalb ich an der RWTH Aachen sehr frühzeitig die Augenmediziner in die Untersuchung einbezogen habe. Heute nehme ich Interessierte einfach mit in ein G­ebäude und jedes Mal überrascht die hohe Transparenz der Textilfassade. Gleichzeitig schützt der Schirm-Effekt des vorgesetzten Textils das Gebäude vor Überhitzung; insbesondere im Kontext des Klimawandels eine wichtige Anpassungsmaßnahme, die zudem CO₂-Emissionen im Gebäudebetrieb spürbar senkt.

Welche Fachleute waren noch mit dabei und welche waren wichtig?

JS: Von der RWTH Aachen waren neben den Architekten zum Beispiel Umweltingenieure, Elektroingenieure, Maschinenbauer und Bauinge­nieure beteiligt. Insgesamt waren neun Institute beteiligt – ergänzt durch die Expertise des Forschungszentrums Jülich. Eine außergewöhnlich breite Zusammenarbeit. Eine intensive Phase, die gezeigt hat, wie viel interdisziplinäre Zusammenarbeit bewegen kann.

Nun setzt Ihr Unternehmen, Herr Kühn, durchaus auf architekturaffine Fassadenlösungen. Wie verträgt sich das mit dem Verhängen der Fassade, an dem Sie hier im Team forschen? Ist das möglicherweise kontraproduktiv?

HK: Eine gute Frage. Tatsächlich haben wir ein Projekt wie die VHS noch nicht derart konsequent umgesetzt, wir stehen hier noch am Anfang. In Rostock haben wir einmal eine von uns sogenannte „Renovierungsfassade“ eingesetzt, da wurden die Gewebeeinheiten auf der Fassade verteilt. Wir sind dem bereits bestehenden Fassadenmuster also gefolgt.

Wir arbeiten unter anderem noch an Einzel­lösungen, die den Sonnenschutz im Fokus haben, zum Beispiel Verschattungselemente auf großflächigen Pfostenriegelfassaden. Am Frankfurter Flughafen gibt es am neuen Visitor Center vor der Eingangshalle einen schwebenden Flügel, der Sonnenschutz generiert und natürlich optisch auch ansprechend ist.

Bei Werkzeugen, die etwas Gutes für die Umwelt herstellen sollen, fällt manches Mal unter den Tisch, dass Bereitstellung, Montage, Betrieb und Rückbau dieser Werkzeuge auch einen Umwelt-Impact haben. Ist das hier gerechnet worden?

JS: Eine vollständige Lebenszyklusanalyse steht noch aus – die werden wir nachreichen. Schon jetzt ist aber klar, dass wir das gesamte System wieder zerlegen und sortenrein recyceln können.

Inzwischen sind wir in der Lieferkette unabhängig und setzen konsequent auf wiederverwertete Materialien. Das Aluminium stammt aus dem Recycling und selbst das Gewebe besteht aus rund 4 400 recycelten Kunststoffflaschen.

Langfristig wollen wir zudem Alternativen zum Polyester einsetzen, etwa Biopolymere oder ähnliche nachhaltige Materialien.

Wie steht es um die Lebensdauer/Leistungsdauer der Anti-NOx-Fassade?

JS: Theoretisch hält die so lange, wie das Gewebe installiert ist. Derzeit starten wir die entsprechenden DIN-Tests, um verlässliche Angaben zur Lebensdauer des Systems zu erhalten.

Ende 2025 läuft die Kooperation mit der Stadt Köln aus. Wie geht es weiter, insbesondere auch beim Hersteller?

HK: Wir sind absolut daran interessiert, das Produkt weiterzuentwickeln. Hier sehen wir für die Städte Perspektiven, in der Klimaanpassung aktiv zu werden, aber auch schon jetzt die Luftqualität in den Stadträumen zu verbessern. Wir müssen in standardisierte Prozesse hinein. Wichtig ist, dass wir viele Leuchtturmprojekte generieren. Ein solches sehen Sie ab dem kommenden Jahr in den Niederlanden. Hier haben wir den Vorteil, dass die beschichtete Hülle bereits fester Bestandteil der Architekturplanung ist.

Die auch schallmindernde und kühlende Effekte mitbringt, aber das stand nicht im Fokus Ihrer Forschung. Vorletzte Frage: Wie bringen Sie das Projekt in die Breite?

HK: Zunächst einmal, indem wir hier weiterarbeiten, Sichtbarkeit erzeugen. Wir wollen im Umweltschutz aktiv sein, wollen dafür Bauprodukte generieren, die die Städte lebenswerter machen. Wir sind hier noch relativ am Anfang, es fehlen weitere Untersuchungen. Wir sind sehr daran interessiert, bei derartigen Innovationen vorne mit dabei zu sein.

Das ist die Herstellersicht. Was kann man in Richtung Praxis, in Richtung Kommunen machen?

JS: Wesentliche Werte liegen nach einem Jahr Betrieb vor. Wir müssen jetzt auf die Stadt Köln zugehen. Über die Stiftung „Lebendige Stadt“ sind wir alle in Gesprächen mit unterschiedlichsten Akteuren. Andere Städte haben bereits großes Interesse bekundet. Der Kölner „Leuchtturm“ der Anti-NOx-Fassade wirkt, das spüren wir.

Mit Dr. Jan Serode, Experte für nachhaltiges Bauen und wissenschaftliche Projektleitung, Henning Kühn, Technical Project Manager Shading & Energy Solutions Schüco, und Jan Banze, Presse Schüco, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft in einem Klassenraum der VHS Köln am 12. November 2025.

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