Kleiner Löwe ganz groß

Kleiner Löwe, Stadthotel Bregenz/AT

Lage verpflichtet. Das Boutiquehotel „Kleiner Löwe“ liegt gleich gegenüber dem Landesmuseum, einen Steinwurf von Peter Zumthors Kunsthaus in Bregenz entfernt. Es definiert sich über seine Architektur und die Liebe zum Detail. Herzog & de Meuron setzten den Neubau auf der 8 m schmalen Parzelle hinter die sanierte Bestandsfassade. Jedes der acht Zimmer ist anders.

Das Boutiquehotel „Kleiner Löwe“ am Kornmarktplatz in Brengenz fügt sich in den bestehenden Kontext der Stadt nahtlos ein
Foto: Christian Schramm

Das Boutiquehotel „Kleiner Löwe“ am Kornmarktplatz in Brengenz fügt sich in den bestehenden Kontext der Stadt nahtlos ein
Foto: Christian Schramm

Der Kornmarktplatz ist der absolute Dreh- und Angelpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens von Bregenz. Einzig die brutale Verkehrsplanung der 1970er-Jahre trennt die Bodenseepromenade von der Nordseite des Platzes. Wie die Perlen einer Kette reihen sich hier der ikonische Quader des Kunsthauses Bregenz von Pritzker-Preisträger Peter Zumthor (1997), das Landestheater (1945) und das Vorarlberg Museum (2003) der Bregenzer Architekten cukrowicz nachbaur aneinander. Ihnen glückte eine Verschmelzung aus Erweiterung und Bestand, die ablesbar bleibt und doch ein Ganzes bildet.

Gegenüber fasst eine geschlossene Häuserzeile den Platz. Eingeklemmt zwischen dem klobigen, vierstöckigen Bürobau mit ausgebautem Dach aus den 1960ern am Eck und dem schmucken Biedermeierhaus mit dem Theatercafé im Osten stand ein kleines Haus. 2013 hatte sein Dach gebrannt, das Löschwasser setzte ihm zu, sein Zustand war erbärmlich. Zwei Jahre später kaufte der Bauherr den Leerstand in absoluter Premium-Lage. An so einem Ort zu bauen bedeutet Verantwortung. „Wir mussten das Richtige tun“, sagt er.

Das Haus lebt von seinen Details - das beginnt schon beim Eingang: Die beiden Bögen sind die Auslage zur Stadt
Foto: Daisuke Hirabayashi

Das Haus lebt von seinen Details - das beginnt schon beim Eingang: Die beiden Bögen sind die Auslage zur Stadt
Foto: Daisuke Hirabayashi

Gastlichkeit nach Maß

Ein Stadthaus wie dieses braucht eine halböffentliche Nutzung. Geschäfte, Cafés, Restaurants, Kultur: Rundherum gibt es fast alles. Der Bauherr suchte etwas, „das der Platz noch nicht hat.“ Die bewegte Geschichte des Hauses half bei der Antwort. Im 17. Jahrhundert war es die Bierbrauerei des benachbarten Gasthofs zum Goldenen Löwen, wo man auch nächtigen konnte. Später bezog der „Löwen-Kinematograf“, das erste Kino von Bregenz, das Erdgeschoss. In den 1920er-Jahren folgte die Allgemeine Depositenbank, dann Feinkost, Möbelhandel, Nachtklub.

Mit einem raffinierten Grundrisskonzept gelang es Herzog & de Meuron, Großzügigkeit zu erzielen
Foto: Daisuke Hirabayashi

Mit einem raffinierten Grundrisskonzept gelang es Herzog & de Meuron, Großzügigkeit zu erzielen
Foto: Daisuke Hirabayashi

Gastlichkeit schien dem Haus eingeschrieben, die Bauherrn sahen sich viele Boutiquehotels an. Das war es, das dem Kornmarktplatz fehlte. Fehlte nur noch die Wahl des Architekten. Der Bauherr wünschte sich „einen internationalen Input.“ Das passt zum Hotel. Die Antwort auf Pritzker-Preisträger Peter Zumthor konnte nur wieder ein Pritzker-Preisträger sein. Jacques Herzog war er auf einem Symposium begegnet, er kontaktierte das Büro, setzte alle Hebel in Bewegung, ließ nicht locker und fuhr mehrfach nach Basel. Im Dezember 2016 schickte seine Frau ein Foto ihres Neugeborenen. „Die Familie wächst.“ Anfang 2017 nahmen Herzog & de Meuron den Auftrag an. „Im Nutzungsprogramm und der Lage am Kornmarktplatz sahen wir Potential für Bregenz“, sagt der projektverantwortliche Partner Robert Hösl. „Ein kleines Stadthotel mit einem Salon für Veranstaltungen direkt bei Landestheater, Landesmuseum und Kunsthaus ist eine charmante Ergänzung dieses kulturellen Hotspots.“

Die engen Platzverhältnisse waren eine Herausforderung für die Organisation im Innern des Hauses
Foto: Daisuke Hirabayashi

Die engen Platzverhältnisse waren eine Herausforderung für die Organisation im Innern des Hauses
Foto: Daisuke Hirabayashi

Integratives Element

Der Bestand war nicht zu retten und stand nicht unter Denkmalschutz. Herzog & de Meuron aber wollten die alte Fassade erhalten. „Sie prägte lange den Kornmarktplatz und bildet ein vermittelndes Element zum Neubau dahinter.“ Man musste sie aufwändig unterfangen und mit einem Stahlgerüst stützen, bis der Neubau hochgezogen war. Es lohnte sich. Leicht zurückgesetzt ragt er nun hinter dem barocken Gesims hoch. Er misst mit zwei zusätzlichen Geschossen knapp 20 m, damit  ist er fast doppelt so hoch wie vorher und genauso hoch wie der westliche Nachbar.

Viele Modelle, Fassaden- und Dachstudien führten zu der Lösung mit dem Tonnendach im Holzleichtbau, das sich quasi organisch aus der Bestandsfassade schält und die fast 5 m hohe, obere Wohnebene der Bauherrnfamilie umhaust, die hier in einer Maisonette auf dem eigenen Hotel lebt. Der hellblaue Kalkputz steht der Straßenfassade gut, ihre drei charakteristischen Bögen, Fenster und Gesimse sind weiß gefascht. Diese Straßenfront bildet eine Adresse, die Bögen wurden zu einem ständig wiederkehrenden Motiv dieses exquisiten Boutiquehotels, das sich maßgeblich über die Architektur definiert und so perfekt an den Ort passt.

Beim gartenseitigen Zimmer im 3. OG  wölbt sich die raumhohe Glasfassade viertelkreisförmig raumeinwärts und schafft so eine Sitznische
Foto: Daisuke Hirabayashi

Beim gartenseitigen Zimmer im 3. OG  wölbt sich die raumhohe Glasfassade viertelkreisförmig raumeinwärts und schafft so eine Sitznische
Foto: Daisuke Hirabayashi

Es lebe das Detail!

„Das Haus lebt von seinen Details“, sagt der Bauherr. Das beginnt schon beim Eingang: Die beiden Bögen links sind die Auslage zur Stadt, ihre gläsernen Fenstertüren lassen sich zum Platz hin öffnen. Dahinter blickt man in den Stadtsalon, der zugleich Eingang, Rezeption, Café und Veranstaltungsraum ist. Der lange Raum ist 4,80 m hoch und reicht von der lebendigen Urbanität im Norden bis zur ruhigen, sonnigen Oase im lauschigen, grünen Innenhof. Der ist übrigens nur für Gäste des Hauses da.

In der Mitte steht die Bar, wo man ein- und auscheckt und auf das Frühstück wartet. Herausragender Espresso, frische Croissants, Sauerteigbrot, Vorarlberger Bergkäse, Sennereibutter, hausgemachte Marmelade. Reduktion auf das Beste und Wesentlichste. Dazu zählt auch der persönliche Kontakt mit der Chefin. Die Oberfläche des Tresens ist verzinnt. „Das ist das weichste Material, das es gibt“, sagt der Bauherr. Alles hinterlässt hier Spuren, „aber es altert so schön.“ An den Wänden: weiße Holzlamperie und Stoffbespannung, über der Bar senkt sich die Decke auf 2,50 m ab. Ihre Untersicht ist mit schimmerndem Stuccolustro verputzt, der das Licht reflektiert.

Die Parzelle ist gerade einmal 8 m schmal, dafür zieht sie sich 23 m südwärts. „Die sehr engen Platzverhältnisse waren eine Herausforderung für die innere Organisation des Hauses“, sagt Hösl. „Treppen, Aufzug und Zimmer mussten gut angeordnet werden, um den knappen Raum bestmöglich auszunutzen.“ Mit einem sehr raffinierten Grundrisskonzept gelang es Herzog & de Meuron, Großzügigkeit zu erzielen.

EG, M 1 : 200
1 Eingang
2 Lobby
3 Rezeption & Bar
4 Gartenzimmer
5 Garten

EG, M 1 : 200
1 Eingang
2 Lobby
3 Rezeption & Bar
4 Gartenzimmer
5 Garten

1. OG, M 1 : 200
1 Hotelzimmer
2 Entrechambre
3 Loggia

1. OG, M 1 : 200
1 Hotelzimmer
2 Entrechambre
3 Loggia

3. OG, M 1 : 200
1 Schlafraum
2 Entrechambre
3 Büro/Gästezimmer
4 Loggia
5 Dampfbad
6 Wirtschaftsraum
7 Badezimmer

3. OG, M 1 : 200
1 Schlafraum
2 Entrechambre
3 Büro/Gästezimmer
4 Loggia
5 Dampfbad
6 Wirtschaftsraum
7 Badezimmer

Funktionale Notwendigkeit

Der Deckensprung in der Mitte schafft nicht nur eine Zonierung, er ist eine funktionelle Notwendigkeit. Im äußersten, rechten Kreisbogen befindet sich die weiße Eingangstür, die ins Hotel führt. Hinter ihr steigt man über eine einläufige Treppe an der Trennwand zum Café auf dem Podest, von dem aus in 2,50 m Höhe die eigentliche Erschließung des Hotels beginnt. Diese befindet sich hoch komprimiert in der dunklen Mittelzone: im Osten die elegante, gewendelte Holztreppe, im Westen der Lift – eine Einzelanfertigung –, in der Mitte die Verteilerzone mit Sternenparkett, wie ein privates Vorzimmer.

Schnitt A, M 1 : 200
1 Lobby
2 Rezeption & Bar
3 Gartenzimmer
4 Hotelzimmer
5 Entrechambre
6 Schlafzimmer
7 Entrechambre / Diele
8 Wohnzimmer
9 Entrechambre & Kaminzimmer
10 Küche & Esszimmer
11 Dachterrasse
12 Umkleideraum für das Personal
13 Korridor und Toiletten
14 Technikraum
15 Bestehende Fassade
16 Kornmarkt
17 Garten

Schnitt A, M 1 : 200
1 Lobby
2 Rezeption & Bar
3 Gartenzimmer
4 Hotelzimmer
5 Entrechambre
6 Schlafzimmer
7 Entrechambre / Diele
8 Wohnzimmer
9 Entrechambre & Kaminzimmer
10 Küche & Esszimmer
11 Dachterrasse
12 Umkleideraum für das Personal
13 Korridor und Toiletten
14 Technikraum
15 Bestehende Fassade
16 Kornmarkt
17 Garten

Sie erschließt je zwei Zimmer nach Süden zum ruhigen Innenhof mit durchgehendem Balkon, je zwei nach Norden zum Treiben auf dem Platz. Im ersten Geschoss gibt es Kastenfens­ter zum Sitzen, im zweiten eine Loggia. Jedes Bad und jedes Zimmer ist anders. Das gartenseitige im dritten Geschoss hat eine runde, komplett mit salbeifarbenen, runden Knopffliesen verkleidete Dusche, seine raumhohe Glasfassade zum Balkon wölbt sich viertelkreisförmig raumeinwärts und schafft so eine kleine Sitznische. Mit schlammgrünen Samtvorhängen kann man sein Maß an Privatheit steuern. Die Tür auf den Balkon ist aus Holz – mit einem runden Sichtfenster. Die Kastentüren im Zimmer sind mit grün-goldenem Stoff gepolstert, Textil ist wichtig für die Akustik. Alles raumhoch, alles Echtholz, einiges wurde von Herzog & de Meuron exklusiv entworfen, der Handlauf zum Beispiel. Design und Konzept kommen bestens an: nicht nur bei den Gästen. Der „Kleine Löwe“ wurde als „Bestes Hotel 2025“ mit dem Monocle Design Award ausgezeichnet.
Autorin: Isabella Marboe

Schnitt B, M 1 : 200
1 Öffentliche Toilette
2 Salon
3 Entrée
4 Hotelzimmer
5 Schlafzimmer
6 Wohnzimmer
7 Rathausstraße

Schnitt B, M 1 : 200
1 Öffentliche Toilette
2 Salon
3 Entrée
4 Hotelzimmer
5 Schlafzimmer
6 Wohnzimmer
7 Rathausstraße

Projektdaten

Projekt: Kleiner Löwe, Stadthotel Bregenz, www.kleinerloewe.at

Architektur: Herzog & de Meuron Basel Ltd, Basel/CH, www.herzogdemeuron.com

Team Partner: Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Robert Hösl (verantwortlich)

Projekt Team: Lion Haag (Projektleiter), Florian Stroh (Projektleiter Konzeptstudie), Silja Ebert (Ltg. Innenarchitektur), Leo Filser, Anna Kranitz, Dennis Marsch, Raneen Nosh (Innenarchitektur),Marius Oneta, Tim Simonet, Valentina Teruzzi (Innenarchitektur)

Bauherr: Johannes Glatz & Lisa Rümmele, Bregenz/AT

Partner Architekt: Metzler.Schelling Architekten ZT (Lukas Schelling, Eva Meisinger, Michael Petschulat), Dornbirn/AT, www.lukasschelling.com, www.studio-co.io

Herstellung: 2018-2024

Grundstücksfläche: 190 m2

Bruttogeschossfläche (BGF): 1  140 m2

BGF oberirdisch: 1 000 m2

BGF unterirdisch: 140 m2

Nettogeschossfläche: 824 m2

Geschossanzahl: 5

Grundfläche: 190 m2

Länge: 23 m

Breite:  8 m

Höhe: 20 m

Bruttovolumen: 4 043 m3

Fachplanung

Bauleitung: Architekt Lukas Schelling ZT, www.lukasschelling.com

Hochbau: M+G Ingenieure, www.m-g.at

Bauphysik: Bauphysik Hafner Weithas, www.hw-bauphysik.at

Brandschutz: K&M Brandschutztechnik GmbH, www.brandschutz-k.at

Elektrotechnik: Kremmel & Schneider GmbH, www.kr-schneider.at

HLK: Hörburger GmbH, www.hoerburger.de

Fassadentechnik: PLG Fassadentechnik GmbH, www.plg-fassaden.at

Landschaftsarchitektur: Vogt Landschaftsarchitekten, www.vogt-la.com

Lichtdesign: PSLab, www.pslab.lighting

Geotechniker: 3P Geotechnik, www.3pgeo.com

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