Kirche in Uhingen ohne Antworten

Architektinnen bauen gerne Museen, vielleicht noch lieber: Kirchen. Die Suche nach dem richtigen Raum, nach Sakralität und Erhabenheit, die eine Verbindung von Himmel und Erde herstellen allein über den besonderen Raum (und sein Licht), hat immer schon Architekten zu großartigen Architekturen getrieben. In Uhingen wurde nun eine Kirche fertig, die ganz andere Fragen aufwirft als die, ob sie gottlobend oder einfach nur großartig geworden ist.

Zu Ruhm und Ehren Gottes (und der Finanziers) wurden immer schon Kirchen und gerne auch groß gebaut. Doch diese Zeiten sind vorbei, es fehlt das Geld, es fehlen auch die Menschen, die regelmäßig in diese Häuser kommen; und die regelmäßig ihre Steuer zahlen, so jedenfalls in diesem Land, in dem die großen Kirchen von der Kirchensteuer leben. Die Gotteshäuser haben sich nicht nur, aber auch mit den Kirchenaustritten geleert, nicht wenige der Bauten wurden in den letzten Jahrzehnten abgerissen oder verkauft und umgenutzt, zu Wohnungen, Kitas, Hotels oder Buchhandlungen.

Aber nicht nur die Kirchbauten werden weniger, weniger werden auch die Kirchengemeinden, deren Reaktion auf den Mitgliederschwund eine kontinuierliche Zusammenlegung von zwei oder mehr Gemeinden ist. Da sich damit dann auch die Nutze­rzahlen zum jeweiligen Gotteshaus ändern, gehen Zusammenlegungen nicht selten mit Abriss und Neubau zusammen. Neubauten in diesem Zusammenhang findet man schnell auch bei der Neuapostolischen Kirche (NAK) mit ca. ihren 330 000 Mitgliedern in 1 700 Kirchengemeinden. Die viertgrößte christliche Gemeinschaft in Deutschland hat in den letzten Jahren gebaut u. a. in Neuhausen (von einem Kirchenarchitekten der NAK, 2012), in München-Laim (Haack + Höpfner . Architekten und Stadtplaner, 2013), in Kamen (Viertelpyramide, im Bau), in Hermsdorf (Architekt Ralf Wilhelmi, 2016), in Pliezhausen (2016) und in Böblingen (2020, letztere beide von a+r Architekten), in Pforzheim (2022, Bez + Kock), in Calw Stammheim (2022, kaestle&ocker) oder in Celle (2023, Architekt Michael Wagner). Eher kleinere Häuser, auch einmal als Gemeindezentrum gedacht. Eine Kirche mit anliegenden Gemeinderäumen wurde nun in Uhingen übergeben, einer Stadt ca. 35 km östlich von Stuttgart. Wieder stammt der Entwurf von a+r Architekten, und man könnte eigentlich mit einem Achselzucken zur Tagesordnung übergehen, wären da nicht zwei Fragen offen.

Die erste Frage: Ist das, was a+r Architekten dort am Ortsrand entwarfen, aktueller Kirchenbau? Sind „Polygonalität und Symmetrie“ (a+r Architekten) ein wesentliches Kennzeichen sakraler Architektur von heute, die einen Raum ausbildet, der sich zudem „axial auf den Altar zu“ bewegt? Das scheint alles zu sein und irgendwie auch nichts, also 1. und/oder 2. Vatikanum, Schwarz vs. Domenikus Böhm, Martin Weber oder Clemens Holzmeister? Ein Kreuz hängt auf schwarzem Grund, daneben eine Orgel (aus dem Bestand der NAK hierher transloziert). Das Kreuz dominiert den Raum, nicht das Licht oder gar Transzendenz. Auf einem Foto kaum zu sehen, aber im Erläuterungstext hervorgehoben: „Rechts vom Foyer führt ein kleiner Flur an den Toiletten vorbei zur Sakristei. Von hier aus können Familien mit kleinen Kindern durch ein großes Fenster zum Kirchensaal am Gottesdienst teilnehmen.“ Das ist auf dem Grundriss zu erkennen. Forscht man nun zu dieser Eigenart der Separierung, findet man schnell das: „In der Neuapostolischen Kirche gehören Kinder von klein auf zur Gemeinde; sie sind in den Gottesdiensten willkommen. Die meisten Kirchen sind mit Eltern-Kind-Räumen ausgestattet, die durch eine schalldichte Glaswand vom Kirchensaal abgeteilt sind. Hier können Eltern mit ihren Kleinkindern Platz nehmen und mit Sichtkontakt zum Altar und zur Gemeinde am Gottesdienst teilhaben.“ (NAK) Schalldichte Glaswand?! Damit das Gequengel der Kleinen den Gottesdienst nicht stört? Die NAK, durchaus im Ruch, nicht nur in der Geschlechterfrage, ihrer Finanzierung oder auch der speziellen, exklusiven Heilserwar­tung Sektencharme zu pflegen, leitet diese Beschreibung selbst mit dem bekannten Bibelzitat ein: „Jesus Christus sagte: ‚Lasst die Kinder zu mir kommen‘ (Markus 10,14). Diese Einladung gilt auch im 21. Jahrhundert.“ Nun, nach der Frage nach der Zeitgenossenschaft der Architektur, die zweite: Kann ein Architekturbüro für die NAK bauen? Sollte es das? Ackermann+Raff machten das gleich mehrfach, unspektakulär, solide, unauffällig. Dass das Büro uns dieses Projekt nun mit eigenartigem Marketingsprechduktus anbietet, dabei von „Architektur zur Konzentration auf das Wesentliche“ spricht, überrascht tatsächlich, a+r Architekten sind für solcherart Selbstdarstellung eher nicht bekannt.

Welche Kirchbauten wir heute brauchen? Der Neubau in Uhingen beantwortet diese Frage nicht. Im Gegenteil erscheint „das intelligente Raumkonzept“ (a+r) nur abgeschaut und – grundrisslich – sauber umgesetzt. Doch wie wir uns als (gläubige) Gesellschaft in diesen Zeiten mit Gott und/oder der Welt verbinden wollen, das beantwortet der dann doch eben nüchterne Mehrzweckbau nicht. Und wieso wir für Bauherren wie die NAK bauen, auch nicht. Benedikt Kraft / DBZ

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