Feuerprobe für den Lehmbau
Ton, Schluff und Sand ergeben – in der richtigen Mischung – einen robusten und nachhaltigen Baustoff, den Menschen bereits seit Jahrtausenden zur Errichtung dauerhafter
Bauwerke nutzen. Verbindliche Normen für seinen Einsatz in der modernen Architektur gibt es jedoch nicht – insbesondere, wenn es um das Thema Brandschutz geht. Der Bau des neuen Besucherzentrums im LWL-Freilichtmuseum Detmold soll hier endlich Grundlagen schaffen.
Text: Christina Sonnborn, Simon Waigand, Markus Kersting
Visualisierung des neuen Eingangs- und Ausstellungsgebäudes im LWL-Freilichtmuseum Detmold
Grafik: AVP Becker GmbH, Düsseldorf
Die zur Klimakrise gehörenden Entwicklungen, ob Ursachen oder weitere Konsequenzen, werden immer intensiver spürbar. Wetterextreme, Biodiversitätskrise sowie Rohstoffverknappung sind nur einige der Vorkommnisse, für die die Menschheit verantwortlich ist und für die sie heute und in Zukunft die Verantwortung tragen muss. Insbesondere alle Bauschaffenden müssen ihren großen Einfluss auf die Klimakrise erkennen und einen ressourcenschonenden Umgang üben. Neben dem Streben nach Suffizienz muss auf den Einsatz von regenerativen Energien anstelle von fossilen Energieträgern im Lebenszyklus eines Gebäudes fokussiert werden. Die Materialwahl darf nicht ausschließlich gestalterisch, ökonomisch und funktional begründet werden: Eine ökologische Argumentation muss in die Entscheidungsfindung integriert werden. Lokale Verfügbarkeiten, energiearme Herstellungsprozesse, Langlebigkeit, nachwachsende, CO2 bindende Materialien, Sekundärrohstoffe sowie Re-use Bauteile können Grundlagen für ein nachhaltiges Bauen bilden. Die Rückbesinnung auf traditionelle Konstruktionen, die zumeist einstofflich und rückbaufähig waren, kann ein Teil des Weges hin zu einer zukunftsfähigen Bauweise sein.
Visualisierung des
Foyers: Anschauungs- und Lernobjekt für zeitgenössische, nachhaltige Baukultur
Grafik: ACMS Architekten GmbH
Eine simple, klar definierte Antwort auf Fragen des kreislauffähigen und nachhaltigen Bauens existiert allerdings nicht und so müssen komplexe Zusammenhänge vor der Materialwahl beurteilt werden. Bauherr:innen, Planende und alle weiteren am Prozess Beteiligten werden zu einem Umdenken gezwungen. Neben der ökologischen Bedeutung entstehen auch neue ökonomische, bisher unbekannte Zwänge, durch die das nachhaltige Bauen mit nachwachsenden und lokal verfügbaren Rohstoffen von einem optionalen Qualitätsstandard zu einer grundlegenden Notwendigkeit wird.
Das LWL Freilichtmuseum in Detmold zeigt auf 90 Hektar über 120 gebaute Zeitzeugen der westfälischen Baukultur. Deren traditionelle Bauweisen berücksichtigten allesamt regionale, nachwachsende Rohstoffe. Anlass genug für das neue, 6 000 m² große Eingangs- und Ausstellungsgebäude konventionelle Baustoffwege zu verlassen.
Prüfaufbau: Probekörper vor der Brandkammer
Foto: ACMS Architekten GmbH
Der Siegerentwurf von ACMS Architekten zum 2018 entschiedenen Architektenwettbewerb sieht eine dreigliedrige, skulpturale Baukörperstruktur vor, die sich behutsam in das Landschaftsschutzgebiet des Teutoburger Waldes einfügt und ein Tor in die historische westfälische Alltagskultur öffnet. Das teilweise in die abfallende Topografie eingefügte Erdgeschoss bildet dabei den verbindenden Sockel der drei aufgesetzten Baukörper. Das Gebäude soll neben der neuen Zugangs- und Servicefunktion vor allem das kulturelle Ausstellungsangebot signifikant erweitern. Hier sollen erstmalig auch Ausstellungsbereiche mit höchsten klimatischen Standards, sogenannten AHSRAE- Anforderungen, zur Verfügung stehen, sodass besonders sensibles Ausstellungsgut geschützt wird und künftig auch hochwertige Kunstausstellungen möglich sind. Darüber hinaus wird insbesondere die pädagogische Wissenschaftsdidaktik gestärkt, in dem das Gebäude, das auch über modern ausgestattete Pädagogikräume verfügt, selbst zum Anschauungs- und Lernobjekt für zeitgenössische, nachhaltige Baukultur wird.
22 cm Prüfkörper:
linear homogenes Temperaturdurchgangsverhalten durch den Prüfkörper
Grafik: MFPA Leipzig GmbH, Leipzig
In stofflicher Interpretation historischer Fachwerkbauten bestehen die erdberührenden Bauteile aus mineralischen Baustoffen. Im vorliegenden Fall aus Beton, dessen Zusammensetzung jedoch durch verschiedene Substitute besonders zementarm ausfällt und dessen CO2-Prozess- als auch Reaktionsemissionen beim Herstellungsprozess deutlich geringer ausfallen als bei konventionellen Betonen. Die polygonale Dachstruktur der drei, teils mehrgeschossigen Baukörper besteht aus einem effizienten Skelett-Tragsystem. Das verwendete Holz stammt aus einer nachhaltigen, regionalen Waldbewirtschaftung. Eine Zertifizierung des Gebäudes durch die DGNB im höchsten Standard, mit einem Platin-Zertifikat wird angestrebt.
60 cm Probekörper:
exponentiell abnehmendes Temperaturdurchgangsverhalten durch den Prüfkörper
Grafik: MFPA Leipzig GmbH, Leipzig
Rückbaubarkeit im Blick
In Rückbesinnung auf traditionelle Baustoffe und Konstruktionen wird untersucht, wie das Bauen im digitalen Zeitalter über den gesamten Lebenszyklus hinsichtlich des Energie- und Ressourceneinsatzes optimiert werden kann. Ziel ist es, die eingesetzten Baustoffe am Ende der ersten Nutzungsphase einer möglichst hochwertigen Nachnutzung zuzuführen. Dies erfordert leimfreie Holzbaustoffe ebenso wie stahlfreie Holzverbindungen. Traditionelle Zimmermannsverbindungen werden mit Hilfe digitaler Bautechnologien als Holz-Holz-Verbindungen mit CAD, CAM, CNC und Robotik zeitgenössisch übersetzt. Als einstoffliche, lösbare Verbindungen ermöglichen sie zudem eine optimierte Einbindung der Holzbauweise in die Kreislaufwirtschaft.
Die nichttragende Gebäudehülle nutzt monomaterielle Bio-Baustrohballen als Dämmstoff in den Holzgefachen. Diese können als Abfallprodukt aus der Landwirtschaft einer hochwertigen, langfristigen Nachnutzung zugeführt werden. Baustroh ist flächendeckend verfügbar und kann emissionsarm und wirtschaftlich zum Baustoff aufbereitet werden.
Der baustoffliche Fokus liegt jedoch vor allem auf den massiven, tragenden und aussteifenden Innenwänden des Gebäudes. Dafür sind 60 cm starke, 8 m hohe Wände aus monomateriellem Stampflehm, teils in traditioneller Ortbauweise, teils als großformatige, vorgefertigte und versetzte Elemente geplant. Diese übernehmen neben den technisch-konstruktiven auch gestaltprägende und bauphysikalisch regulierende Funktionen. Äquivalent zu Sichtbetonen wird mit dem Erstellen des tragenden Wandquerschnitts zugleich eine einzigartige Oberfläche geschaffen, die den Herstellungsprozess ablesbar macht. Durch die materialimmanente Wasserlöslichkeit kann der Lehm vollständig recycelt und einer stofflichen Wiederverwertung zugeführt werden.
Lehmbau in Europa
Dabei ist das Bauen mit Lehm natürlich nicht neu. Die Verwendung von Lehm als Bindemittel sowie als massiver, tragender Konstruktionsbaustoff reicht in Teilen Asiens, Afrikas und anderen Regionen der Welt bis zu 10 000 Jahre zurück. Bis ins 19. Jahrhundert wurde Lehm in Zentraleuropa – zu sehen im Freilichtmuseum in Detmold – als raumbildende Gefachfüllung in Form von Strohlehm eingesetzt. Insbesondere in der Nachkriegszeit der 1950er-Jahre war Lehm kurzzeitig wieder ein bedeutsamer Baustoff, da Industrien für konventionelle Baustoffe zerstört waren bzw. Transportmöglichkeiten nicht zur Verfügung standen. In den 1960er-Jahren verlor der Lehmbau dann aufgrund politischer Entscheidungen sowie industrieller Entwicklungen jedoch wieder an Bedeutung (Vgl. Schroeder, Horst: Lehmbau: Mit Lehm ökologisch planen und bauen, 3., aktual. Aufl. 2019, Springer Vieweg).
Während der Nachkriegsjahre wurde die Normierung des Baustoffs Lehm erstmalig geregelt. Die 1944 erstellte erste unter dem Namen „Lehmbauordnung“ bekannte technische Baubestimmung wurde Anfang der 1950er-Jahre um die DIN Normenreihe 18951 zu „Vorschriften für die Ausführung“ und „Erläuterung“ ergänzt. Weitere Normen, insbesondere die DIN 18953 Bl. 3 „Gestampfte Lehmwände“, in denen unter anderem auch das verlangte Brandverhalten von Lehmbauteilen definiert war, überschritten jedoch nie das Stadium der Vornorm. Nach dem Abebben des Lehmbaus wurden die DIN-Normen 1971 als “veraltet und wirtschaftlich ohne Bedeutung“ gänzlich zurückgezogen.
Durch eine Renaissance des Lehmbaus in den 1990er-Jahren stieg der Bedarf, die seit den 1970er-Jahren bestehende Normungslücke zu schließen und damit eine rechtssichere Bauweise mit Lehm zu ermöglichen. Die 1999 veröffentlichten „Lehmbauregeln“ vom Dachverband Lehm e. V. in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Bautechnik Berlin (DIBt) bildeten die erste technische Baubestimmung, basierend auf den alten DIN-Normen und in Verbindung mit aktuellen bautechnischen Standards im Lehmbau. Abweichend von den geregelten DIN-Normen stellen die Lehmbauregeln jedoch keine Produktnorm dar, sodass die Aufnahme in die Musterliste der technischen Baubestimmungen des DIBt als eingeschränkter Nachweis nur für Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 und 2 zulässig ist. Regelungen zum Brandverhalten von Bauteilen sowie Nichtwohngebäuden sind explizit ausgenommen und bedürfen weiterhin gesonderter Verwendbarkeitsnachweisen in Form von „Zustimmungen im Einzelfall“.
Feuerwiderstand um Test
Für den Neubau des Eingangs- und Ausstellungsgebäudes im Freilichtmuseum in Detmold ist somit nicht nur aufgrund der Einstufung in die Gebäudeklasse 3 sowie der Nutzung als Nichtwohngebäude die Zustimmung im Einzelfall als bauordnungsrechtlicher Verwendbarkeitsnachweis erforderlich. Entsprechend der aus der Gebäudeklassifizierung resultierenden Anforderung bezüglich des Feuerwiderstands von tragenden und aussteifenden Wänden und der gänzlich fehlenden normativen Grundlage sind ebenso Prüfnachweise zum Brandverhalten durch akkreditierte Prüfanstalten gefordert.
In Abstimmung mit der obersten Bauaufsichtsbehörde Nordrhein-Westfalens wurde entschieden, den Feuerwiderstand in zwei Prüfversuchen nachzuweisen. Da Prüfversuche in Originalhöhe aufgrund fehlender Versuchsvorrichtungen in Deutschland (noch) nicht möglich sind, wurden die Prüfungen in den derzeit maximalen Abmessungen von 3 x 3 m in Anlehnung an die anerkannten Prüfnormen durchgeführt. Zunächst wurde der Baukörper mit einer – proportional zur Originalhöhe von 13,3 m – Bauteildicke von 22 cm, anteilig mit 150 kN belastet. Im zweiten Prüfversuch wurde die Konstruktion in Originaldicke (60 cm) mit der realen Belastung (400 kN) getestet, um vor allem das Temperaturdurchgangsverhalten zu untersuchen.
Zusätzlich zur konstruktiven Tragfähigkeit wurde parallel der Raumabschluss und die Wärmedämmung sowie die mechanische Beanspruchung in Form von Stoßprüfungen über eine Prüfdauer von 90 Minuten zur Erreichung der Feuerwiderstandsklasse REI 90-M nach DIN 13501-2 bei einseitiger Brandbeanspruchung geprüft.
Testkörper vor Ort erstellt
Neben der formalen Entwicklung und Abstimmung eines anerkannten Prüfnachweises stellte sich auch die Herstellung der Probekörper und deren Prüfung selbst als große Herausforderung dar. Die aufwendige, im Wesentlichen händische Herstellung der Prüfwände erfolgte aufgrund des Ausführungszeitraums im Winter direkt in den frost- und witterungsgeschützten Hallen der Prüfanstalt und bedurfte einer hohen Abstimmung, um die parallellaufenden Prozesse nicht zu behindern. Eine dezentrale Fertigung wurde aufgrund der Risiken vor späteren, möglicherweise nicht sichtbaren Transportschäden ausgeschlossen.
Die Prüffähigkeit der Probekörper – resultierend aus der maximalen Belastbarkeit der Wand – entsteht durch das Erreichen der Ausgleichsfeuchte des Materials, welche sich vom Einbauzustand von ca. 7 M.-% auf unter 2 M.-% im fertigen Bauteil reduziert. Anders als bei konventionellen mineralischen Materialen erfolgt die Trocknung durch einen rein physikalischen Diffusionsprozess, der aufgrund der Bauteildicke sowie den gegebenen Temperaturbedingungen im vorliegenden Fall bis zu sechs Monate dauerte. Aufgrund der zeitlichen Abhängigkeiten war eine Vorfertigung der bis zu 19 t schweren Prüfkörper in genormten Prüfrahmen erforderlich. Diese wurden dann mit größter Sorgfalt hydraulisch vor die Brandkammer verfahren.
Im Unterschied zu den aufwendigen Vorbereitungen verlief der Prüfversuch, trotz unterschiedlichster Erwartungen und Thesen bei Brandraumtemperaturen gemäß Normbrandkurve von bis zu 1 100 °C, fast unspektakulär. Im ersten Brandversuch der 22 cm starken Wand blieben dabei die Verformungen von maximal 40 mm über 90 Minuten in Wandmitte zum Brandraum hin sowie maximale Stauchungen von 20 mm weit unter den zulässigen Grenzwerten. Bemerkenswert war das Temperaturdurchgangsverhalten durch den Wandquerschnitt, das selbst nach 90 Minuten auf der brandabgewandten Seite 100 °C weit unterschritt.
Stabil trotz Opferschicht
Dem gegenüber zeigte die 60 cm starke Wand ein grundsätzlich anderes Verhalten gegenüber der Hitzeeinwirkung. Durch eine sehr inhomogene Temperaturentwicklung innerhalb des Wandquerschnitts in Verbindung mit der hohen Wandstärke waren nur sehr geringe Verformungen von ca. 10 mm in Wandmitte messbar. Auf der brandzugewandten Seite wurde, mutmaßlich durch eine thermische Längenänderung ein lageweiser Abfall der äußersten am stärksten erhitzten Schicht beobachtet. Bereits wenige Zentimeter hinter dieser äußersten sogenannten „Opferschicht“ war ein gravierendes Temperaturgefälle messbar, das die vorbeschriebene These stützt. Nach Abfallen der äußersten Schicht wiederholte sich der Prozess über die Prüfdauer mehrmals, sodass am Ende des Prüfzeitraums nicht mehr der volle Wandquerschnitt vorhanden war. Genug jedoch, um auch nach 90 Minuten die Gesamtlast von über 400 kN zu tragen.
Doch nicht nur bei Temperaturbeanspruchung hielt die Stampflehmwand den grundsätzlichen Erwartungen stand. Auch die hohe Querbiegung sowie Schubbeanspruchung konnten durch erfolgreiche Pendelschlagversuche nachgewiesen werden.
Weiterer Verlauf
Derzeit erfolgen die Auswertungen der Untersuchungsergebnisse. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), werden die Prüfberichte im nächsten Schritt im Rahmen des Forschungsprojekts „Ecosights“ veröffentlicht. Darüber hinaus soll das grundsätzlich variierende Verhalten verschiedener Wanddicken unter Temperaturbeanspruchung mittels computergestützter Simulationen (FEM) dezidierter untersucht werden.
Mit den Lehmbauarbeiten am Freilichtmuseum in Detmold wird 2023 begonnen; die Projektfertigstellung ist für 2025 geplant.
Über das eigentliche Realisierungsprojekt hinaus erhoffen sich alle Beteiligten einen wichtigen fachlichen Beitrag im Interesse des allgemeinen Lehmbaus geleistet zu haben. So kann einem der ältesten Baustoffe, neben seinen ökologischen, baubiologischen und konstruktiven Fähigkeiten auch eine rechtlich normative Grundlage gegeben werden. Die erstmalige Brandprüfung von Stampflehmwänden in der Geschichte der Bauteilnormierung kann dabei nur einen ersten Schritt darstellen. Es besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf, um den Einsatz von Lehm als Baustoff zu fördern.
Autor:innen: Christina Sonnborn, Simon Waigand, Markus Kersting, Architektur-Contor Müller Schlüter (ACMS)
www.acms-architekten.de
Foto: Julia Sonnborn
Projektbeteiligte:
Bauherr
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), Münster
Architekten
ACMS Architekten GmbH, Wuppertal
Gebäudetechnik Ingenieur GmbH Schmidt & Willmes, Arnsberg
Tragwerksplanung, Bauphysik Kempen Krause Ingenieure, Köln/Aachen
Gutachter ZiE
Jäger Ingenieure GmbH, Radebeul
Landschaftsarchitektur
studio grüngrau, Düsseldorf
Hersteller
conluto Vielfalt aus Lehm, Blomberg
Fördergeber
Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück
Materialprüfanstalt
MFPA Leipzig GmbH, Leipzig