Fassaden, Abbilder des städtischen Raums

DBZ Heftpartner Manfred Wenzel, TEK TO NIK Architekten und Generalplaner, Frankfurt a. M.

DBZ Heftpartner Manfred Wenzel, TEK TO NIK Architekten,
Frankfurt a. M.
Foto: Andreas Stimpert

DBZ Heftpartner Manfred Wenzel, TEK TO NIK Architekten,
Frankfurt a. M.
Foto: Andreas Stimpert


Eine Fassade kann in heutigen Zeiten alles und nichts sein: tektonisch gefügte Struktur oder flächig gespannte Membran, nachhaltig im Sinn der Kreislaufwirtschaft, ausgewählte Materialien oder medial aufgeladene Fassaden-Show. Das Spektrum ist so faszinierend wie auch beliebig. Darüber hinaus scheinen sich die Grenzen der Architektur in den Fassaden aufzulösen oder zumindest zu scheiden, insbesondere in Bezug auf deren Auftrag: Mission oder Vision im innerstädtischen Raum. Wie städtischer Raum im Zusammenspiel mit Architektur hervorgerufen, geformt und gestaltet werden kann – speziell durch den Einsatz unterschiedlicher Fassaden-Bilder – darauf haben wir, in der Zusammenarbeit mit der DBZ-Redaktion, ein besonderes Augenmerk gelegt.

Ist doch die Fassade eines der letzten gestalterischen Reservate der Architekt:innen. Viele andere Fachbereiche werden zunehmend von Expert:innen dominiert, die unter Bezug auf vielerlei Vorschriften und Regularien den architektonischen Gestaltungswillen immer mehr einengen. Wir als TEK TO NIK Architekten skizzieren, entwerfen, entwickeln unsere Fassaden zunächst eigenständig im Büro. Erst, wenn sie in vielerlei Hinsicht „tragen“, ziehen wir Fachfirmen mit deren Expert:innen zu Rat. Jenseits der entwurflichen Sphäre stoßen wir dann buchstäblich in neue Dimensionen vor. Die Fassade erhält dann nicht nur räumlich eine unvermutete Komplexität und Tiefe, die wir anfänglich nur unvollständig erahnen können. Technik, modernste digitale Tools und Materialien treiben und prägen zusehens die Entstehung und das Erscheinungsbild heutiger Architektur. Was vormals unter dem Vorzeichen des Handwerks ausgeführt wurde, ist längst zu einer Domäne von Forschung und Entwicklung geworden. Wir stellen uns dazu, sehen uns berufen, daran mitzuwirken.

Eines der Bücher, welches während meines Architekturstudiums einen gewissen Kultstatus erlangte, war „Learning from Las Vegas“ von der inzwischen legendären Denise Scott Brown. Darin verschmelzen Fassaden und Gebäude zu dem geflügelten Begriff des „decorated shed“. Was sich dahinter verbirgt, ist der formale Niedergang der Moderne, die von Scott Brown und ihren Mitautoren gnadenlos kritisiert wird. In ihrer post-modernen Lesart erstarrte die Moderne an ihrem Formalismus, Fassaden wurden ausdruckslose Flächen ohne „symbolism of architectural form“.

Seitdem ist viel Zeit vergangen und wir sind inzwischen von der Post-Moderne in der Spät-Moderne angekommen. Jenseits aller Funktionalität und Sinnhaftigkeit von Architektur treten neue Wertigkeiten auf den Plan. Einige sprechen dabei auch von einem Paradigmenwechsel: weg von einer fehlgeleiteten Moderne und architektonisch irreführenden Post-Moderne hin zu einer spät-modernen Architekturbeziehung. Vorweg – interessanterweise – einige von Deutschlands führenden Sozio­logen (1).

Der Paradi­gmenwechsel in unserer Arbeit lässt sich erstmalig in unserem Projekt der Frankfurter Mainzer Landstraße 47 erkennen. Als Material wählten wir selbsttragenden, soliden Naturstein, ein archaischer Baustoff, interpretierten ihn allerdings mit Hilfe modernster Planungs- und Fertigungsmethoden neu. Zwar führen wir das Wort „Tektonik“ als Büronamen, was in der Architektur traditionell als die Lehre von der Zusammenfügung starrer Teile verstanden wird, aber unser Verständnis davon ist vielseitig, vielschichtig und vielgesichtig. Nicht, dass wir auf diese eine Materialität fixiert wären. Wir versuchen Fassaden immer neu zu lesen bzw. neu aufzustellen.

Fassaden in ihrer Funktion als Abbild des städtischen Raums sollten wieder über Qualitäten (z. B. Materialität, Ausdruck, Solidität, Innovation etc.) verfügen, die aus dem oben benannten Symbolismus ihren Ursprung und ihre Kraft schöpfen. Die seit der Post-Moderne anhaltende Krise des Narrativen ist wieder frisch aufzuladen, zu variieren und interpretieren.

Fassaden sollten wieder zu Palimpsesten unserer urbanen Identität werden! Im Einklang mit Tiefgang und Sinnhaftigkeit, mit Nachhaltigkeit, Funktionalität und Schönheit müsste dies gelingen.

1) Ich verweise hier vorrangig auf die aktuellen Publikationen von Armin Nassehi, Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa

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