Ein Schreibtisch auf dem Land

Coworking-Spaces sind in den großen Metropolen entstanden: Das Café St. Oberholz in Berlin Mitte gilt vielen als Epizentrum dieses Trends, der in den Nullerjahren aus Amerika nach Deutschland schwappte. Die digitale Bohème war erfunden. Warum aber nutzen so wenige das Konzept auf dem Land? Gerade in dünn besiedelten und strukturschwachen Regionen bieten sie Infrastruktur sowie Gelegenheit zum Netzwerken. Ein Gespräch mit ­Nicole Dau von der Genossenschaft CoWorkLand über die Chancen und Schwierigkeiten für Coworker im ruralen Raum.

Frau Dau, kommt der Trend zum gemeinsamen Arbeiten in temporär angemieteten Räumen nun auch in den Dörfern an?

Nicole Dau: Das Modell war zu Beginn tatsächlich ein nahezu ausschließlich städtisches Phänomen. Hier gab es die Gründerszene, viele Gleichgesinnte, die sich für einzelne Projekte zusammenfanden oder keine Lust mehr hatten, als Einzelkämpfer allein am heimischen Schreibtisch vor sich hinzubrüten. Als wir 2017 mit unserem von der Heinrich Böll Stiftung unterstützten Projekt begannen, stand deshalb auch noch die Frage im Raum: Kann das Modell auf dem Land überhaupt funktionieren? Und wenn ja: Müssen wir das Konzept anpassen, um den Bedürfnissen der ländlichen Bevölkerung besser gerecht zu werden? Es war ziemlich schnell klar, dass wir dem ländlichen Raum das städtische Konzept nicht einfach so überstülpen können.

Wie sah das Projekt aus?

Damals sind wir mit mobilen Pop-up Coworking-Spaces – das sind als Büro ausgebaute Wechselbrücken, ähnlich Überseecontainern – in die Kommunen gefahren und haben das Angebot vor Ort unter wissenschaftlicher Begleitung und Auswertung getestet. In zwei Jahren haben wir dabei 250 qualifizierte Interviews mit Nutzer:innen und 50 weitere mit Betreiber:innen geführt. Daraus ergab sich ein klares Bild, dass der Bedarf zu gemeinsamen Arbeitsplätzen auf dem Land vorhanden ist, dass es aber schwieriger ist, solch ein Angebot zum Erfolg zu führen.

Warum?

Beim Coworking auf dem Land ist das gemeinsame Arbeiten oft nur ein Aspekt unter vielen. Meist sind die kleineren Gemeinden ja schon stark vom demografischen Wandel betroffen, Infrastrukturen, wie der öffentliche Nahverkehr, schnelles Internet und soziale Einrichtungen sind nicht vorhanden oder decken nicht den Bedarf. Deshalb muss man Coworking auf dem Land eher als Teil der Regionalentwicklung sehen. Es geht fast immer auch darum, einen Ort dörflicher Gemeinschaft zu schaffen, der mehr bietet als nur schnelles Internet und einen Schreibtisch – was in der Stadt oftmals schon ausreicht.

Welche Angebote sind denn im ländlichen Raum besonders gefragt?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Jede Region hat ihre Eigenheiten, weshalb man sich die Situation vor Ort genau anschauen und mit den Menschen reden muss, um herauszufinden, welcher Bedarf tatsächlich besteht. Der Gedanke des Netzwerkens hat deshalb auf dem Land eine viel größere Bedeutung als in der Stadt. Während ich in Berlin oder Hamburg vielleicht nur einen geeigneten Raum finden muss, die Ausstattung kaufe und ein bisschen Werbung mache, sollte ich als Betreiberin auf dem Land die möglichen Kund:innen bereits bei der Entwicklung des Konzepts mit einbinden. Was fehlt vielleicht im Dorf? Braucht es ein Angebot zur Kinderbetreuung? Oder vielleicht einen Gemeinderaum? Können im Büro nach Feierabend vielleicht kulturelle Veranstaltungen stattfinden? Es geht darum, eine Community zu bilden, die sich gemeinsam für das Leben und Arbeiten auf dem Land einsetzt und verlorene soziale Strukturen wieder herstellt – und bestenfalls sogar neue entwickelt. Wir bilden das mit unserer Genossenschaft ab, in dem wir dezentral über das Bundesgebiet verstreut leben und arbeiten. Wir haben zwar ein Büro in Kiel, aber jeder ist in einer anderen Region beheimatet, in der sie oder er sich auskennt und bei der Gründung von Coworking Spaces beratend zur Seite stehen kann.

Wie ging es dann nach dem Pilotprojekt weiter?

Es hat sich schnell gezeigt, dass sich viele Kommunen für das Modell interessieren und an uns herangetreten sind, damit wir ihnen dabei helfen, es zu verstetigen. Leerstand und das Verwaisen der alten Dorfkerne zugunsten von Neubaugebieten auf der grünen Wiese sind überall ein Thema. Deshalb haben wir die eG gegründet, mit der wir beratend bei der Gründung neuer Coworking-Spaces auf dem Land tätig sind. Gleichzeitig sind wir auch noch mit den Pop-up Spaces unterwegs und betreiben begleitende Forschung. Als wir damit angefangen haben, gab es je nach Definition fünf bis sieben Coworking-Spaces auf dem Land, heute sind es deutlich mehr als hundert. Das Modell funktioniert. Und natürlich hat es durch Corona noch einmal einen deutlichen Schub bekommen. Dadurch, dass die Menschen das vielfältige Angebot in der Stadt ohnehin nicht mehr wahrnehmen konnten, wurde das freie Leben auf dem Land für viele wieder interessanter. Gleichzeitig bauten die Unternehmen ihre digitalen Ressourcen aus. Die Möglichkeiten zur Heimarbeit stiegen rapide an.

Warum sollte jemand, der sich für das Landleben entscheidet und bequem von Zuhause arbeiten kann, einen Coworking-Platz mieten?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Viele, die auf dem Land leben, wollen zwar die Pendelzeiten in die Stadt aus gesundheitlichen, familiären und auch klimatischen Gründen reduzieren – aber sie wollen trotzdem unter Menschen sein und sich austauschen. Da ist ein Coworking-Space natürlich ideal, weil ich ihn vielleicht in einer halben Stunde mit dem Rad erreichen kann, anstatt eine Stunde oder länger mit dem Auto in die Stadt zu pendeln. An manchen Orten fehlt auch schlicht noch immer die digitale Infrastruktur, um auf dem Lande wirklich von Zuhause aus arbeiten zu können. Und auch auf dem Land zählt natürlich der professionelle, kreative Austausch mit anderen, um die eigenen Ideen voranzubringen. Aber in einem Dorf kann der Coworking-Space natürlich auch ein Ort sozialer Integration sein, an dem Neuankömmlinge auf Gleichgesinnte treffen, Gelegenheit bekommen, sich für das Dorfleben zu engagieren und zu integrieren.

Gerade Architekten und Bauingenieurinnen berichten, dass sie außerhalb der Ballungszentren oft Schwierigkeiten haben, geeignetes Fachpersonal zu finden – vor allem, wenn es sich um kleine Bauaufgaben wie die Sanierung von Bauernhäusern und Scheunen handelt. Gibt es bereits Coworking-Spaces, die sich auf Aufgabengebiete spezialisieren, um zum Beispiel Architektinnen, Energieplaner und Restauratoren zusammen zu bringen?

Das ist mir nicht bekannt und ich weiß auch nicht, ob das so sinnvoll wäre. Der Grundgedanke besteht ja gerade darin, das unterschiedliche Branchen zusammenkommen und im Idealfall neue, ungewöhnliche Kollaborationen entstehen. Mir ist zum Beispiel ein Fall bekannt, bei dem ein Meeresbiologe, der sich in einem Coworking-Space eingemietet hat, lange Zeit auf der Suche nach einer bestimmten Art von Netz war, um Proben zu sammeln. Nachdem er vergeblich danach recherchiert hat, erzählte er an der Kaffeemaschine einer anderen Nutzerin davon. Wie sich herausstellte, schneiderte sie Sonnensegel und bot ihm gleich an, ihm das Netz nach seinen Wünschen zu nähen. Warum sollten Architekten nicht davon profitieren, dass am Nachbartisch eine Chemikerin oder ein Künstler arbeitet? Vielleicht entwickeln sie gemeinsam eine Idee für einen neuen Baustoff oder machen sich gemeinsam Gedanken über die ästhetische Ausgestaltung eines Projekts. Die Möglichkeiten sind endlos. Und sei es nur, dass man nach Feierabend neue Bekanntschaften schließt und das Dorf so zu einem ausgewogenen Mittelpunkt zwischen Arbeiten und Leben wird.

Interview: Jan Ahrenberg/ DBZ

Weiterführende Links:

CoWorkLand Genossenschaft,

www.coworkland.de/de
German Coworking Federation,

www.coworking-germany.org
Coworking Map, www.coworkingmap.de
Projekt Landinventur des Thünen-Instituts zur ländlichen Entwicklung, www.landinventur.de/map

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