Die Probleme unserer Zeit sind lösbar,
wenn wir es wollen!
Eigentlich wissen wir, dass wir keine Zeit mehr haben, die so dringend erforderliche Bauwende noch weiter aufzuschieben. Ein kleiner Leitfaden für Architekten und Ingenieurinnen, um vom Reden endlich ins Handeln zu kommen.
Wettbewerbsentwurf „neues Stöckach“ in Stuttgart; Haas Cook Zemmrich Architekten, Transsolar, KNP und C4 engineers, in Zusammenarbeit mit Holzbau Rubner und Leipfinger Bader
Visualisierung: Haas Cook Zemrich Studio 2050
Es ist Zeit, zu handeln
„Im Jahr 2023 haben Anomalien wie hohe Temperaturen, die Erwärmung der Ozeane und häufigere Waldbrandereignisse neue Rekorde erreicht, das zeigt ein neuer Bericht eines internationalen Forscherteams, darunter Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Die Forschenden stellten fest, dass diese Rekorde die lebenswichtigen Funktionen der Erde schwächen und warnen, dass die immer häufiger auftretenden klimabedingten Ereignisse möglicherweise das Leben auf der Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts gefährden könnten, wenn die Entwicklung wie bisher weitergeht.“ [1] Daher drängt die Zeit, den erforderlichen Wandel im Bauwesen zu bewirken.
Handabdruck nutzen
Der ökologische Fußabdruck des Bauwesens ist noch immer viel zu groß. Gleichzeitig wird aber der mögliche Handabdruck unterschätzt. Dieser ist gigantisch.
Mit „Handabdruck“ [2] sind alle Hebel-Effekte des persönlichen Verhaltens gemeint, die durch die Veränderung vorhandener Paradigmen zu einer enormen Wirkung bei der Reduktion von Treibhausgasen im Bauwesen führen können. Zur Veranschaulichung: Laut Statistik emittiert der durchschnittliche Deutsche derzeit 10,5 t Treib-hausgase [3]. Wobei sich bspw. durch die Vermeidung eines Langstreckenflugs nach New York ca. 1,5 t CO2 einsparen ließen. In nur einem durchschnittlichen Hochbauprojekt lassen sich regelmäßig allein in der Konstruktion mehrere 100 Tonnen Treibhausgase einsparen. Der mögliche Handabdruck in der Bauplanung ist im Vergleich also gigantisch.
In vielen Projekten herrscht noch das Paradigma vor, dass ein Bürogebäude zu Gunsten der Nutzerflexibilität Deckenspannweiten von 8,10 m aufweisen müsse. Dieser Standard entwickelte sich oftmals aus der Stellplatzanordnung in der Tiefgarage und den Möglichkeiten von Flachdecken im Stahlbetonbau. Halbiert man die Spannweite eines Deckentragwerks, so führt dies, unabhängig vom Material, zu einer Reduktion des zum Lastabtrag benötigten Materialvolumens und der damit verbundenen Emission von Treibhausgasen um bis zu 60 %.
Eine Reduktion üblicher Nutzlasten auf ein Mindestmaß ist zu überdenken. Büroflächen werden i. d. R. mit einer Nutzlast von 5 kN/m² ausgelegt. In Wirklichkeit sind die normativ vorgegebenen 2 kN/m² aber meist für eine übliche Büronutzung völlig ausreichend. Unnötige Lasterhöhungen führen zu einem erhöhten Materialverbrauch und damit einhergehenden Treibhausgasemissionen (sowie Baukosten).
Der größte Hebeleffekt lässt sich durch den Erhalt und die Revitalisierung von Bestandsgebäuden erreichen. Die bei der Erstellung des Bestandsbauwerks entstandenen sowie die bei einem Abriss anfallenden Grauen Emissionen lassen sich bei einer Revitalisierung vermeiden. Im Rahmen einer Entwurfsstudie für das „Neue Stöckach“ in Stuttgart [4], konnten wir für das Tragwerk nachweisen, dass durch Aufstockung und Erweiterung des Bestands in Holzbauweise im Vergleich zu einem geometrisch identischen Neubau in herkömmlicher Stahlbetonbauweise ungefähr 3 400 t der Treibhausgasemissionen eingespart werden können (entspricht 96 % der Gesamtemission des Tagwerks).
Vergleichende Berechnung der CO2- Emissionen im Lebenszyklus für eine Revitalisierung des Bestands und Aufstockung vs. einem identischen Neubau in Stahlbeton
Grafik: C4 engineers GmbH
Zur Beurteilung und Beeinflussung von Treibhausgasemissionen und Grauer Energie sind Ökobilanzierungen für den Lebenszyklus ein wesentlicher Entscheidungsparameter. „Eine planungsbegleitend angewandte Ökobilanzierung hilft, Materialien, Konstruktionsweisen und einen Gebäudeentwurf in Varianten der Umweltauswirkungen zu prüfen und zu optimieren.“ [5]
Schon die Substitution von herkömmlichen Baustoffen durch Materialien mit einem geringerem GWP (global warming potential) kann den Handabdruck deutlich beeinflussen. Ersetzt man beispielsweise Baustoffe wie Stahlbeton oder Stahl durch Holz, so können allein durch die Substitution 30–60 % der durch den Herstellungsprozess bedingten Emissionen vermieden werden.
Vergleichsberechnung Lebenszyklus Konstruktion neue Feuerwehr in Fellbach, Zeeb Digel Architekten PartGmbB
Grafik: C4 engineers GmbH
Holzkonstruktionen speichern das im Holz gebundene Kohlendioxid im Bauwerk. Ziel muss es sein, möglichst langlebige und kreislauffähige Bauwerke zu schaffen sowie das Holz am Ende des Lebenszyklus weiterzuverwenden.
Leider wird oftmals die ausreichende und nachhaltige Verfügbarkeit von Holz in Deutschland in Frage gestellt. Fakt ist: Im Mittel werden in Deutschland ca. 75 Mio. m³ Rohholz geerntet [6], davon stehen etwa 40 Mio. m³ dem Bauwesen als Schnittholz zur Verfügung [7], wobei davon wiederum ungefähr die Hälfte derzeit noch auf mineralischen Baustellen landet [8] und am Ende der Baustelle vermutlich verbrannt wird. Im Jahr wachsen in deutschen Wäldern ungefähr 120 Mio. m³ Holz nach und sorgen somit für eine nachhaltige Forstwirtschaft, die niemals mehr Holzvolumen entnimmt als im heimischen Wald nachwächst. Infolge der Klimaerwärmung mussten 2022 ca. 40 Mio. m³ Schadholz als Folge des Klimawandels geerntet werden [9]. Es geht also schon lange nicht mehr darum, alle Bäume im Wald zu belassen. Im Gegenteil: Wir müssen die geschädigten Bäume rechtzeitig ernten, um dem Wald nicht zu schaden und das Holz einer dauerhaften Nutzung zuzuführen (Holzhäuser, Möbel, …). Nur so kann das im Holz sequestierte Kohlendioxid langfristig gebunden werden und ein Freisetzen durch Verrottung oder Verbrennung verhindert werden.
Fazit
Planerinnen und Planer haben einen gigantischen Hebel zur Minimierung der Klimawirkung im Bauwesen. Schon heute sind nahezu klimaneutrale Tragwerke in den meisten Fällen relativ einfach und preiswert umsetzbar. Dafür sind ein Paradigmenwandel und die Bereitschaft, die persönliche Komfortzone zu verlassen, erforderlich. Ein „weiter so, wie bisher“ führt zu einer fortschreitenden Klimaerwärmung, die unsere Lebensgrundlage „Natur“ und unseren Wohlstand gefährden.
Die Probleme unserer Zeit sind lösbar, wenn wir es wollen. Die notwendige Bauwende bietet großartige Chancen für die Wirtschaft, die Nachhaltigkeit, die Kultur, die Innovation und den Fortschritt. Hands on!
Autoren: change for engineers – engineers for change
www.c4engineers.com
Foto: Rafael Krötz / C4 engineers GmbH
Quellen
[1] https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/vitalzeichen-fuer-die-gesundheit-der-erde-erreichen-im-jahr-2023-neue-rekordwerte
[2] Gabriel Baunach: Hoch die Hände Klimawende. Edition Michael Fischer, München 2023
[3] https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/konsum-umwelt-zentrale-handlungsfelder/klimaneutral-leben-verbraucher-starten-durch-beim%20-%20textpart-2#bedarfsfelder
[4] https://www.iba27.de/jury-praemiert-innovative-holzbau-entwurfsstudie-fuer-den-neuen-stoeckach-in-stuttgart/
[5] „Ökobilanzierung als Entwurfsparameter“ Elise Pischetsrieder, NBau Nr. 5 im Oktober 2023
[6] https://www.thuenen.de/de/fachinstitute/waldwirtschaft/zahlen-fakten/holzeinschlag-und-rohholzverwendung
[7] https://www.thuenen.de/de/fachinstitute/waldwirtschaft/zahlen-fakten/holzeinschlag-und-rohholzverwendung
[8] Bachelorarbeit Hendrick Schardey: Stand der Rohstoffnachhaltigkeit und ihre Anforderungen an den Baustoff Holz, Prof. Dr. Michael Rumberg, Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg
[9] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_26_p002.html