Standpunkt DBZ Heftpartner Titelthema Öffentliche Bauten

Öffentliche Bauten sind substanziell für die „Seele der Stadt“

DBZ Heftpartner Martin Bez und Thorsten Kock, Bez + Kock Architekten, Stuttgart

„Baust du einen Weg, ein Haus, ein Quartier, dann denke an die Stadt!“ Diese von Luigi Snozzi elegant formulierte Wechselbeziehung von Stadt und Haus, die Verschränkung von Privatheit und Öffentlichkeit definiert für uns eine wichtige Startposition beim Entwerfen öffentlicher Bauten. Auch in unserem Verständnis produziert jedes Haus ein Stück Stadt, partizipiert es an ihr. Und je stärker der öffentliche Charakter des Hauses ist, umso stärker wirkt es auf die Stadt.

Das, was bereits 1748 in Giovanni Battista Nollis Plan für Rom das Wesen einer Stadt ausmacht, sind für uns die öffentlichen Zwischenräume der Gebäude und die Innenräume öffentlicher Bauten. Durch deren Zusammenspiel entfaltet sich städtisches Leben, wird Stadt erst zur Stadt.

Auch für Aldo Rossi sind die öffentlichen Bauten etwas ganz Besonderes. Er versteht sie als „Fixpunkte in der städtebaulichen Dynamik“, die er deshalb als „primäre Elemente der Stadt“ bezeichnet. Diese besonders wichtigen Stadthäuser sollten in ihrer architektonischen Form so gestaltet sein, dass sie im Laufe der Zeit auch unterschiedliche Funktionen aufnehmen können. Den primären, „dauerhaften“ Gebäuden stellt Rossi die privaten Wohnbauten als veränderbare, „sekundäre Elemente der Stadt“ gegenüber.

Rossis klare typologische Einteilung bildet für uns eine wichtige Referenz – bezogen auf den städtebaulichen Kontext unterscheiden wir jedoch eher in „agierende“ oder „reagierende Häuser“. Darunter verstehen wir öffentliche Bauten, die auf ihren Kontext bezogen „agieren“, also einen starken eigenen Impuls setzen, oder „reagieren“ und sich behutsam aus der bestehenden Stadtstruktur heraus entwickeln. Auch hier gibt es Abstufungen, doch ganz sicher ist es nicht der selbstverliebte, in seinem Gestus isolierte Solitär, sondern vielmehr das mit der Stadt vernetzte, offene Haus, das dazu den entscheidenden Beitrag leistet.

Die von uns entworfenen öffentlichen Bauten begreifen wir als „kontextuelle Solitäre“, die den Anspruch erheben, nicht nur aus dem umgebenden Stadtraum heraus gedacht zu sein, sondern gleichzeitig durch ihre gestalterische Eigenständigkeit und Prägnanz zu einer stärkeren Identität des Ortes beizutragen. Genau das war unser Entwurfsansatz für das Museums- und Kulturforum in Arnsberg, das über seine öffentliche Nutzung hinaus auch identitätsstiftend wirken soll und die Stadtbewohner einladen möchte, Teil dieses Hauses zu werden. Dabei ist Prägnanz nicht zu verwechseln mit Auffälligkeit – nur ersteres hat Substanz.

Dass die Einlösung dieses höheren Anspruchs durchaus auch bei kleineren und weniger spektakulären Projekten als dem Centre Pompidou oder der Elbphilharmonie gelingen kann, möchten wir mit den hier ausgewählten Häusern zeigen. Gemein ist allen, dass sie sich als kontextuelle Bauten verstehen, die – ganz im Verständnis von Snozzi – immer die Stadt im Blick haben und mit ihr einen Dialog initiieren. Öffentliche Bauten sind für die „Seele der Stadt“ von substanzieller Bedeutung, daran hat sich bis heute nichts geändert.

James Stirling hat 1977 bei seinem Entwurf der Neuen Staatsgalerie in Stuttgart betont, ein Museum dürfe als öffentliches Gebäude durchaus ein Zeichen setzen, denn eine Stadt brauche Monumente. Und gerade in Zeiten virtueller Räume und zunehmend digitaler Lebenswelten bedarf es aus unserer Sicht solch identitätsstiftender, zeichenhafter Monumente und deren besonderer Atmosphäre: Deshalb ist dieses Statement immer noch ein höchst aktuelles Plädoyer dafür, Museen, Bibliotheken oder Theater als physisch erfahrbare, öffentliche Orte in der Stadt zu erhalten und sie mit Leben zu erfüllen.

Es erfüllt uns mit Freude zu sehen, wie sehr die Menschen trotz des „Digitalisierungsschubs“ der letzten Monate nicht allein mit virtuellem Ersatz zufrieden sind, sondern nach dem physischen Kulturerlebnis dürsten. Das zeigt, dass uns um Bestand und Bedeutung der Architektur nicht wirklich bange sein muss.

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