Berliner Baulückenschluss

Wohngebäude mit Verbrauchermarkt „pa1925“, Berlin

Der gemeinschaftliche Gartenhof auf dem Dach des Verbrauchermarktes ist ein überzeugender, urbaner Bautypus, der im Projekt „pa1925“ von zanderrotharchitekten architektonisch herausragend realisiert worden ist.

DBZ Heftpate Eike Becker

Das bauliche Potential nach dem Mauerfall war vor allem in Berlin enorm. Zahlreiche Baulücken klafften auch knapp 50 Jahre nach Kriegsende noch in der städtischen Struktur, die noch auf der Parzellierung der Gründerzeit basierte, mit Blockrandbebauung, mitunter zweiter und dritter Bebauungsreihe und dazwischen­liegenden Hinterhöfen. Zeitgleich kamen immer mehr Menschen, nicht zuletzt weil in der neuen Hauptstadt Berlin eine große Aufbruchstimmung herrschte, die der ideale Nährboden für ein neues Lebensgefühl im Neu­anfang sein sollte.

Bauaufgabe Baulücke

Der Stadtteil Prenzlauer Berg liegt nördlich der beiden zentralen Stadtteile Mitte und Friedrichshain, also auf ehemaligem Ost-Berliner Terrain, mit überwiegend fast orthogonaler Stadtstruktur und dichter Blockrandbebauung aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert. In der Pasteurstraße 19 – 25, nahe des Arnswalder Platzes, wurde eine recht große Baulücke zu DDR-Zeiten mit einem eingeschossigen, architektonisch eher pragmatisch gestalteten Supermarkt-Gebäude gefüllt, das die freie Fläche immerhin mit einer Nutzung versah. Die Stadtwunde jedoch blieb. Diesen Fehler aus dem Blickwinkel der Architektur und des Städtebaus in der Stadtstruktur haben die beiden Architekten Christian Roth und Sascha Zander bei Stadt-Recherchen ausgemacht: „Wir fanden das Grundstück spannend und haben deshalb versucht herauszufinden, wem es gehört. Schließlich gelang es uns, das Grundstück über eine Option, also ohne direkte Geldzahlung, zu erwerben“, erzählt Christian Roth aus der Entstehungsphase des Projekts.

Danach haben die beiden quasi proaktiv ein Konzept entwickelt, wie man die Baulücke mit Wohnungen und integriertem Supermarkt füllen kann. Mit ihrem Konzept „pa1925“ (von Pasteurstraße 19 – 25) gingen sie schließlich über Immobilienplattformen im Internet auf die Suche nach einem Bauherrn. Damit sind sie den sonst üblichen Weg quasi in die umgekehrte Richtung gegangen: „Diese Art der Vorplanung machen wir relativ häufig. Derzeit aber wird das immer schwieriger, auch weil es schwieriger wird, ein Grundstück überhaupt mit einer Option zu erhalten.“ Christian Roth macht keinen Hehl daraus, dass im derzeit sehr angespannten Wohnungsmarkt oft leider keine Türen für unkonventionelle Wege und Experimente offen sind. Grundstückseigentümer suchen oft nach dem direkten Profit.

Behutsam eingefügt

Dennoch oder gerade deswegen: Für ein solches Projekt in derart guter Lage hat sich schnell ein Bauherr gefunden. Genau genommen sind es für die Eigentumswohnungen und den Supermarkt sogar mehrere, die sich zur „Baugemeinschaft Pasteurstraße 19 – 25 GbR“ zusammengeschlossen haben und fortan gemeinsam mit den Architekten das Projekt begleiteten. Entstanden sind so 51 Wohnungen, die in insgesamt vier Gebäuden untergebracht sind. Der ehemals freistehende Supermarkt ist im Erdgeschoss untergebracht, das zusammen mit Parkflächen einen Großteil der gesamten Grundstücksfläche einnimmt.

Das vier Parzellen breite Vorderhaus schließt die Baulücke nun komplett, nimmt die unterschiedlich hohen Traufhöhen der bestehenden Gebäude links und rechts auf und vermittelt mit unterschiedlichen Formen, Tiefen und Materialien in der gründerzeitlichen Bauflucht der Pasteurstraße. Dahinter entsteht durch die Anordnung der drei (die Architekten nennen sie) „Gartenhäuser“ im Prinzip auf dem Dach des Supermarkts ein zentraler „Gartenhof“, ein grüner Lebensraum inmitten der Stadt, der von allen Bewohnern der Anlage als geschützter Bereich gemeinschaftlich genutzt werden kann. Zwischen den Häusern entstehen seitlich im Zusammenspiel mit den Gebäuden der Nachbargrundstücke außerdem vier kleinere Höfe, die sich in Form, Größe und Nutzung jeweils unterscheiden.

Urbanes Bauen bedeutet im Fall der Nachverdichtung immer, das neue Bauwerk mit dem Bestand sinnvoll zu vereinen. In der Pasteurstraße sind die Gründerzeitbauten teilweise noch recht original erhalten und teilweise „weitermodernisiert“. Die Planer von zanderrotharchiteken nahmen für die Fassade des Vorderhauses dazu zunächst den Rhythmus der Straßenflucht auf und übersetzen ihn in ein Fassadenraster mit klar voneinander getrennten horizontalen und vertikalen Elementen. „Das Haus ist formal unterteilt, die Körnung passt sich den alten Parzellen an“, ergänzt Christian Roth. Hinzu kommt ein ausgeklügeltes und abwechslungsreiches Spiel mit der Tiefe, erzeugt durch faltbare Sonnenschutzelemente, die das Fassadenbild dominieren. Sie bestehen aus geschosshohen Streckmetall-Lamellen, die sich komplett über die gesamte Wohnungsbreite verschließen lassen oder, geöffnet, markant von der Fassade abstehen. Dadurch entsteht eine Art transluzente Fassadenoptik, die das Gebäude je nach Tageszeit, Beleuchtung bzw. Sonneneinstrahlung und Nutzung zwischen offen und geschlossen, leicht und schwer oder hell und dunkel pendeln lässt. So gelingt den Architekten an der Straßenfassade – die immerhin eine attraktive Südfassade ist – die Verbindung zwischen dem Straßen- und Wohnraum, ohne dafür die nötige Privatheit aufs Spiel zu setzen.

Gesundes Wohnen in der Stadt

Im Blockinneren konnte von den Architekten etwas freier gestaltet und vor allem der Bezug zum gemeinschaftlichen Innenhof verstärkt werden. Optisch vorherrschend sind hier die durchlaufenden Balkonbänder mit rohen Sichtbetonbrüstungen, mit denen ein fließender Übergang zwischen Wohn- und Außenraum erzeugt werden soll. Welchen Grad diese Verbindung zwischen innen und außen einnimmt, ergibt sich über das Zusammenspiel zwischen Außenhaut und Innenraum, sprich: Die Fassade und natürlich das Tragwerk wurden noch von den Architekten entwickelt, innen durfte jeder Eigentümer selbst über die Raumaufteilung und Ausstattung entscheiden. Diese Basisdemokratie machte den Planungsprozess natürlich nicht einfacher, führte jedoch auch zu einem extrem hohen Individualisierungsgrad. „Da es außerdem keinen Bauträger gab, der das Risiko hätte tragen müssen oder sogar auf Gewinn ausgerichtet ist, konnte die Qualität auf einem hohen Niveau gehalten werden“, erläutert Christian Roth. Die einfache Rohbau­struktur bietet den Bewohnern auch zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, auf sich verändernde Nutzungsbedingungen im Grundriss zu reagieren.

So ist beim Projekt „pa1925“ eine gute Mischung aus 60 – 200 m² großen Wohnun­gen mit drei bis sechs Zimmern entstanden, die sich zum Teil sogar über zwei Geschosse erstrecken. Raumhohe Fensterflächen sorgen für helle Räume und verstärken den Bezug zum Außenraum. Auch das ist wichtig in einer Großstadt wie Berlin: Jeder Wohnung ist ein privater Außenbereich mit Balkon, Terrasse, Garten oder Dachgarten zugeordnet. Den beiden Architekten Sascha Zander und Christian Roth mit ihrem Team ist somit eine gesunde und wohltuende Nachverdichtung gelungen, die eine alte, geradezu notdürftig versorgte Wunde im Stadtgefüge wieder schließt und zukünftig zur Aufwertung des Quartiers beiträgt. Thomas Geuder, Stuttgart

Baudaten

Objekt: pa1925
Standort: Pasteurstraße 19 – 25, Berlin
Typologie: Geschosswohnungsbau mit Mischnutzung aus Wohnen und Gewerbe
Bauherr: Baugemeinschaft Pasteurstraße 19 – 25 GbR
Architekten: zanderrotharchitekten gmbh, Berlin, www.zanderroth.de
Team Architekten: Christian Roth, Sascha Zander, Michael Spieler, Anne Kaiser, Tilman Heiring, Jan Conradi, Nils Schülke, Elisabeth Schwarz, Ronny Bittner
Projektentwicklung: SmartHoming GmbH, Berlin, www.smarthoming.de
Team Projektentwicklung: Sascha Zander, Claudia Schlüter, Kirka Fietzek, Irina Willing
Bauzeit: 2010 – 2017

Fachplaner

Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Hippe, Berlin, www.hippe-ingbuero.de
TGA: Ingenieurbüro Prof. Dr. Loose GmbH, Berlin, www.ib-loose.de
Landschaftsarchitekten: Hager Partner AG, Berlin, www.hager-ag.de

Projektdaten

Wohnflächen: 7 088 m²
Brutto Rauminhalt: 64 235 m³
Brutto Grundfläche: 14 667 m²
Nutzfläche: 9 114 m²

Baukosten

Kostengruppe 100 – 700: 29,03 Mio. €

Hersteller

Pfosten-Riegel Fassade: Schüco International KG, www.schueco.com
Türen: Prüm Türenwerk GmbH,

www.tuer.de
Sonnenschutzelemente: Hartig GmbH, www.hartig-info.de
Dach Absturzsicherung: ZinCo GmbH, www.zinco.de
Klimaanlage: DAIKIN Airconditioning Germany GmbH, www.daikin.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 04/2018

Wohnen, Pasteurstraße 19-25, Berlin

Das Wohnensemble an der Pasteurstraße, das in Bauherrengemeinschaft mit 51 Wohneinheiten realisiert wurde, war als Baulückenschluss geplant. Es besteht aus vier unterschiedlichen Gebäuden und...

mehr
Ausgabe 05/2022

METROPOLENHAUS am Jüdischen Museum, Berlin

Nicht der Höchstpreis, sondern das Nutzungskonzept „Aktives Erdgeschoss“ war im Rahmen des Konzeptverfahrens rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt entscheidend. Das METROPOLENHAUS am Jüdischen...

mehr
Ausgabe 06/2013

Bürohaus DGNB Gold vorzertifiziert F40-Geschäftshaus, Berlin

Architektonische Kreativität gepaart mit Nachhaltigkeit finden sich bei vielen neuen Wohnbauten, aber im Bereich des Bürohausbaus finden sich diese Qualitäten, die eigentlich heute eine...

mehr
Ausgabe 09/2013

Viel Lärm um einen gelungenen Stadtbaustein Marthashof, Berlin

Seltsam, aber kaum ein anderes Wohnprojekt in Berlin der letzen Jahre wurde so heftig angegriffen wie Marthashof im Szenequartier Prenzlauer Berg. Gentrification und Gated Community wurden von nicht...

mehr
Ausgabe 12/2008

Wohnen in Berlin-Mitte Urbanität aus Pragmatismus mit einem Mehrwert für die Stadt

Oft wird in Berlin von einer Renaissance der Innenstadt gesprochen. Tatsächlich haben sich manche Stadtquartiere wieder mit einer jungen, wirtschaftlich aktiven Bevölkerung gefüllt, die urbane...

mehr