Ursprungsidee erhalten
Aquamotion de Courchevel/FR

Die Herausforderung war, für die anspruchsvolle Dachgeometrie eine Tragkonstruktion mit möglichst hoher Tragfähigkeit bei möglichst geringem Eigengewicht zu entwerfen. Die Ingenieure vom Ingenieurbüro Bollinger + Grohmann fanden dafür gemeinsam mit den Architekten von Auer Weber eine architektonische Lösung.

Das auf 1 500 Höhenmeter in einer Talsenke gelegene Erlebnisbad fügt sich elegant und dennoch mit einer angenehmen Dynamik in die umgebende Alpenlandschaft. Formprägendes Element ist dabei eine in zwei Richtungen gekrümmte Dachfläche über einem dreieckigen Grundriss, die sich wie eine sanfte Woge aus der Erde zu erheben scheint und sich Richtung Nordosten als auskragen­der Dachschirm öffnet. Der Schwung des Daches wird noch betont durch eine leicht schräggestellte Dachkante, die eine Höhe von nahezu 3 m aufweist. Hinter dieser Kante verbirgt sich ein Tragwerk aus Stahlfachwerkträgern mit einer statischen Höhe von 2 m. Das Gebäude ist samt diesem Haupttragwerk an drei Stellen in organischer Form eingeschnitten, so dass an der Südwestseite innenhofartige Außenbereiche mit Liegeplätzen und Außen­becken entstehen. Zudem ergänzen, ebenfalls nach Südwesten, verglaste Dachkuppeln die Struktur dieser fünften Fassade.

Die Dachkonstruktion

Gewonnen hatte das Architekturbüro Auer Weber den Wettbewerb gemeinsam mit einem festgelegten Planerteam. Die Zusammenarbeit mit dem zunächst mitwirkenden Ingenieurbüro gestaltete sich im weiteren Verlauf allerdings bezüglich der Stahlkonstruktion des Daches als schwierig, so dass im weiteren Projektverlauf das Büro Bollinger + Grohmann Ingenieure diesen Part übernahm. Den Inge-nieuren gelang es, die besondere Geometrie des Daches nicht nur technisch so umzusetzen, dass die Wettbewerbsidee exakt wieder­gegeben werden konnte, sondern diese zudem mit einem Minimum an Stützen zu realisieren. „Die zweifach gekrümmte Dachfläche hatten wir Architekten für den Wettbewerb durch Studien an Hand von Pappmodellen entwickelt. Nun brauchten wir eine Fläche, die sich auch berechnen ließ“, so Till Kamp, stellvertretender Projektleiter des Bauvorhabens aus dem Büro Auer Weber Architekten. „Bei der entwickelten Struktur handelt es sich um eine sogenannte Translationsfläche, also um eine abwickelbare Fläche. Sie bot den Vorteil, dass auch die untere Ebene des Daches in ein rechtwinkliges Raster mit konstanten Krümmungsradien aufgeteilt werden konnte.“ Das Haupttragwerk bildet dabei ein Gitter aus Fachwerkträgern, das auf 25 Stützen, zwei Kernen sowie drei Widerlagern aus Stahlbeton ruht. Letztere gewährleisten die horizontale Stabilität des Tragwerks.

Das Haupttragwerk

Gesucht wurde eine Tragkonstruktion mit möglichst hoher Tragfähigkeit bei möglichst geringem Eigengewicht. Zudem mussten die erhebliche Schneelast von bis zu 710 KN, in Teilbereichen sogar 1 400 KN, sowie hohe Windlasten berücksichtigt werden. Und noch ein dritter standortbedingter Faktor floss in die statischen Überlegungen ein: Das Gebäude befindet sich in einer Erdbebenzone, auf die ebenfalls konstruktiv reagiert werden musste.

Aus dem Entwurf heraus ergaben sich ebenfalls besondere Anforderungen an die Dachkonstruktion, wie Spannweiten von bis zu 29 m und eine Auskragung von 17 m. Auf Grund der unregelmäßigen Lage der Stützen und der Dachöffnungen erwies sich eine Gitterstruktur als wirtschaftlicher gegenüber einer Variante mit Haupt- und Nebenträgern, die ein regelmäßiges Stützenraster oder eine höhere Stahltonnage notwendig gemacht hätte. Die maximale Länge der Fachwerkträger des Haupttragwerks mit V-förmigen Diagonalen und zusätzlichen vertikalen Pfosten wurde durch die Transportmöglichkeiten der vorgefertigten Stahlbauteile und die Größe der Tauchbäder für die notwendige Feuerverzinkung vorgegeben.

Von der ursprünglichen Idee, das Dach begehbar zu machen, war man aus verschiedenen Gründen abgerückt. Unter anderem hätte dies eine Ausführung in Stahlbeton bedeutet, was wiederum ein zu hohes Eigengewicht mit sich gebracht hätte. Das Hauptdach wurde nun begrünt ausgeführt und passt sich so auch im Sommer gut in in die naturnahe Umgebung ein.

Bei den Stützen, auf denen die Haupttragstruktur liegt, handelt es sich um betongefüllte Rohre mit einem Durchmesser von 50 cm. Diese sind am Fuß- und Kopfpunkt gelenkig ausgebildet. Dadurch, dass die Widerlager auf einer Gebäudeseite angeordnet wurden, kann sich das Tragwerk frei über den gelenkig gelagerten Stützen ausdehnen. „Die gefrästen Gelenkpfannen an den Stützenköpfen und -füßen sind speziell von uns für dieses Detail entwickelt und maßgeschneidert angefertigt worden“, erklärt Klaas De Rycke von Bollinger + Grohmann, der das Projekt betreut hat.

Die Dachschalen

Betrachtet man das gesamte Gebäude, erscheinen die aufgesetzten Belichtungskuppeln relativ klein. Tatsächlich haben diese jedoch Spannweiten von bis zu 27 m. Die Schalen werden konstruktiv aus einer Serie parabolisch gebogener Stahlträger gebildet, die an den Obergurten der Fachwerkträger befestigt sind. Die Ober- und Untergurte der Fachwerkträger bestehen aus HEA- bzw. HEB-Profilen aus S355 mit Bauhöhen von bis zu 300 mm Höhe. Die Diagonalen sind in großen Teilen als L-Profile ausgebildet und nur in den hochbelasteten Bereichen auch als HEA- oder HEB-Profile. Die Lagerpunkte wurden so ausgeführt, dass sie sowohl die Vertikal- als auch die Horizontalkräfte aus den Bögen aufnehmen und weiterleiten können. Eine besondere optische Wirkung hat die Idee, die Schalen über die Ebene ihrer Glasfassade hinaus bis zu 4 m auskragen zu lassen und dabei die Schalendicke gegen Null zu verjüngen. „Wir wollten bewusst eine schmale Kante, um möglichst viel Licht in das Gebäude zu leiten“, erläutert Kamp. Orthogonal zu den Bögen auskragende Stahlträger machen diese Konstruktion möglich. In ihrer Verlängerung liegen Dachpfetten, die die Bögen miteinander verbinden, was sie gegen Kippen stabilisiert. Zusätzlich schafft die Verbindung der ers-ten beiden Bögen zu einem Verband weitere Stabilität. Die Dachschalen wurden mit Furnierschichtholzplatten geschlossen und von außen mit Holzlamellen eingedeckt. Sie stellen in den Sommermonaten ein schönes Gegenüber zur begrünten Dachfläche dar.

Die Idee bewahrt

Das „Aquamotion“ wirkt wahrlich nicht wie ein Gebäude, an dem gespart worden ist. Dennoch musste, wie bei den meisten Architekturprojekten, an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden, um durch kleine Veränderungen effektive Einsparungen zu erzielen. „Ganz am Anfang gab es ein 3D-Modell, das wir in bestimmt 40 Varianten durchgespielt haben“, so De Rycke. „Dabei schwankte die Stahlmenge zwischen 1 200 und 650 t. Die optimale Variante, auch in Bezug auf Ausführung, Sekundärstruktur und Dacheindeckung, die sich nur minimal von der Entwurfsidee entfernt hat und auf deren Basis ausgeschrieben wurde, lag bei 850 t Stahl.“

Zu den Stellschrauben gehörte beispielsweise das Weglassen eines zusätzlichen Eingangs und damit verbunden eines vierten Widerlagers oder das Verkürzen des gesamten Gebäudes zur Südwestseite. Eine Maßnahme, die nur den Entwerfern auffällt, die wissen, dass das Gebäude noch sanfter hätte in das Gelände übergehen können. Um die Stahlmengen im Dach zu minimieren, war es eine kluge Idee, die Neigung der Fassade um einige Grad zu reduzieren, wodurch sich die Dachfläche verringert und erheblich Material gespart werden konnte. „Jede Maßnahme wurde lange abgewogen und darauf geprüft, ob die Wettbewerbsidee erhalten bleibt“, erzählt Architekt Kamp. „Wir haben vor jeder Entscheidung genau durchgespielt, wie weit wir gehen können, ohne den Charakter des Gebäudes zu verändern. Auf keinen Fall wollten wir die Dynamik des Daches aufgeben.“ Dass es gelungen ist, die Ursprungsidee der Dachform über sämtliche Planungs- und Ausführungsphasen hinweg zu erhalten, ist nicht zuletzt dem offensichtlich kooperativen und sich ergänzenden Miteinander zwischen Architekten und Ingenieuren zu verdanken! Nina Grewe, Lübeck

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