Standpunkt I
Prof. Michael Wilkens (Baufrösche) zum Thema „Low Budget“

Low budget? Das Thema war früher eher „Kostengünstiges Bauen“. Und die Baufrösche sind Ende der 70er Jahre aus einer Arbeitsgruppe an der Kasseler Uni zu diesem Thema hervorgegangen. Unsere Hoffnung damals war, dass wir Architekten z. B. in Zusammenarbeit mit kommunalen Baubeiräten den durch Normen und Vorschriften verursachten „Zwangskonsum“ (Klaus Novy) unterlaufen könnten. Jedenfalls da, wo ein höherer Nutzen mit weniger Kosten erzielbar ist. Das kann man in „Stand der Technik: Stillstand der Technik“ im Detail nachlesen. Auch entwickelten wir „organisierte Gruppenselbsthilfe“ für Baugruppen, was damals neu und nicht nur kostensparend war. Aber das ist lange her und fand in der Baupolitik in den 90er Jahren dann kaum noch Unterstützung.

Und heute, wo unsere Kanzlerin beteuert (das Wort ist hier wirklich gut), dass unsere Konten sicher sind, liegt das Problem offensichtlich nicht mehr beim Bauen, sondern bei den Budgets. Jedenfalls als Architekten haben wir mit dem Bauen, schon gar mit dem kostengünstigen, oft nichts mehr zu tun (was man leider den Bauten dann auch ansieht). Auch nur noch selten mit richtigen „Bauherrn“, also mit Nutzerinnen oder mit Leuten, die sich von Amts wegen für den allgemeinen Nutzen verantwortlich fühlen müssen. Gemeinnützigkeit als Rechtsform wurde ja im Bauwesen in den 90ern weitgehend abgeschafft. Wir sind jetzt häufig die Auftragnehmer eines Generalunternehmers, der mit unseren schönen Bildchen und einem günstigen Festpreis den Auftrag an Land zieht und nachher munter alles streicht, was in seinem Budget dafür nicht drin ist. Man muss aber auch sehen, dass diese für unseren Berufsstand unerfreulichen Verfahren den Vorteil von Kostensicherheit und zügiger Abwicklung haben. Öffentliche Bauten, die früher von Planung bis Fertigstellung acht Jahre dauern konnten, sind heute oft schon nach zwei Jahren fertig. Allerdings ohne öffentlichen Wettbewerb, ohne wirkliche Beteiligung der Öffentlichkeit. Und oft auch – ohne „unnötige“ Architektur.

Und wegen der Architektur, aus künstlerischen Gründen, bin ich eigentlich zum kostengünstigen Bauen gekommen! Für mich lag in der Abwesenheit glänzender, durch Veredelung verfremdeter Ober-flächen, in der Vertrautheit und Alterungsfähigkeit der tradierten Baustoffe, aber auch in der Vertrautheit bewährter und noch sinnhafter Bauformen ein Stück Utopie. In diesem Sinn war z. B. in meinem State­ment auf dem Reichstagskolloquium 1991 „mein Deutscher Bundestag ein low-cost-Parlament ohne jedes Imponiergehabe, aber mit architektonischer Eleganz, zwischen all dem Protz und in der panger-
manischen Hülle ein im wahren Sinne vornehmes Gebäude, das jedermann zu erkennen gibt, dass unsere Volksvertreter (...) die zunehmende Knappheit der Ressourcen auf diesem Planeten wenigstens kennen.“ Dass die gegenwärtigen Öl-, Ernährungs- und Bankenkrisen endlich eine Architektur befördern, die „nicht auf individueller Willkür, sondern auf lang entwickelten Gesetzmäßigkeiten, die unverändert fortbestehen, basiert“, ist auch jetzt meine Hoffnung.

Dazu müssen aber die Prozesse zur Auftragsvergabe so organisiert werden, dass die Vornehmheit solcher „Gebrauchsarchitektur“ erkannt und dann auch gesichert wird, jedenfalls nicht ohne unsere Beteiligung vom Hersteller oder Makler geändert werden kann. Und bei größeren Aufgaben: dass möglichst viele, auch junge Geister ihre Ideen im Wettbewerb entwickeln und vorschlagen können, und der durch ein Preisgericht herausgefundene Vorschlag dann soweit vom Architekten ausgearbeitet werden kann, dass man durch Ausschreibung Preis- und Terminsicherheit herstellen, aber das architektonische Gesamtwerk vertraglich absichern kann.

Sollen doch die Stars, die „Gekrümmten“ (Adolf Loos), weltweit ihre Marketing-Nummern abziehen: Wir brauchen vornehme, d. h. in jedem Sinne sparsame und beständige Architektur. Aber so paradox es erscheint: Gerade dafür brauchen wir unbedingt wieder die Unabhängigkeit von der Ökonomie, jedenfalls dieser Ökonomie der „low architecture“.


Der Architekt
Michael Wilkens studierte nach eineinhalb Wanderjahren durch Asien Architektur an der TH Karlsruhe und an der TU Berlin, war von 1961-69 Mitarbeiter von Prof. Paul Baumgarten und diplomierte 1966 bei O. M. Ungers. Setzte sich 1970 und dann1979 mit Nicola Dischkoff für eine Reform des Wettbewerbswesens ein: „DIN-A3-Wettbewerbe nach „Dietzenbacher Modell“Wilkens wurde 1974 an die Gesamthochschule Kassel berufen und gründete dort 1978 die Arbeitsgruppe „Stadt/Bau für kostengünstigen Wohnungsbau“, die sich bei ihrem Beitrag für die documenta urbana in Kassel 1981 in „Baufrösche“ umbenannte und seither zahlreiche Wohnprojekte, Schulen und Kindergärten verwirklicht hat. Seit 1989 Kooperation mit der Uni in StaClara/Kuba. Buchveröffentlichungen: „Architektur als Komposition“, Birkhäuser 2000. „Am schönsten sind nach alledem die Entwürfe des Esels.“ Aufsätze und Reden zu Architektur und Städtebau 1973-2003, 2004. Bezug über Uni Kassel (info-isp@uni-kassel.de).

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