Reverse Engineering mit BIM – Ist eine vom ­Betrieb losgelöste Planung sinnvoll?

Reverse Engineering ermöglicht, die Planung vom Betrieb aus zu denken, dadurch genau die Wünsche des Bauherrn zu berücksichtigen und die Detailtiefe von Beginn an eines Projekts klar zu definieren.

Die BIM-Methode hat sich in vielen Architektur-, Ingenieurbüros und Bauunternehmen in der Planungsphase etabliert bzw. ist in der Erprobung, da die Vorteile, z. B. die Kollisionsprüfung zwischen den Gewerken oder die Weiterverarbeitung der Modellinformationen in die Ausschreibung und Vergabe, auf der Hand liegen. Oftmals endet an diesem Punkt die Bearbeitung von Bauvorhaben nach der BIM-Methode und wird in die weiteren Leistungsphasen nicht oder nur punktuell fortgesetzt. Schon gar nicht wird an den späteren Betrieb der Immobilie und eventuelle Vorteile durch die Nutzung eines BIM-Modells gedacht. Um aber die optimale Bearbeitungstiefe BIM über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie zu bestimmen, muss nach dem Konzept des Reverse Engineering vorgegangen werden, das heißt, dass durch eine Rückwärtsbetrachtung der zu erreichenden Ziele der wirkliche Mehrwert für den Kunden am Projekt herauszuarbeiten ist.

Reverse Engineering schafft Mehrwert

Hierzu stellen sich immer die gleichen Fragen:

– Was sind die wirklichen Mehrwerte von BIM für dieses Projekt für den Kunden (Bauherr/Investor)?

– Ist der Mehrwert der Digitalisierung/BIM eines Immobilienentwicklers, der seine Immobilien vor oder während der Bauphase schon weiterveräußert, gleich dem eines Corporates /der öffentlichen Hand, welche(r) seine Immobilien selbst nutzt und lange im Bestand hält? Wahrscheinlich nicht!

– Und wie sieht BIM der Betreiber/Dienstleister?

Im Projekt ist kundenindividuell und lösungsorientiert durch eine Rückwärtsbetrachtung der zu erreichenden Ziele der wirkliche Mehrwert herauszuarbeiten. Das heißt nicht, dass Bauherrenstandards in Frage gestellt werden, sondern dass Informationsanforderungen (AIA), BIM-Abwicklungspläne projektspezifisch auszuprägen und am wirklichen Mehrwert des Projekts anzupassen sind.

Kundenanforderung bestimmt Detaillierungsgrad des BIM-Modells

Was bedeutet das in der Praxis? Eine Fond-Gesellschaft errichtet für ihre verschiedenen Immobilienfonds Gewerbe-, Wohn- und Mischobjekte. Grobe Standards zum Vorgehen sind definiert. In einem Mischobjekt an einem Schweizer See wurden anhand des Reverse Engineering Ansatz detaillierte Anforderungen zur Abbildung der Möblierung und Ausstattung formuliert. Im ersten Augenblick stellt sich die Frage, warum dies gefordert ist. Immerhin unterliegt z. B. der Kühlschrank keiner Prüfpflicht und ist doch eigentlich Mietersache. In diesem Objekt waren bestimmte Ausstattungen allerdings Eigentum der Fondgesellschaft (Vermieter). Zudem ist die Ausstattung bzw. gesamte Immobilie sehr hochwertig und die Mieter haben Anspruch auf einige Services, z .B. die sofortige Reparatur bestimmter Ausstattungen. Entgegen der üblichen Standards werden diese Informationen im BIM-Modell hinterlegt und detailliert modelliert.

Bei einer Handel- und Büroimmobilie wurde sich bewusst für ein „BIM-light“ vorgehen entschieden. Hier wurde die BIM-Methode bis zur Vergabe, die Werk- und Montageplanung sowie Baustellenabwicklung „klassisch“ durchgeführt. Allerdings wurden in der Entwurfsplanung „Views“ und „Walkthroughs“ gefordert, da diese für potentielle Vermieter interessant sind. Die BIM-Methode wurde hier nicht konsequent bis in den Betrieb verfolgt, da teilweise Bestandsgebäude in dem Quartier erhalten blieben, und man das Gesamtprojekt mit Neubau und punktueller Sanierung des Bestands gleichwertig behandeln wollte. Ein nachziehen des Bestands auf den BIM-Standard war zu dem Zeitpunkt teuer und zeitkritisch. Zudem wurde das Bauprojekt vom Kunden in einer frühen Phase verkauft (als Projektentwickler aber von ihm zu Ende geführt). Das heißt, der Betrieb bzw. die Nutzung der Immobilie und damit verbunden die Betriebsstrategie, lag nicht in seiner Hand. Zur Nutzung der Immobilie wurden „nur“ definierte alphanummerische Daten benötigt wie z. B. Flächen zur Vermietung, Assetlisten für die FM-Ausschreibung, die ohne durchgängiges BIM-Modell ermittelt werden konnten.

Ein weiteres Beispiel ist der neue Campus eines Technologieunternehmens. Hier ist in der Decke bzw. im Boden des EG in jedem Gebäude ein Installationsschacht ausgebildet, indem die Gebäudetechnik verbaut wurde. Der Betreiber machte auf spezielle Ventile aufmerksam, die seinerseits in kurzen Zyklen inspiziert werden müssen. Diese einzelnen Ventile wurden bisher nicht detailliert im BIM-Modell modelliert und beschrieben. Das wird nun nachgeholt, natürlich inklusive genauer Verortung. So kann der Betreiber zielgerichtet den Boden bzw. die Decke öffnen und seine Prüfung optimiert durchführen.

Diese Beispiele zeigen, dass die Sicht bzw. der Mehrwert des Kunden und das spezifische Projekt und seine Anforderungen im Mittelpunkt stehen müssen bei der Formulierung der BIM-Ziele und Anwendungsfälle und damit der Tiefe der Detaillierung. Denn nichts frustriert mehr, als in der höchsten Detaillierung zu modellieren, weitgehende Informationen am Modell zu pflegen, wenn diese in weiteren Prozessen in der Tiefe nicht benötigt werden, oder umgekehrt, spezifische wichtige Informationen nicht ausgetauscht werden, da die Ziele der nächsten Phasen nicht bekannt sind.

Rückwärtsbetrachtung mit Weitblick

Kurz gesagt: Haben Sie in allen Phasen schon die Nächste im Blick. Oder andersherum formuliert: Durch eine Rückwärtsbetrachtung, das Reverse Engineering, finden Sie für alle Phasen die beste Lösung und generieren direkten Mehrwert für Ihre Kunden.

Reverse Engineering schafft Mehrwert, indem der Betrieb des Gebäudes als Maßstab für die BIM-Detaillierung genommen wird
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