Perspektivwechsel beim Wohnen

AXIS, Frankfurt am Main

Das ArchitektInnenteam von MEIXNER SCHLÜTER WENDT entwarf mit dem neunzehngeschossigen „AXIS“ das erste zeitgenössische Wohnhochhaus Frankfurts. Das Projekt zeigt, warum Wohnen im Hochhaus mehr als eine Perspektive braucht.

Das Europaviertel beginnt innerstädtisch mit Hochhäusern, einem Einkaufszentrum und mit einem 60 m breiten Boulevard. Der aber wird gen Westen immer windiger und einsamer, nur nicht schmaler. Kurz bevor er in den Kleingärten und Gewerbehöfen des Rebstockareals versackt, markieren zwei weitere Hochhäuser den temporären Stadtausgang. Frankfurt wächst weiter in die Breite und Höhe, um die große Nachfrage nach Wohnen immerhin teilweise zu erfüllen. Auch das Europaviertel erlebte mit seinen neuen, dichten Apartmenthäusern einen Immobilienhype, mit entsprechender Wert­entwicklung und Fluktuation. Dabei ist es formal ein Teil des südlich angrenzenden Arbeiterviertels Gallus, dessen Einkommensniveau mit jedem Kilometer stadtauswärts sinkt und dessen denkmalgeschützte Hellerhofwohnungen teils puppenstubenklein und sozial gefördert sind. Hier am westlichen Stadtrand zeigen sich die für Frankfurt typischen Brüche besonders hart. Das erkannte das Architekturbüro MEIXNER SCHLÜTER WENDT, als es den südlichen der beiden Portaltürme plante. In vielen Modellen suchten sie die Kubatur für diese räumliche und soziale Kante. Claudia Meixner sagt: „Wir fragten uns, welche Hochhaustypologie hier eine Berechtigung hat, welche kontextuelle Struktur sich ergibt.“ Ein Wohnhochhaus war zur Zeit der Fertigstellung des AXIS (2017) auch in Frankfurt am Main noch Neuland. Meixner sagt: „Ein Wohnhochhaus hat oft das Stigma von Anonymität und normierten Grundrissen. Unsere Überlegung war, wie bilden sich gute Nachbarschaften und wie wirkt man gestalterisch dem Stigma entgegen?“

Oben ist relativ

Sie überlagerten die beiden städtischen Maßstäbe. Mit einer neunzehngeschossigen Scheibe setzten sie die Straßenflucht fort und erfüllten die vorgegebene Bauhöhe von 60 m. Auf der anderen Seite stellten sie der Scheibe acht zweigeschossige Reihenhäuser gegenüber. Diese konnten die Architekten gegen den Bebauungsplan durchsetzen. Meixner erklärt: „Erst die Reihenhäuser vermitteln zwischen dem Maßstab der Hellerhofsiedlung und der Hochhausscheibe.“ Nach Osten und Westen schlossen sie den Block entlang der Grundstückskante und glichen die Dachkanten über zwei Höhenversprünge an. Formal gelingt der Maßstabssprung, aber die Höhe der Hochhausscheibe – für Frankfurt eigentlich kein Problem – wirkt hier weit ins Gallus. Die Perspektive vom „Unten“ und „Oben“ ist unvermeidlich, verbildlicht sie doch für Kritiker die Verhärtung des sozialen Gefälles und eine Gentrifizierung des Gallus durch das Europaviertel. So enstand in der Boulevardpresse das dem Massenwohnen entgegengesetzte Klischee vom Luxuswohnen. Das ärgert Claudia Meixner: „Die Kritik vom angeblichen Luxushochhaus ist populistisch und falsch. Wir realisierten hier eine hochwertige Gestaltung zu einem moderaten Budget und sorgten für eine durchmischte Bewohnerstruktur.“ Tatsächlich wurden die unteren Wohnungen für ca. 3  500 €/m² angeboten, also weit unter dem hier üblichen Quadratmeterpreis für Neubauwohnungen. Der Investor zielte auf ­Kaufende aus der Mittelschicht. Die Dachwohnungen waren mit 8 500 €/m² veranschlagt – luxuriös, aber für die oberen Etagen der Nachfolgeprojekte zahlen Kaufende derzeit über 20 000 €/m². Wie stillt man den Durst nach urbanem Wohnraum für eine breite Mittelschicht? Der Aufwertung durch städtische Flächenkonversion und Neubau folgt die Preisverteuerung und Gentrifizierung; der gar nicht erst geschaffene Wohnraum verteuert den Bestand aber ebenso. Meixner sagt: „In einer dicht bebauten, nachgefragten Stadt kann auch das Wohnhochhaus den Preisdruck vom freien Wohnungsmarkt nehmen.“ Das aber braucht eine hochwertige, identitätsstiftende Gestaltung, eine Anbindung an den räumlichen Kontext und eine heterogene Nachbarschaft. Alles drei waren die Entwurfsziele beim AXIS.

Begegnungen stärken die Nachbarschaft

Der Scheibe liegt ein kleiner Innenhof zu Füßen. Über den lassen sich zwei der vier Treppenkerne und die Lobby erschließen, ebenso die Reihenhäuser und der zukünftige Stadtteilpark. Die Reihenhäuser, der Innenhof und der Park liegen auf einem ehemaligen Bahndamm, also etwa ein Geschoss über der Europaallee, eineinhalb über der südlichen Nachbarschaft. Der Hof soll mit seinen Wasserbecken, Bäumen und Gräserbeeten die sommerliche Aufheizung entlang der Fassade reduzieren. Außerdem kreuzen sich hier die Wege der Bewohner, ebenso wie in der Lobby, die Hof und Straße über eine überbreite Treppe verbindet. „Die Treppe hat eine soziale Funktion, sie ermöglicht zufällige Begegnungen und Gespräche,“ sagt Meixner. Vor allem begegnet man sich, wie überall, an den Briefkästen. Deshalb organisieren die Architekten diese in kleinen Einheiten zu beiden Seiten der Lobby, integriert in organisch geformte Einbauten mit Sitznischen. Von hier, den Blick durch die Glasfassade, wirkt das Draußen näher als der schräg zugeschnittene Raum, in dem man sitzt – ein Schaufenster zu beiden Seiten. Von hier kann man auch die verzerrten Spiegelungen des Raums in den Edelstahlplatten der Decke studieren und sich besoffen fühlen. Im Zentrum all der Perspektiven sitzt der Concierge unter einem großen Lichtband, hinter Eichenholzdielen, die sich über Wände, Treppe und Empfang ziehen. Er ist der Angelpunkt des Hauses: Er vermittelt das soziale Wohlgefühl, das Gefühl von Sicherheit und Individualität trotz der 153 Wohnungen und noch mehr Bewohnenden.

Nachhaltige Grundrisse sind flexibel

Die empfundene Anonymität bei Wohnhochhäusern wird verstärkt durch die langen, dunklen Mittelflure mit ihren vielen, gleichen Wohnungstüren. Deshalb nutzten MEIXNER SCHLÜTER WENDT die Möglichkeit, Häuser bis 60 m Höhe mit jeweils nur einem brandsicheren Treppenkern zu erschließen. So ergaben sich vier Brandabschnitte mit je einem Treppen- und Aufzugskern und einem kurzen Flur pro Etage. Das hat mehrere Vorteile, wie Meixner erklärt: „Ohne Mittelflur kann man die Wohnungen durchstecken und erhält eine gute Belichtung und viel Flexibilität im Grundriss. Außerdem erschließt der Flur nur kleine Nachbarschaften von wenigen Einheiten pro Etage.“ Für langfristig flexible Grundrisse leiten die ArchitektInnen die Traglast des Gebäudes über die Treppenkerne, Brandwände, die Gebäudehülle und über Stützen ab. Die Trenn- und Innenwände der Wohnungen planten sie ohne statische Funktion und in Trockenbauweise. So ließen sich die Grundrisse den unterschiedlichen Wünschen der Kaufenden anpassen. Der Quadratmeterpreis und die Größe der Wohnungen steigen mit den Etagen, damit wechseln auch Bewohnerstruktur und Wohnwünsche. „Die unteren Apartments waren besonders schnell verkauft,“ sagt Meixner. Auch später können die Räume flexibel auf wechselnde Bedürfnisse reagieren. Meixner sagt: „Wir erreichen so eine sehr heterogene Bewohnerschaft, Singles, Paare und Familien mit Kindern.“

Außenraum prägt Außenwirkung

Auch über die Gestaltung der Fassaden versuchen die ArchitektInnen alten Stigmen entgegenzuwirken. Meixner erklärt: „Für die Fassade wählten wir eine Kollosalordnung, um den Maßstab zu verschlüsseln“ Je zwei Geschosse bilden in der Fassade eine gestalterische Einheit, bei denen sich zudem die innere Nutzung über unterschiedliche Fensterformate ablesen lässt. Auf der Südseite erzeugt der Materialwechsel der Balkonbrüstungen eine visuelle Zweigeschossigkeit. Dazu kragen die Balkone unterschiedlich weit aus und laufen schräg entlang der Fassade, die hier und da zurückspringt. Das ergibt einen spannenden Linienverlauf auf der Hochhausscheibe und eine vielfältige Belichtung und Verschattung der Wohnräume. An den Außenkanten entstehen Quer- und Vertikalbezüge zu den Nachbarn, an den Fassadenrücksprüngen sicht- und windgeschützte Terrassen. Die Straßenfassaden planten die Architekt­Innen dagegen mit windgeschützten Loggien und weißem Naturstein, im Gegensatz zum Hof ergibt sich hier eine harte Fassadenkante. Meixner sagt: „Unsere Gebäude sind Ergebnis eines sehr plastischen, kontextuellen und polyvalenten Entwurfsprozesses und das sieht man ihnen auch an.“ Insofern sollte man bei diesem ersten Frankfurter Wohnhochhaus Kontext und Kontraste, Ideen und Wirkungen genau studieren. Eine einfache Sicht auf das Wohnen in der Höhe gibt es, zumindest in Frankfurt, nicht. Rosa Grewe, Darmstadt

AXIS fungiert als urbanes Kontext-Hochhaus, das den Eingang zum Quartier formuliert und sich gleichzeitig in die städtebauliche Umgebung einfügt. Entsprechend der Umgebung entsteht ein Typologiemix aus Reihenhäusern, Geschosswohnungen und Hochhauswohnen – fast wie ein Stück Stadt. Ein ­besonderer Reiz entsteht aus der Ambivalenz von urbaner Kontur und individuellen landschaftlichen Wohn- und Freiräumen.«

DBZ Heftpartner MEIXNER SCHLÜTER WENDT,
Frankfurt a. M.

Baudaten

Objekt: AXIS

Standort: Europa-Allee 165, 60486 Frankfurt am Main

Typologie: Wohnhochhaus

Bauherr: Wilma Wohnen Süd GmbH, Frankfurt am Main

Nutzer: Wohnungseigentümer bzw. Bewohner

Architekt: MEIXNER SCHLÜTER WENDT, Frankfurt am Main, www.meixner-schlueter-wendt.de

Mitarbeiter (Team): Mario Grote, Joost Rebske (beide Projektleitung), Elisabeth Klein,

Stefan Mayer-Twiehaus, Friederike Sartor, Tim Waidelich, Michael Hennings

Bauleitung/Objektüberwachung: Sweco (Grontmij), Frankfurt am Main

Bauzeit: 1.11.2013 (Spatenstich) - Frühjahr 2017 (Fertigstellung der Wohnungen)

Fachplaner                             

Tragwerksplaner: Bollinger + Grohmann, Frankfurt, www.bollinger-grohmann.com

TGA-Planer: IPP Technische Gesamtplanung, Hanau, www.ipp.ag

Fassadentechniker: AMP Ingenieurgesellschaft, Neuss, www.ib-amp.de

Lichtplaner: Bartenbach GmbH (nur Eingangshalle), Aldrans/AU, www.bartenbach.com

Innenarchitekt:

Lobby/Allgemeinbereiche/Wohnungen: MEIXNER SCHLÜTER WENDT, Frankfurt am Main,

www.meixner-schlueter-wendt.de

Musterwohnung: Piet Boon, Oostzaan/ NL,

www. pietboon.com

Akustikplaner: ITA Ingenieurgesellschaft für technische Akustik, Wiesbaden, www.ita.de

Landschaftsarchitekt: plan°D ingenieure & Landschaftsarchitekten, Wiesbaden,  www.pland.de

Energieplaner: PGT Planungsgruppe für technische Gebäudeausrüstung, Schaafheim,

www.pgt-info.de

Brandschutzplaner: fire protection consult, Trebur, www.fpc-stockum.de

Windgutachter: Wacker Ingenieure, Birkenfeld, www.wacker-ingenieure.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: 6 535 m²

Grundflächenzahl: 0,459

Geschossflächenzahl: nicht ermittelt, da im B-Plan eine absolute GF festgesetzt war.

Nutzfläche gesamt: 29 800 m²

Wohnfläche: 19 500 m² (reine Wohnfläche)

Nutzfläche 10 300 m²

Brutto-Grundfläche: 33 000 m²

Brutto-Rauminhalt: 110 000 m³

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 27,99 kWh/m²a

Jahresheizwärmebedarf: 30,16 kWh/m²

 

Energiekonzept

Dach: 220 mm Stahlbeton/Abdichtung/180 mm Mineralwolldämmung/Abdichtung/Belag je

nach Einbauort (Terrassenplatten/Kies/Extensiv/Intensivbegrünung)

Außenwand: 250 mm Stahlbeton/200 mm Mineralwolldämmung/Hinterlüftung/40 mm Naturstein

Hofseitig 200 mm Mineralwoll-WDVS verputzt

Fenster: 3-fach Wärmeschutz-Isolierverglasung mit integriertem Aluminium-Lamellen-Raffstore

im Zwischenraum

Gebäudehülle

U-Wert Außenwand = 0,17 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte = 0,27 W/(m²K)

U-Wert Dach = 0,19 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster ≤ 0,84 W/(m²K)

Ug-Wert Verglasung = 0,06 W/(m²K)

Haustechnik

Ergänzt wird die hochwertige Ausbauqualität durch zeitgemäße energetische und technische Standards. Nachhaltige Technik und Energiebilanz waren besondere Prämissen für die Planung. Da fast 40 % der in Deutschland eingesetzten Endenergie in die Raumheizung und Warmwasserbereitung fließen, wurde AXIS zum Zeitpunkt der Fertigstellung mit Deutschlands größter Abwasserwärmepumpe ausgestattet, für die rund 60 m Wärmetauscher im Kanal verlegt wurden. Mit einer Heizleistung von 440 kW und einer Kühlleistung von 640 kW liefert die Wärmepumpe 100 % der Energie, die zum Heizen und zum Kühlen in den Wohnungen benötigt wird.

Neben den ökologischen, bot die Abwasserwärmepumpe dem Bauherrn auch einen ökonomischen Anreiz. So konnte im Vorfeld auf die Bohrung von 60 Erdsonden à 100 m Tiefe verzichtet werden.

Zahlreiche weitere Maßnahmen, u. a. eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, eine effiziente Beleuchtung mittels LEDs, energierückführende Aufzüge sowie eine sehr gute Isolierung und Regenwassernutzung für die Pflanzenbewässerung sorgen dafür, dass AXIS als erstes Wohnhochhaus die Anforderungen für den KfW-55 Standard erfüllt.

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