Neues Leben auf und um den Bunker
Circle House / Berlin-Kreuzberg

Auf der Suche nach authentischen Orten erfreuen sich die Überbleibsel des Industriezeitalters, aber auch der Kriege zunehmender Beliebtheit. Alte Gasometer sind so „in“ und auch Bunker des Zweiten Weltkriegs finden immer häufiger eine zivile Nachnutzung. Doch so manches Umbauprojekt scheitert an der eigenartigen hermetischen Architektur dieser Bauten.

So mancher Architekt versuchte sich schon erfolglos an dem „Fichtebunker“ in Berlin-Kreuzberg, einem Luftschutzbunker in der Hülle eines gewaltigen Gasometers. Erst Paul Ingenbleek gelang das scheinbar Unmögliche, eine wirtschaftlich wie architektonisch bemerkenswerte Transformation des monumentalen Relikts.Nicht in den Bunker und seine massiv gemauerte Gasometerhülle implantierte Paul Ingenbleek seine Wohnungen, was all die bekannten, unvermeidlichen Konflikte ihnen ausreichend Tageslicht und Ausblick zu verschaffen vermied. Nein, der Architekt setzte seine Wohnungen auf den Bunker und Gasometer mit Dachgärten und weiten Ausblicken auf die Berliner Stadtlandschaft. Doch was war seine Ausgangslage? Zwischen 1874 und 1876 entstand in der Fichtestrasse eine Gruppe massiv gemauerter Gasometer – mit 56 m Durchmesser, 22 m Traufhöhe und einer 12 m hohen Schwedlerkuppel –, die damals noch vor den Toren der Stadt bald dank der rasanten Urbanisierung Berlins von Wohnquartieren eingerahmt waren. Ihre Funktion verloren sie nach dem Ersten Weltkrieg als Berlin von Gas zu Elektrizität wechselte. Nur direkt an der Fichtestrasse positioniert, überlebte einer der Gasometer, in dessen Hülle 1940 ein gewaltiger, sechsgeschossiger Luftschutzbunker mit 770 Räumen eingebaut wurde. Die ungeheure Zahl an Räumen für den Aufenthalt von bis zu 7 000 Menschen war nur möglich, indem man sie mit 1,80 m dicken Stahlbetonaußenwänden in zwei zweibündigen Kreisen in den Gasometer einbaute. Ihre Beseitigung oder Umbau zu Wohn- oder Hotelräumen war und ist wirtschaftlich kaum möglich. Diese Einsicht bewegte Paul Ingenbleek zu einem anderen Konzept für den Bunker, der nach dem Krieg erst Jahrzehnte als Notunterkunft, dann als Lager der Senatslebensmittelreserve diente. Begünstigt durch die noch relativ junge Tendenz einer Gentrifizierung des Quartiers setzte er auf Qualität vor Quantität und auf eine kulturelle Nachnutzung des Bunkers selbst.

Einmal mehr entwickelte hier ein Berliner Architekt ein Programm und gewann mit dem Titel „Circle House“ befreundete Investoren für das Projekt. Im ersten Bauabschnitt wurden zwei der vier massiven Bunkereingangsvorbauten beseitigt, die Schwedlerkuppel mit ihrem Stahlgerippe geöffnet und auf das Dach des Bunkers 10 Reihenhäuser im Kreis realisiert . Von Außen kaum unterschiedlich, aber Innen zwischen 150 bis 300 m2 groß, inklusive einer gekoppelten Maisonettewohneinheit. Über einen neuen Treppen- und Fahrstuhlturm sowie eine elegante Brücke werden sie erschlossen ohne den unter Denkmalschutz stehenden Bestand stärker zu tangieren. Angesichts des mehr als nur massiven Bunkerunterbaus und einer 3 m dicken Stahlbetondecke bestanden kaum Probleme mit Lasten, doch der Erhalt der Schwedlerkuppel stellte ein großes logistisches Problem für die Konstruktion und den Bauprozess dar. Nur maximal zwei Felder ihrer 32 radialen Sparren mit kreuzweise diagonal verlaufenden Zugstangen konnten temporär entfernt werden, was eine Konstruktion mit Fertigteilen verbot.

Der Architekt und Bauingenieur Paul Ingenbleek fand mit seiner Bürogemeinschaft Office 33 eine überzeugende Lösung für das Problem. Die Außenwände wurden in Ortbeton ausgeführt und die Trennwände mit Kalksandsteinen errichtet. Innerhalb der 150 bis 300 m2 großen Wohnungen gibt es keine tragenden Wände. Bis zu 7 m spannen Sichtbetonflachdecken stützenfrei. Größere Deckenspannweiten lagern völlig unterzugsfrei auf wenigen Rundstützen, was den Wohneigentümern eine maximale Wahlfreiheit der Grundrisse innerhalb ihres Kreissegments bescherte. Festgelegt war allein der Eingang im japanisch inspirierten Innenhof um den ehemaligen Bunkerlüftungsschacht (ø 7, 50 m), in dem eine neue Stahltreppe zum Bunker führt, die als zweiter Rettungsweg verlangt war. Gewohnt wird zur Außenseite des Gasometers hin, wo mit einer 50 cm dicken Schicht aus Pflanzensubstrat Privatgärten geschaffen wurden, die um ein 1,20 m breites Balkonband im ersten Obergeschoss und eine kleine Dachterrasse ergänzt werden – letztere zugänglich durch teleskopartig ausfahrbare Oberlichter.

Klar, einfach und streng ist ihr äußeres Erscheinungsbild mit Glas, Stahl, Aluminium-Sonnenschutz und grauem Wärmeputz, hinter dem sich die unterschiedlichsten Grundrisse und Raumgestaltungen verbergen. Viel Sorgfalt zeigt ihre Ausführung. Sämtliche Fassadenelemente wurden im Farbton DB703 der Eisenteile der freigelegten Schwedlerkuppel angelegt. Da der Architekt das „Gewusel“ an Fensterrahmen nicht mochte, setzte er zumeist auf großflächige Festverglasungen oder Schiebefenster mit extrem schmalen, innenbündigen Metallfassun-
gen bzw. geschlossene Öffnungsflügel im Eingangshof. Absolut schwellenlos sind auch alle Ein- und Austritte der Wohnungen ausgeführt. Und wenngleich er sich nur polygonal dem Kreis des Gasometers annähern konnte, ist sein „Implantat“ in der Schwedlerkuppel rundum gelungen, was nicht zuletzt seinen klaren Gestaltungsideen zu verdanken ist, die Individualität auf die Wohnung beschränkt. Allein der Eintritt in den Eingangshof ist entlang grauer, öffnungsloser Putzwände etwas zu kühl geraten. Bedauern mag man auch, dass sein eleganter, mit Streckmetall verkleideter Treppenturm nur abseits der Straße erlaubt war, die dem Haus nun eine unangemessene Distanziertheit verschafft.

Der Bunker selbst sucht noch nach einer neuen Nutzung. Eine seiner Etagen wird schon vom Verein Berliner Unterwelten genutzt und ist öffentlich zugänglich. Im Erdgeschoss entfernte bereits der Architekt einige Wände und Decken, um eine beeindruckende Halle zu schaffen, die nach einer Ausstellungs- oder Eventnutzung verlangt. Und eine kulturelle, ja künstlerische Nutzung wie etwa in Form von Galerien stellt sich Ingenbleek die Zukunft des Bunkers auch vor. Dank einer neuen Randbebauung auf dem Grundstück, dem „Lofthouse“ mit 12 Wohneinheiten, erreichte man schon die Wirtschaftlichkeit. Und auch dieses Projekt steht dem „Circle House“ mit Raumhöhen von 3,40 m und 3,5 x 4,7 m großen, gläsernen Erkern kaum nach. Mit zeitgenössischen Materialien, Vor- und Rücksprüngen sowie Balkonen knüpft es bruchlos an die wilhelminischen Nachbarn an. An
seiner scharfkantig angeschnitten Nordfassade erweist es effektvoll mit tiefen „Guckkästen“ dem Gasometer seine Ehrerbietung. Auf nur vier Stützen und sein ungewöhnliches Treppenhaus mit eingestellter Treppenwandscheibe ruht sein Betonskelett, das 200 m2 große Wohnungen mit frei wählbaren Grundrisse möglich machte. In manchen Wohnungen konnte hier der Architekt eingestellte „Versorgungsboxen“ verwirklichen, die nun offene Kamine, alle sanitären Anlagen –
teils gefangen und teils offen – oder integrierte Wandmöbel aufnehmen. Solcherart Projekte wünscht man sich mehr in Berlin, die auf Wohnqualitäten und nur
nebenbei auch auf Effekt konzipiert sind.

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