Mauerwerk unter Spannung

Die Trockenlegung von feuchtem Mauerwerk ist aufwendig und kostenintensiv – elektrophysikalsche und paraphysikalische Verfahren versprechen hier Abhilfe. Doch ihr Erfolg ist häufig ungewiss – und sollte nur unter Aufsicht von Sachkundigen erfolgen

Werden Bestandsgebäude saniert, ist damit oft eine höherwertige Umnutzung der Keller- und Erdgeschossräume verbunden. Je nach geplanter Nutzung erhöhen sich dadurch auch die bauphysikalischen Ansprüche an die raumbegrenzenden Bauteile. Ist vom Bauherrn zum Beispiel eine Nutzung als Aufenthaltsraum (RN2-E nach [5]) oder als Archiv (RN2-E nach [1]) gewünscht, so sind in der Regel immer Bauwerkstrockenlegungsmaßnahmen erforderlich.

Grundsätzlich stehen vier Verfahrensgruppen für die Bauwerkstrockenlegung mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten zur Verfügung: das mechanische, das Injektions-, das elektrophysikalische sowie das paraphysikalische Verfahren. Während die mechanischen Verfahren zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik gehören und eine Erfolgsquote von nahezu 100 % aufweisen, sind die Injektionsverfahren lediglich den Regeln der Technik zuzuordnen und erfordern ein hohes Maß an Planung und Kontrolle, um die vorhandenen Versagensrisiken zu minimieren [9].

Die praktische Erfahrung zeigt, dass der Bau-werkstrockenlegung im Rahmen der Planung wenig Aufmerksamkeit zukommt und die Ausführung kaum von Sachkundigen kontrolliert wird. Und so ist es nicht wunderlich, dass bei manchen Sanierungsvorhaben der gewünschte Erfolg ausbleibt. Kritisch ist es vor allem dort, wo keine mechanischen Verfahren nach WTA-Merkblatt [2] angewendet werden.

Strom gegen feuchte Wände

Vor allem die elektrophysikalischen und paraphysikalischen Verfahren stehen seit Jahrzehnten intensiv zur Diskussion. Sie können weder zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik noch zu den Regeln der Technik gezählt werden. Sie sind in den Stand der Wissenschaft einzustufen. Diese Einstufung hat zur Konsequenz, dass bei dem geplanten Einsatz dieser Anlagen für den Planer und Ausführenden erhöhte Prüfungs- und Beratungspflichten gegenüber den Auftraggebenden bestehen [8,9].

Anders als die paraphysikalischen Verfahren gehören die elektrophysikalischen Verfahren jedoch zur Lehrmeinung der Wissenschaft. Die Elektroosmose wurde bereits 2009 von Prof. Reuß nachgewiesen. Führende Wissenschaftler, wie Helmholtz, Gouy und Chapman, entwickelten die Theorie der elektrischen Doppelschicht weiter, wobei es dabei nie um die Wirkungsweise in Bezug auf die Bauwerkstrockenlegung ging.

Die elektrophysikalischen Verfahren unterscheiden sich in passive und aktive Verfahren. Alle haben jedoch gemeinsam, dass keine ausreichende oder gar schlussendliche Theorie über ihre Wirkungsweise und die erforderlichen Randbedingungen für den Einsatz in der Bauwerkstrockenlegung vorliegen. Die völlig unzureichende Forschung von neutralen Institutionen auf diesem Gebiet ist zu beklagen. Die Fach- und Hochschulen sowie Universitäten nehmen sich diesen eventuell erfolgversprechenden Verfahren aus wirtschaftlichem Sachzwang nicht an.

Die passiven und aktiven Anlagen haben gemeinsam, dass sie gern mit Patenten und Gebrauchsmusterschriften beworben werden. Diese sagen jedoch nichts über deren technische Wirksamkeit oder die Funktion aus. Ein Patent belegt nur, dass eine Erfindung schützenswert ist und nicht, dass sie gebrauchstauglich ist.

Vier elektrische Wirkprinzipien

Die elektrophysikalischen Verfahren in der
Bauwerkstrockenlegung beruhen grundsätzlich auf der Ausnutzung der elektrokinetischen Effekte, also der Bewegung von Wasser in Kapillaren durch Strom ohne chemische Reaktion. Es gibt vier elektrokinetische Erscheinungen: Die Elektroosmose (Bewegung von Flüssigkeit in einem elektrischen Feld), die Elektrophorese (Bewegung elektrisch geladener Teilchen im Wasser in einem elektrischen Feld), das Strömungspotential (zwischen den Enden eines von Wasser durchströmten Festkörpers entstehendes Potential) sowie das Sedimetationspotential (Entstehen einer elektrischen Potentialdifferenz durch Absenken von Partikeln in einer Flüssigkeit). In Deutschland gibt es keine allgemein gültigen Regelwerke, wie derartige Anlagen zu planen und einzubauen sind. In der ÖNorm 3355 [4] werden nur die aktiven Anlagen als mögliche Verfahren berücksichtigt und beschrieben. Die passiven Verfahren finden keine Erwähnung. Die Hinweise in den derzeit gültigen WTA-Merkblättern [1-3] über die elektrophysikalischen Verfahren sind offenbar aus dem Blickwinkel der Jurisdiktion entstanden. Technisch nachvollziehbare Erklärungen und brauchbare, allgemeingültige Aussagen sind in den betreffenden Abschnitten nicht enthalten.

Passive elektrophysikalische Verfahren

Die passiven elektrophysikalischen Verfahren beruhen auf dem Wirkprinzip der Elektrokinese. Durch den Einbau von Elektroden ins Mauerwerk wird durch Eigenspannung – daher passive Verfahren – oder durch Kurzschlussreaktionen eine Veränderung der Potentiale im Mauerwerk verursacht. So soll das vorhandene Kapillarwasser allein durch die Kraft der Gravitation wieder in Richtung Erdreich transportiert werden. Die höheren Mauerwerksbereiche trocknen dann durch Verdunstung ab.

Die passiven Verfahren wirken zeitlich sehr begrenzt, da sich die Elektroden infolge des Stromflusses auflösen und der Mörtel, je trockener er wird, umso höheren elektrischen Widerstand bietet. Vereinfacht gesagt: Die Systeme setzen sich selbst außer Betrieb, wenn sie wie gewünscht funktionieren. Außerdem sind sie anfällig für elektrische Fremdströme. Daher werden diese Verfahren nur noch äußerst selten angewandt und gelten als nicht mehr geeignet. Ihre theoretische und praktische Entwicklung ist abgeschlossen.

Aktive elektrophysikalische Verfahren

Die aktiven elektrophysikalischen Verfahren ­beruhen – wie die passiven Verfahren – auf dem Wirkprinzip der Elektrokinese. Über eingebaute Elektroden wird eine Fremdspannung an das Mauerwerk angelegt, welche das in den Kapillaren vorhandene Wasser wieder in das Erdreich abtransportieren soll. Das restliche Wasser verdunstet und das Mauerwerk trocknet ab. Als Fremdspannung wird ein schwacher Gleichstrom verwendet. Je nach gewähltem Wirkprinzip handelt es sich um einen Gleichstrom von wenigen Millivolt bis circa 15 Volt. In der ÖNorm 3355 [4] wird ein Gleichstrom von 5 bis maximal 15 Volt gefordert.

Die positive Elektrode (Anode) wird mit Mörtel oben im trockenzulegenden Mauerwerk eingebaut. Die negative Elektrode wird ins untere Mauer­werk oder ins angrenzende Erdreich verlegt. Die Anlagen weisen ein erhebliches Versagensrisiko auf, da es noch keine allgemeingültige Theorie zu ihren Wirkmechanismen gibt. Zudem sind die erforderlichen Rahmenbedingungen für den Einbau noch nicht bekannt. Deshalb sind ­seriöse Hersteller immer bereit, ihre Anlage rückzubauen, wenn sie nicht funktioniert. Üblicherweise ist deren Planung und Ausführung auch weder Teil des Architekturstudiums noch der Inge­nieurstudiengänge.

Beim Einbau ist es daher unabdingbar, Sachkundige hinzuzuziehen, welche die Wirkung der Anlage unabhängig kontrollieren. Dabei sollten unbedingt alle Forderungen der ÖNorm 3355 eingehalten werden, weshalb sie auch als Vertragsbestandteil zwischen den Auftraggebenden, den Sachkundigen und der ausführenden Firma vereinbart werden muss.

Bisher bestätigen die Unternehmen die Funktionstüchtigkeit ihrer aktiven Anlagen lediglich selbst. Bei den von unserem Büro betreuten oder überprüften aktiven Anlagen konnten bislang jedoch noch keine bzw. nur eine nicht merkliche Abtrocknung des Mauerwerks nachgewiesen werden [6,7].

Unsere letzte Überprüfung der Wirkungsweise einer Anlage erfolgte in diesem Jahr in Leipzig. Es handelte sich um eine erdberührte Kellerwand in einem unbelüfteten und derzeit ungenutzten Kellerraum. Flankierende Maßnahmen, welche die Feuchtebelastung beeinflussen, wurden nicht ausgeführt.

Vor dem Einbau der Elektroden wurde zwei Rastermessungen in unterschiedlichen Wandbereichen mit dem Feuchtemessgerät „Trotec T 3000“ mit „HF-Sensor“ durchgeführt. Der Mittelwert der zerstörungsfreien Messung beider Flächen betrug 42,8 Digits. Die Raumlufttemperatur in dem Kellerraum betrug 12,3 °C und die relative Luftfeuchte wurde mit 64,2 % gemessen.

Außerdem erfolgte in den Rasterflächen jeweils eine Materialentnahme, an der im DARR-Verfahren der Feuchtegehalt als Mittelwert in Höhe von 11 Masse-%, 13,6 Masse-% und 8,4 Masse-% gemessen wurde. Der Mittelwert ergab somit 11,0 Masse-%. Damit konnte eine Bewertung der zerstörungsfreien Messergebnisse durchgeführt werden. 

Nachmessung ohne Erfolgsnachweis

Vier Monate nach der Inbetriebnahme der Anlage erfolgte die erste Nachmessung an gleicher Stelle der Erstmessung und in dem vorgegebenen Raster. Der Mittelwert betrug 43,5 Digits, woraus geschlussfolgert werden muss, dass bis jetzt noch keine Abtrocknung erfolgte. In der Zeit der Rastermessung betrug die Raumlufttemperatur 12,8 °C und die relative Luftfeuchte wurde mit 67 % gemessen.

Dass die Wirkungslosigkeit aktiver Anlagen bislang selten dokumentiert wurde, ist damit zu erklären, dass on den Herstellern der Anlagen oft flankierende Maßnahmen (Sanierputze, Lüftungsanlagen usw.) v angeboten und ausgeführt oder vom Bauherrn selbst veranlasst werden. Außerdem beeinflussen auch Nutzungsänderungen oder Arbeiten im Baugrund das Feuchteverhalten eines Mauerwerks.

Wenn eine elektrophysikalische Anlage in ein Objekt eingebaut werden soll, so sollte auch zwingend eine Wirksamkeitsprüfung erfolgen. Diese kann nach der vorgestellten Prüfmethode durchgeführt werden, da diese Prüfung zerstörungsarm ist und ausreichend sichere Ergebnisse bringt.

Dennoch ist anzunehmen, dass eine intensive, unabhängige Forschung zu funktionstüchtigen Anlagen führen könnte. Wenn dann noch die erforderlichen Randbedingungen bekannt, allgemeingültig formuliert und anerkannt sind, könnte neben den mechanischen Verfahren und dem Injektionsverfahren ein weiteres Trockenlegungsverfahren nach den Regeln der Technik zur Verfügung stehen.

Paraphysikalische Verfahren

Anders sieht es bei den paraphysikalischen Anlagen aus. Sie unterscheiden sich von den elektrophysikalischen Anlagen dadurch, dass die ihnen zugeschriebenen Wirkprinzipien in der Lehrmeinung der Physik unbekannt sind. Die Erklärungen zur Funktionsweise stammen nur von den Unternehmen selbst.

Diese Geräte und Anlagen können lediglich als Teil der Grundlagenforschung gesehen werden – ihr Wirkprinzip ist bislang weder allgemeingültig noch nachvollziehbar formuliert. Vielmehr setzen die Unternehmen auf teils phantastisch anmutende Wortschöpfungen. Dennoch lassen sich viele Auftraggebende von den geringen Einbaukosten und blumigen Werbeversprechen blenden. Wie bei den elektrophysikalischen Anlagen kann man auch hier eine Unterteilung zwischen passiven und aktiven Anlagen vornehmen.

Bei den passiven Anlagen werden in der Physik unbekannte Strahlen (z.B. Erdstrahlen) und kontrovers diskutierte Wellen (z.B. Skalar- oder Teslawellen, longitudinalen Wellen), bis hin zur Urenergie für die Erklärung der Wirksamkeit bemüht. Ein nachvollziehbares Wirkprinzip ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, so dass man derartige Anlagen für die Gebäudeinstandsetzung nicht in Betracht ziehen sollte.

Bei den aktiven Anlagen wird das Wirkprinzip anhand von hertzschen Wellen erklärt. Diese elektromagnetischen Wellen gehören selbstverständlich zum Kanon der Physik. Allerdings emittieren die Anlagen derart schwache Wellen, dass eine Einwirkung auf die Kapillarkräfte nicht zu erwarten ist. Mit einigem Optimismus kann man jedoch vermuten, dass eine intensive, neutrale Forschung Anlagen hervorbringen könnte, die eine Wirkung im Sinne der Bauwerkstrockenlegung ausüben. Den passiven Anlagen ist selbst diese Zukunft derzeit abzusprechen. Die bisher von unserem Sachverständigenbüro in 25 Jahren betreuten bzw. überprüften passiven und aktiven Anlagen konnten in den jeweiligen Gebäuden keine Veränderung des Feuchtegehalts im Mauerwerk nachweisbar erzeugen [6,7].

Die Unternehmen bewerben ihre paraphysikalischen Anlagen ebenfalls gern damit, dass auch sie die Patentrechte besitzen. Wie bei den elektrophysikalischen Anlagen schon erklärt, sagen die Patente und Gebrauchsmusterschriften nichts über die technische Gebrauchstauglichkeit der Anlagen aus. Gleiches gilt für das CE-Kennzeichen. Hier wird nur geprüft, ob eine Gefahr von den Anlagen und Geräten ausgeht. Deshalb ist bei Einsatz solcher Anlagen eine unabhängige Prüfung nach der vorgestellten Methode unabdingbar, um im Zweifelsfall einen Rückbau auf Kosten des Unternehmens zu veranlassen.

Literatur

[1] WTA-Merkblatt 4-6 „Nachträgliches Abdichten erdberührter Bauteile“, Fraunhofer IRB-Verlag, 2014

[2] WTA-Merkblatt 4-7 „Nachträgliche mechanische Horizontalsperre“, Fraunhofer IRB-Verlag, 2015 (derzeit in Überarbeitung)

[3] WTA-Merkblatt 4-10 „Injektionsverfahren mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport“, Fraunhofer IRB-Verlag, 2015 (derzeit in Überarbeitung)

[4] ÖNorm B 3355 „Trockenlegung von feuchtem Mauerwerk“ Austrian Standards Institute, 2017

[5] DIN 18533 „Abdichtung von erdberührten Bauteilen“ Beuth Verlag, 2017

[6] Weber, Jürgen; Hafkesbrink, Volker „Bauwerksabdichtung in der Altbausanierung“, 5. Auflage, Springer Vieweg Verlag, 2018

[7] Weber, Jürgen, verschiedene Veröffentlichungen, eBook, Springer Vieweg Verlag 2021

[8] Weber, Jürgen „Elektroosmotische Trockenlegungsverfahren-eine ingenieurmäßige Betrachtung“, IKB, 2001

[9] Weber, Jürgen „Wirkmechanismen und Grenzen von Injektionsmitteln und deren Überprüfung, BuFAS e.V Tagungsband von den 23. Sanierungstagen, Dez. 2012

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