Making Germany

Mit „Making Heimat“ zeigte die Biennale 2016, wie sich Architektur
und Städtebau auf die Herausforderungen durch Migrationsbewegung einstellen können – inzwischen zeigen zahlreiche Projekte im Land, wie
Integration, soziales und nachhaltiges Bauen künftig gelingt. Und
bieten so einen Ausblick darauf, wie wir Deutschland künftig gemeinsam besser gestalten können.

Das zurückliegende Jahr 2021 war der Beginn einer neuen Dekade. Gleichzeitig beendete es die Ära Merkel als Bundeskanzlerin. Besonders die letzte Legislaturperiode ihrer 16-jährigen Bundeskanzlerschaft war geprägt von vielen neuen Herausforderungen, mit denen sich die Politik, aber auch die Gesellschaft, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auseinandersetzen müssen. Denn die Probleme unserer Zeit werden sich definitiv nicht in Luft auflösen. Die Einleitung der Klimawende, die Bewältigung der Migrationsströme sowie die Beendigung der Pandemie stehen ganz oben auf der To-do-Liste. Die lokalen Auswirkungen dieser Problemfelder bekommen wir am eigenen Leib zu spüren.

Auch wenn uns im Sommer 2021 die Flutkatastrophe im Ahrtal die gefährliche Situation im eigenen Land unmissverständlich vor Augen geführt hat, haben andere Regionen der Erde viel extremer und auch schon länger mit klimabedingten Ernteausfällen oder Hungersnöten zu kämpfen, die Teile ihrer Heimat unbewohnbar machen. Deutschland und die Europäische Union müssen sich ihrer Vorbildfunktion klar werden und sich die Auswirkungen ihrer Entscheidungen für die Länder des Globalen Südens bewusst machen. Nach den vielen Diskussionen der vergangenen Jahre, nicht nur in Politik und Gesellschaft, sondern gerade auch in der Baubranche, müssen JETZT die Taten folgen: Making Germany!

Am 31. August 2015 war Angela Merkel zu Gast in der Bundespressekonferenz, als sie die Worte aussprach, die ab dem Moment jeder mit ihrer Kanzlerschaft verband und mit denen sie und die von ihr geführte Regierung in den darauffolgenden Monaten gemessen wurden: „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so Vieles geschafft – wir schaffen das!“ Diese ungeahnten Worte des Vertrauens sowie die Nachrichtenbilder von deutschen Bahnhöfen und aus grenznahen Gebieten, auf denen die Geflüchteten mit der neuen deutschen „Willkommenskultur“ im Herbst 2015 empfangen wurden, waren der Auslöser für das Projekt „Making Heimat“.

Pragmatische Hilfe

Zuerst begann das Deutsche Architekturmuseum (DAM) im Rahmen der Konzeption der „Making Heimat“-Ausstellung für die Architekturbiennale in Venedig 2016 damit, realisierte beziehungsweise in Realisierung befindliche Bauten für Flüchtlinge und Migranten zu sammeln und in einer Online-Datenbank unter www.makingheimat.de für jedermann zugänglich zu machen. Diese sollten lokalen und regionalen Entscheidungsträgern sowie Planenden helfen, erprobte Lösungen zu vergleichen, um eigene Unterbringungen zeitnah zu konzipieren und umzusetzen. Während sich der „social turn“ in der deutschen Architektenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts eher in (Wieder-) Aufbau-Projekten und Design Build Experimenten im Ausland manifestierte, schien es im Herbst 2015, als wären die deutschen PlanerInnen wachgerüttelt worden. Sie wurden sich wieder ihrer sozialen Verantwortung im eigenen Land bewusst. Sowohl der „Wohnungsbau für das Existenzminimum“ als auch das „bezahlbare Wohnen“ waren wieder en vogue und unter extremen Bedingungen entstanden sogar gänzlich neuartige, experimentelle Co-Living und Co-Working Projekte.

Während nur eine kleine Auswahl der Flüchtlingsunterkünfte im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale 2016 in Venedig gezeigt wurde, präsentierte das Deutsche Architekturmuseum 2017 in einer erweiterten Ausstellung alle 57 Flüchtlingsbauten.  Besonders sieben außergewöhnliche Unterkünfte trotzten den widrigen Bedingungen und belegten mit ihren individuellen Lösungen vor Ort die These, dass Architektur und Stadtplanung einen wesentlichen Beitrag zur Integration leisten können. Außerdem zeigten sie in einer unmissverständlichen und klaren Haltung den Weg in Richtung eines bezahlbaren und gemeinschaftlich genutzten Wohnraums für alle.

Die Bauten wurden damals nach den Bundesländern sortiert, um die bundesweite Erstverteilung der Asylbegehrenden nach dem Königsteiner Schlüssel zu verbildlichen. Die Zuweisung der Geflüchteten auf die Erstaufnahmeeinrichtungen der 16 Bundesländer sollte durch den Schlüssel, der sich an den Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl eines Landes orientiert, möglichst gerecht vonstattengehen. Doch bereits im Februar 2016 machte unter anderem das Institut der deutschen Wirtschaft auf die Unzulänglichkeiten des Systems aufmerksam. Es forderte eine transparente und angemessene Verteilung auf die Länder und Kommunen, welche die lokalen Gegebenheiten von Wohnraum und Versorgung, Arbeit und Bildung besser berücksichtige, um die Integrationsarbeit vor Ort zu erleichtern.

In diversen Kommunen zeigte sich schon damals, dass der Übergang von der Erstaufnahme in eine bleibende Wohnung auf dem freien Markt, die Perspektivlosigkeit auf dem angespannten Arbeitsmarkt und die ungleichen Bildungschancen die wahren Herausforderungen der Merkelschen „Wir schaffen das!“-Politik sein würden. Denn vor Ort, in der Stadt und auf dem Land, in den Kommunen und Quartieren, muss der wahre Kraftakt geleistet werden, damit das Zusammenleben für alle BürgerInnen verbessert wird.

Die Lage hat sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch verschärft. Großstädte und Metropol­regionen kämpfen damit, sowohl den bereits ansässigen EinwohnerInnen als auch den NeubürgerInnen, die es aus dem In- und Ausland in die urbanen Räume zieht, eine lebenswerte Heimat zu bieten. 

Wohnraum, Infrastruktur, Arbeitsplätze und Freizeitmöglichkeiten müssen geschaffen werden – am besten gleichzeitig. Auf der anderen Seite erkannten einige konjunkturschwache Regionen, die mit Leerstand und Wegzug der jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung zu kämpfen haben, eine Chance in der Flüchtlingskrise, um ihre eigene Zukunftsfähigkeit zu beweisen und das nachhaltige Leben in der Kleinstadt oder auf dem Dorf voranzubringen.

Zusammenleben als Aufgabe

Genau diese Orte haben nun, da uns Klima und Pandemie deutlich zeigen, dass unsere bisherigen Konzepte im Zusammenspiel von Wohnen, Arbeiten, Familie und Freizeit dringend überarbeitet werden müssen, einen zeitlichen und räumlichen Vorteil. Natürlich gibt es unterschiedliche Antworten auf die entscheidende Frage, die 2021 auch auf der Architekturbiennale in Venedig gestellt wurde: „Wie wollen wir zusammenleben?“. Ob die eigene Zukunft eher in der Stadt oder auf dem Land liegt, muss jede/r für sich bzw. für seine/ihre Familie entscheiden. Und doch steckt in der Frage ein ganz entscheidendes Wort: zusammen! Nur wenn wir lernen, ab sofort im Sinne des Gemeinwohls zu denken und zu handeln, werden auch noch kommende Generationen eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten haben.

Die beiden „Making Heimat“ Ausstellungen (2016 und 2017) präsentierten, neben den bereits genannten Flüchtlingsbauten, schwerpunktmäßig die Ankunftsstädte (Arrival Cities) in Deutschland, die Stadtviertel, in den besonders viele MigrantInnen ankommen und ihre Bleibe finden, wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum. Acht Thesen wurden in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Autor Doug Saunders erarbeitet, die den BesucherInnen und LeserInnen die besonderen Qualitäten und Möglichkeitsräume in diesen meist als „Problemviertel“ bezeichneten Quartieren aufzeigten. Beispielhafte Situationen in deutschen Großstädten aus den Jahren 2015 und 2016 belegten die architektonischen und städtebaulichen Bedingungen, die in den Arrival Cities gegeben sein müssen, damit sich EinwanderInnen in Deutschland erfolgreich integrieren können. Die bilinguale Wortschöpfung „Making Heimat“ brachte dabei eine aktive Ebene in die Debatte und lenkte den Fokus auf den beidseitigen Integrationsprozess: Wie wird Heimat geschaffen? Was muss das Ankunftsland leisten und was wird von den Neuankömmlingen eingebracht?

Doch was bedeutet all dies konkret für die Gestaltung der Zukunft von Stadt und Land in Deutschland? Wie helfen die Beispiele und Erfahrungen von Making Heimat uns PlanerInnen weiter, so dass wir mit Making Germany beginnen können? Starten wir gemeinsam den Versuch, anhand der acht Arrival City-Thesen den Weg in eine resiliente und zukunftsweisende Architektur und Stadtplanung in Deutschland zu finden. Die formulierten Thesen sind allesamt allgemeingültig und zeitlos für die Ankunftsstädte und damit die Ankunftsviertel in den Großstädten des Globalen Nordens, denn sie beziehen sich nicht nur auf die Flüchtlingssituation, sondern auf Migration allgemein. Die ständig fortlaufende Urbanisierung, die Migrationsbewegung in wirtschaftlich und klimatisch gut situierte Städte und Regionen, wird sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen.  Im Folgenden wird eine Auswahl an Good Practice-Projekten der vergangenen Jahre dabei helfen, die acht Thesen aus dem Jahr 2016 zu aktualisieren und real werden zu lassen.

These 1: Die Arrival City ist eine Stadt in der Stadt. EinwanderInnen suchen ihre Chance in städtischer Dichte.

These 2: Die Arrival City ist ein Netzwerk von EinwanderInnen. Keine Angst vor ethnisch homogenen Vierteln: Sie ermöglichen Netzwerke.

Unsere bereits verdichteten Großstädte und Metropolregionen allein können die vielfältigen und komplexen Aufgaben in der Zukunft nicht allesamt bewältigen, dafür brauchen sie auch den ländlichen Raum sowie die Klein- und Mittelstädte. Gleichzeitig wird die erste Anlaufstelle für EinwanderInnen, die nicht durch einen offiziellen Verteilungsschlüssel ankommen, immer die Stadt sein, ganz konkret das Stadtviertel mit der größten migrantisch geprägten Bevölkerung. Denn dort werden sie auf Menschen treffen, mit denen sie auf Anhieb ihre Sprache und ihre Erfahrungen teilen können. Doch die Arrival Cities sind gleichzeitig auch Departure Cities, nach wenigen Jahren tauscht sich statistisch gesehen die Bevölkerung komplett aus, denn die Zukunft für ihre Familien sehen EinwanderInnen häufig außerhalb dieser meist dicht bevölkerten Stadtviertel.

Die beiden oben genannten Thesen sind heute genauso gültig wie im Jahr 2016, als sie erstmals formuliert wurden. Sie sollten auch weiterhin als Appell an die KommunalpolitikerInnen verstanden werden, die bekannten Ankunftsviertel wie Berlin-Neukölln oder Köln-Kalk nicht den Privatinves­toren und damit der urbanen Gentrifizierung zu überlassen, sondern durch gezielte Interven­tionen, das Leben aller aufzuwerten, ohne Teile der Bevölkerung dabei auszuschließen. Ein Beispiel wie dies kooperativ auf der Ebene der Verkehrswende geschehen kann, ist das vom Bundesumweltministerium geförderte Projekt „Beweg dein Quartier“, bei dem (u. a. 2021 im Offenbacher Nord­end) neue Möglichkeiten der Mobilität im Alltag getestet wurden, um dadurch Impulse für mehr Lebensqualität im Quartier zu setzen.

Sowohl in der Stadt wie auch auf dem Land, und erst recht in den Räumen zwischen Stadt und Land (in der „Zwischenstadt“, wie sie Thomas Sieverts nannte), müssen wir unsere bereits vorhandenen, gebauten Ressourcen besser nutzen, Bestand um- und weiterbauen sowie zirkulär denken und, wenn nötig, mit nachwachsenden Rohstoffen ergänzen und neu bauen. Wie das Leben auf dem Land für größere Bevölkerungsgruppen und diverse Schichten attraktiver werden kann, wird beispielsweise derzeit in der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen erprobt. Sollte auch die vom Land Saarland angestoßene IBA Großregion starten, können von dort weitere, grenzüberschreitende Modellprojekte erwartet werden.

Ein Beispiel aus Hessen zeigt auf, welche Potentiale das Land dank vorhandener Bausubstanz, Digitalisierung und Verkehrswende bieten kann – für alle, die bereit sind, Pionierarbeit zu leisten. Im Rahmen des „Summer of Pioneers“, der erstmals im Sommer 2021 durchgeführt wurde, zogen 20 Kreative und DigitalarbeiterInnen für sechs Monate zum Co-Living und Co-Working nach Homberg (Efze), einer nordhessischen Kleinstadt mit circa 14 000 EinwohnerInnen. Gewohnt wurde in renovierten und möblierten Fachwerkhäusern am zentralen Marktplatz. In einem umgebauten historischen Geschäftshaus, der „Fachwerkerei“, wurde gearbeitet. E-Bikes, Lastenräder und Car-Sharing Angebote ermöglichten die gewünschte Mobilität vor Ort und die Verknüpfung mit den Bahn-Angeboten der Umgebung.

These 3: Die Arrival City ist bezahlbar. Günstige Mieten sind eine Voraussetzung für die Attrak­tivität einer Stadt.

These 4: Die Arrival City ist gut erreichbar und bietet Arbeit. Arbeitsplätze entstehen dort, wo es bereits Arbeitsplätze gibt. Ein gutes öffent­liches Verkehrsnetz ist unverzichtbar.

Wohnen und Arbeiten sind vor allem in unseren Großstädten und Metropolregionen durch Bus und Bahn eng miteinander verknüpft. Ohne Arbeit kann man sich im Speckgürtel der Städte keine Bleibe leisten und besonders für Geringverdiener­Innen ist der öffentliche Nahverkehr der Garant für einen reibungslosen Pendelverkehr zwischen Wohn- und Arbeitsort. Erst die Homeoffice-Pflicht und die Erfahrung mit den digitalen Arbeitsmöglichkeiten der vergangenen zwei Jahre – dies trifft selbstverständlich nicht auf alle Berufe zu – haben uns gezeigt, dass es in Zukunft neue Formen des Arbeitens geben wird, die auch Auswirkungen auf das Wohnen haben werden. Zwei beispielhafte Co-Living und Co-Working Projekte in außergewöhnlichen Bestandsbauten lohnen einen Ausflug, auch wenn sie teilweise noch im Entstehen sind: der Gröninger Hof in einem alten Parkhaus in Hamburg  und die Alte Samtweberei in Krefeld .

Auch wenn der Wohnungsbau grundsätzlich in den vergangenen Jahren nicht immer einfacher, günstiger oder schneller wurde, haben die ersten Flüchtlingsunterkünfte doch viel Vorarbeit geleis­tet für neuartige und bezahlbare Wohnprojekte. Besonders das gemeinschaftliche Wohnen und multifunktionale Bauten rücken hier sowohl im Umbau, im Weiterbau (mit Aufstockung) wie im Neubau vermehrt in den Fokus.

Einen Deutschen Bauherrenpreis 2020 für „Hohe Qualität – Tragbare Kosten im Wohnungsbau“ erhielt der Evangelischen Kirchenverband Köln und Region zusammen mit Bergblau Architekten. Sie bauten ein zentral gelegenes, ehemaliges Bürogebäude aus den 1950er-Jahren, das Nikolaus von Zinzendorf-Haus, in ein Mehrfamilienhaus mit 13 familiengerechten Wohneinheiten um. Vorerst wird es von Geflüchteten genutzt. Im Erdgeschoss und mit Bezug zum Altstadtquartier befinden sich gemeinschaftliche Räume, sodass dieses Projekt auf allen drei Nachhaltigkeitsebenen gelungen ist.

In Frankfurt am Main werden die bestehenden, dreigeschossigen Zeilenbauten in der Platensiedlung, einer ehemaligen Housing Area der US Army aus den 1950er-Jahren, von Stefan Forster Architekten mittels einer modular aufgebauten Holzkonstruktion auf fünf Geschosse aufgestockt und um Kopfbauten ergänzt. Dadurch konnte der Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding erhalten, zusätzlicher Wohnraum in einem bestehenden Wohngebiet geschaffen und ein Großteil der Grünflächen erhalten werden.

Für die Kooperative Großstadt eG hat eine deutsch-belgische Architektengemeinschaft, Anne Femmer, Juliane Greb, Petter Krag und Florian Summa, das Wohnhaus San Riemo in der Messestadt Riem neu gebaut. Über den Gewerbe- und Gemeinschaftsflächen im Erdgeschoss liegen die Wohngeschosse, auf denen je nach Bedarf der rund 80 Bewohner­Innen einzelne Räume hinzu- und weggeschaltet werden. Ein resilienter Wohnbau sollte hier geschaffen werden, der durch die ausgeklügelte Flexibilität eine höhere Lebensdauer erhält.

These 5: Die Arrival City ist informell. Die Tolerierung nicht gänzlich rechtskonformer Praktiken kann sinnvoll sein.

Die Auslegung dieser These war und ist umstritten, doch was allen PlanerInnen klar sein dürfte: Unsere Normen und Vorschriften verhindern derzeit experimentelle (Um-)Bauten im größeren Stil. Wer einen langen Atem hat oder im Stande ist, die geltenden Regeln für sich auszulegen, ist im Vorteil. In unmittelbarer Nähe zum Dong Xuan-Center, einem vietnamesischen Großmarkt in Berlin-Lichtenberg, der 2016 in der Making Heimat-Ausstellung zum Sinnbild für den Aufruf zur Tolerierung „informeller“ Praktiken wurde, hat das Büro Brandlhuber+ um den Architekten Arno Brandlhuber das „San Gimignano Lichtenberg“ gestartet . Durch wenige, gezielte Eingriffe wurden die beiden Betontürme der VEB Elektro­kohle Lichtenberg so umgebaut, dass sie nun als Arbeitsort und urbane Produktionsstätte genutzt werden dürfen. Im Sommer 2021 fand auf dem Areal passenderweise das Festival „Berlin ques­tions“ statt, bei dem über vier Tage hinweg neue Modelle für die Zukunft und das Zusammenleben in der Großstadt diskutiert wurden.

These 6: Die Arrival City ist selbstgebaut. Selbsthilfe beim Bau von Wohnraum wäre nötig und darf nicht durch zu hohe Anforderungen verhindert werden.

Für das Bellevue di Monaco in München, Hirner & Riehl Architekten, wurden von 2016 bis 2018 drei Häuser in der Innenstadt Münchens vor dem Abriss bewahrt und anschließend mit begrenztem Budget und viel ehrenamtlichem Engagement saniert. Die Arbeiten wurden ausgeführt von lokalen Betrieben in Zusammenarbeit mit ausgewählten Geflüchteten. Dieses Projekt beweist, dass auch ohne große finanzielle Mittel, aber mithilfe von Hartnäckigkeit, Handwerk und Manpower Einzigartiges entstehen kann. Die „Willkommenskultur“ hat hier einen baulichen Ausdruck gefunden. Neben den beiden Wohnhäusern für Jugendliche und Familien wurden das Bellevue Café und die angrenzenden Kulturräume geschaffen, um den Austausch zwischen Einheimischen und Geflüchteten im alltäglichen Miteinander zu fördern.

Dass solch ein konstruktives Miteinander auch für Studierende zu einem besonderen Erlebnis werden kann und zukunftsweisende Räume kreiert, zeigen zwei Design Build Projekte in Rhein-Neckar: das Gemeinschaftshaus für die Flüchtlingsunterkunft Spinelli in Mannheim, initiiert von der TU Kaiserslautern, und der Neubau für das Wohnheim Collegium Academicum in Heidelberg, mit Beteiligung von DGJ Architektur .

These 7: Die Arrival City ist im Erdgeschoss. Ob kleinteilige Geschäftsräume im Erdgeschoss verfügbar sind, bestimmt die Qualität des öffentlichen Raums.

These 8: Die Arrival City braucht die besten Schulen. Die besten Schulen sollten in den schlechtesten Vierteln sein, um die Kinder zu qualifizieren.

Die vergangenen zwei Pandemiejahre haben die Aktualität der verbleibenden Thesen noch deutlicher gemacht: Damit unsere Städte, Quartiere und Dörfer weiterhin lebendig und lebenswert sind, müssen wir unseren Erdgeschosszonen, öffentlichen Räume und Bildungsstätten mehr Zeit und Energie widmen. Kurzfristige Pop-up-Konzepte sollten durch langfristige ersetzt werden, die wir gemeinsam entwickeln. Partizipative Modellprojekte, wie das Altstadtquartier Büchel in Aachen, machen vor, wie dies gehen kann. Doch wir brauchen mehr davon, denn sie brauchen viel Zeit in der Entwicklung und Umsetzung.

Die enorme Kraft und der Transformationswille der von Klimawandel und Pandemie geprägten Generationen gepaart mit den konkreten Forderungen und den co-kreativen Lösungsansätzen der ArchitektInnen und PlanerInnen, beispielsweise bei den Architects for Future, machen Hoffnung, dass es in den verbleibenden neun Jahren unserer Dekade mehr vorzeigbare Bauten sowohl in der Stadt als auch auf dem Land geben wird, die das Zusammenleben fördern, die Lebensqualität verbessern und unser Dasein auf diesem Planeten weiterhin ermöglichen. Lasst uns die Zukunft gemeinsam gestalten: Making Germany!

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