Living in a Sculpture? Warum nicht! Noch bis zum 26. September 2021

Vor knapp vier Jahren traf ich in Berlin auf Van Bo Le-Mentzel. Der Architekt hatte damals in Front des Bauhausarchivs eine kleine Siedlung initiiert;  „bauhaus campus“ nannte sich das Gefüge aus sehr unterschiedlich gestalteten Tiny Houses. Van Bo Le-Mentzel war bekannt geworden durch seine Projekte „Hartz-IV-Möbel“ oder „100-Euro-Wohnung“, in denen es ebenfalls um eine Art Abschied von Gewohnheiten (auf großer Fläche) ging.

Das Kleinersein kann auf ein Winzigsein schrumpfen, wenn man „tiny“ wörtlich übersetzt. Es kann mit „tinyBE“ auch eine Art von Lebenseinstellung beschreiben oder den Ausgangspunkt einer architektonisch/künstlerischen Arbeit. So jedenfalls kann man das Ausstellungs- und Veranstaltungsformat „tinyBE. living in a sculpture“ interpretieren, ein interdisziplinäres Projekt in Frankfurt a. M., Wiesbaden und Darmstadt, das ein diskursives Gespräch an der Schnittstelle von Bildender Kunst, Architektur, Design und Wissenschaft ermöglicht. Noch bis zum 26. September 2021 vereint tinyBE neun temporär bewohnbare Skulpturen von KünstlerInnen, die meisten davon im Metzlerpark am Schaumainkai in Frankfurt. Alle können über die Homepage nächte­weise für eine Pauschale gebucht werden.

Dort stehen sie – vom nahen Main durch die verkehrslaute Straße Schaumainkai getrennt – in ­direkter Nachbarschaft zu einem Richard-Meyer-Architekturklassiker, dem Museum Angewandte Kunst –, die Baumzimmer, Betonskulpturen, Gerüstbauten, Erdhöhlen oder Wohnwagen der anderen Art. Locker verteilt im Grünraum korrespondieren sie mit der Frankfurter Skyline oder mit sich selbst. Das Ganze erinnert an ein Skulpturenprojekt der „Skulpturen“ in Münster und wirklich sind hier – außer der Miniatur der roten Infobox von schneider+schumacher – ausschließlich Künstler am Werk gewesen. Die sich allerdings Gedanken darüber gemacht haben, wie man in einer Skulptur leben kann. Oder hausen? Visionäre, utopische oder auch dystopische Ideen, so die Aussteller unter der kuratierenden Leitung von Cornelia Saalfrank, Wiesbaden, sollen neue Formen des Wohnens und Arbeitens vorstellen. Dabei geht es in einen (von zwei) Erdhügel(n), eine Arbeit der Französin Laure Prouvost mit dem Titel „Boob Hills Burrows“; oder hinauf in ein in Ästen schwebendes, tageslichthell gemachtes Bett, eine Arbeit des chinesisch-kanadischen Künstlers Terence Koh mit dem Titel „spiral home“; oder man schlüpft in den Sperrholz-Pavillon, dessen Außenhaut ca. 300 beschichtete Mycel-Elemente bilden, die von einer über die ganze Skulptur gespannten Leinwand witterungswiderständig gesichert wurde, eine Arbeit des Künstlerkollektivs MY-CO-X, die sich intensiv mit Materialien beschäftigen, u. a. auch mit der Pilz­biotechnologie.

Es gibt eine Betonskulptur, die vor Ort in einem Erdloch gegossen wurde (Christian Jankowski: „Bodybuilding (Mies van der Rohe)“; es gibt eine Baugerüstkonstruktion, die ein Haus formt, in dem wiederum ein Haus (als Holzcontainer) steht (Mia Eve Rollow & Caleb Duarte: „The Embassy of the Refugee“) und es gibt den Wohnwagen von Thomas Schütte („Spartà Hut“), der als einziger uns Verwöhnten das verspricht, was er negieren will: Komfort. Aber in Grenzen. Für die anderen Beiträge gilt eher, dass man mutig sein sollte, sich auf sie als Wohnraum einzulassen (für eine Nacht).

Was machen mit diesen Versuchen, das Leben in einer Skulptur möglich zu machen? Geht das überhaupt zusammen, Kunst und Gebrauch? Und hilft es uns, neu und ganz anders über das Bauen nachzudenken? Die Veranstalter haben den Skulpturen die gehaltvolle Veranstaltungsreihe „tinyMONDAYS“ zur Seite gestellt, die solchen Fragen Raum und möglicherweise auch Antworten gibt. In jedem Fall soll sie „einen geistigen Freiraum für einen generationsübergreifenden Dialog über sinnstiftendes ­Leben und Zukunftsvisionen“ schaffen sowie den interdisziplinären Austausch zu Themen der Nach-
haltigkeit alternativer Wohn- und Lebensräume ermöglichen. tinyBE und tinyMONDAYS haben das Ziel, auf der Basis künstlerischer Konzepte einen inspirierenden Diskussionsraum über Wohnmodelle oder auch Lebensformen der Zukunft zu schaffen.

Doch über alles Erleben hinaus kommt einem die Frage, wie denn das wunderbare Schlafen in den Zweigen oder das geduckte Wohnen in den Höhlen die Wohnungsprobleme bspw. in Frankfurt a. M. bewältigen könnte. Werden hier lediglich Trends wie Tiny Living aufgegriffen? Wird ökologisches Bauen als romantisches Lagerfeuererleben zelebriert? Und ist nicht das hier progagierte, „innovative Wohn- und Lebenskonzept“ eher eines für eine Minderheit, die ohnehin schon in Zelten unterwegs ist auf der Suche nach dem Wesentlichen in der dann doch zeitlich sehr beschränkten Anwesenheit auf diesem Planeten?

Vielleicht sollten wir uns weniger fragen, welche Orte wir zum Leben und Arbeiten brauchen, als vielmehr, welche Arbeitsinhalte ermöglichen uns welches Leben? Die Orte werden dann schon kommen. Nichtsdestotrotz sollte man – wenn noch Zeit ist in dieser unsicher gewordenen Urlaubszeit – eine Nacht buchen. Irgendwann wird die nahe Straße auch einmal für ein paar Stunden ruhiger, davor kommen die Gespräche mit den Nachbarn und Nachtwandlern im „tinyBE extend: vista 3,5°“, der überformten Brunnenskulptur Richard Meiers. Die Sterne am Himmel sind dann die leuchtenden Hochhäuser auf der Mainseite gegenüber und am frühen Morgen gibt es Croissants, ebenfalls bei Richard Meier. Dann nimmt man sich vor, zuhause mal wieder im Garten zu schlafen oder doch wenigstens die freigewordenen Zimmer unterzuvermieten. Wenn das alles käme, hätte es sich gelohnt, für die Projektemacher, die Initiatoren und die Stadt Frankfurt und am Ende für uns alle. Be. K.

www.tinybe.org
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