Das Problem ist eher der Mangel an FantasieIm Gespräch mit Van Bo Le-Mentzel, Berlin

Das Bauhaus-Archiv in Berlin erhält einen Erweiterungsbau (Volker Staab Architekten), in 2018 sollen die Bau­arbeiten starten, es wird im heiligen Boden gegraben. Diese Baustellensituation nutzt der als Kind aus Laos geflüchtete Van Bo Le-Mentzel, auf dem Angestelltenparkplatz des Hauses seinen „bauhaus campus“ auf­zubauen. Der besteht aus einigen Tiny Houses, Kleinstwohnungen auf fahrbarem Untersatz. Bekannt wurde Le-Mentzel durch seine Hartz IV Möbel und über die in diesem Kontext veranstalteten Workshops, Vorträge und Lehraufträge. Was hinter dem „bauhaus campus“ steckt, welche Forderungen und Träume der Architekt daran knüpft, mit wem er zusammenarbeitet und wie das alles funktioniert, darüber sprachen wir mit dem rastlosen, energiegeladenen Mann und jungen Vater. Natürlich vor Ort, mal in diesem, dann in einem anderen der Kleinsthäuser. Immer da, wo es gerade ruhig genug war für ein Gespräch.

Lieber Van Bo: Hier im Schatten des Bauhaus-Archivs ein Wagendorf installieren zu dürfen erscheint mir sehr privilegiert. Wie habt ihr es auf den heiligen Boden geschafft?

Van Bo Le-Mentzel: Ich arbeite schon länger mit dem Bauhaus in Berlin zusammen. Ich bin ein großer Fan der Bauhausbewegung, die aber schon länger nur noch in unseren Einbauküchen lebt. Hier am Archiv aber kann ich von diesem ersten Aufbruchgefühl noch etwas spüren. Mir geht es überhaupt nicht um Formensprache, um Bauhausdesign, ich interessiere mich dafür, wie die Kreativen von damals auf den politischen Wandel in der Weimarer Republik reagiert haben. Und wie wir Gestalter heute auf gesellschaftlichen Wandel reagieren müssen.

Sind die Zeiten heute vergleichbar mit damals?

Ja, das scheint mir so zu sein. Wir gehen in eine neue Zeit, vielleicht eine neue Epoche. Ich habe den Eindruck, dass ein politischer Wandel und die zunehmend schneller sich vollziehende Globalisierung heute schon sichtbare Folgen hat. Ich sehe ein neues Weltbürgertum kommen.

Zeitenwende, Weltbürgertum: Welche Rolle spielt dabei der „bauhaus campus“?

Bis 2050 sollen rund 10 Mrd. Menschen auf der Welt leben. Was kann bis dahin passieren? Wir können zum Beispiel ein Dorf mit diesen kleinen Häusern auf Trailern bauen. Der Trailer deshalb, weil ich davon ausgehe, dass wir die Häuser so parken wie ein Auto. Das alles mit den revolutionären Bauhausgedanken im Hinterkopf, mit den Siedlungsmodellen Törten, Weißenhof … Da wollte man eine neue Gesellschaft denken, wir würden die gerne bauen.

Was bedeutet dabei der mobile Aspekt?

Was wir jetzt schon wissen ist, dass wir mit den Tiny Houses nicht die Mega-Cities versorgen können. Aber was spricht denn dagegen, bisher ungenutzten Raum fürs Wohnen zu nutzen? Und um mit einem häufig vermuteten Missverständnis aufzuräumen: Wir sehen unsere Häuser nicht im thoreauschen Sinne als eine Hüttenidylle am Waldrand in selbstgewollter Einsamkeit. Nein, wir projizieren unser Projekt mitten in die Wohn- und Lebensgemeinschaft der Städte, der Dörfer. Auch, um Nachbarschaft wieder lebendiger zu machen.

Das Tiny House als temporärer Puffer?

Genau! Nicht einfach mehr Raum schaffen – auf Kosten des Allgemeinguts Raum – sondern den schon vorhandenen Raum intelligent
managen. Wieso muss einer, der einen Friseurladen aufmachen will, gleich eine Immobilie mieten?! Muss er nicht!

Klingt ziemlich einfach. Aber ist der Stellplatz auch vorhanden?

Es gibt in Berlin 1,5 Mio. PKWs. Die meisten davon stehen im öffentlichen Raum, auf eben den 10 m², die unsere „Tiny Houses“ beanspruchen. Hier kann ich – von einem moralischen Standpunkt aus – fragen, woher diese Parker die Legitimation herleiten, diesen Platz zu besetzen, ihn aber möglicherweise denen nicht zugestehen, die kein Auto, aber ein Tiny House besitzen?

Ihr arbeitet in der von euch 2015 gegründeten „Tiny House University“ mit Flüchtlingen zusammen. Gibt es von dort aus Rückkopplungen auf dieses Wohnprojekt hier?

Unbedingt! Ich habe von den Syrern, den Ägyptern und anderen gelernt, anders über Mobilität, anders über das Wohnen nachzudenken. Die haben in Turnhallen, auf der Straße und unter Brücken gelebt. In diesem Kontext ist mir klar geworden, dass die Größe einer Wohnung nicht entscheidend ist für die Zufriedenheit ihrer Bewohner.

Ich kann mir gerade nicht vorstellen, im „Tiny Tea House“ von Jan Körbes länger als einige Minuten zu verbringen!

Ach, es kommt darauf an, was du darin machst! Sei offen für das Experiment, vielleicht willst du nur noch in diesem Teehaus schlafen!

Internetkommentare werfen euch vor, auf den Raummangel mit mangelhaftem Raum zu reagieren. Von „Menschenverachtung“ war da die Rede. Was sagst du zu dem Vorwurf?

Ich glaube, dass wir Architekten so entwerfen sollten, wie es gebraucht wird. Manche brauchen das Weiße Haus, manche wollen im Zugabteil oder auf der Straße leben. Hier können wir als Planer Möglichkeiten schaffen. Dem Bedarf angepasst planen, nicht mehr. Wir haben hier unser Dorf gegründet und mehr ist das erst einmal nicht.

Keinerlei Verantwortung, keinerlei Zehn-Punkte-Manifest?

Nein, hier kann jeder machen, was er für die Gemeinschaft als nützlich erachtet. Die einzige Auflage war, dass jeder Raum, auch wenn er noch so klein ist, einen Schlafplatz für eine Person in Not anbietet.

Waren die Jahre deines Architekturstudiums vergeblich?

A wie Architektur stand auf der A-Z-Berufswunschliste ganz oben, ich habe mich vielleicht zufällig dafür entschieden. Ich war Musiker, Rapper, Radiomacher. Studiert habe ich wegen des BAföGs. Aber jetzt bin ich Architekt. Ich habe gelernt, dass Architektur eine Art Grammatik ist, die die Gesellschaft bestimmt. Verbessere ich die Architektur, verbessere ich die Gesellschaft.

Was ist das Ziel vom „bauhaus campus”?

Ich möchte in diesem Jahr so viel Erfahrung sammeln, dass wir beispielsweise auf dem dann geschlossenen Flughafen Tegel als Planer hinzugezogen werden und unsere Expertise ausspielen.

Gibt es hier im Dorf unterschiedlich einfaches Wohnen?

Nein. Doch. Es gibt einen unterschiedlichen Perfektionismus. Da ist Leonardo mit seinem extrem funktionalen und reduzierten Design [„aVOID“ von Leonardo di Chiara; Be. K.]. Oder da sind die Rosenheimer mit ihrer „35KubikHeimat“, die sehr technisiert ist, energieautark etc. Hier, auf diesem Haus, ist nicht einmal eine Solarzelle. Aber diese Spannweite macht es interessant. Für mich gilt die Überzeugung des Philosophen Leopold Kohr: „Small is beautifull!“ Dezentralität, diverse Technologien etc. Strom aus der Solarzelle ist gut, Strom aus der Steckdose ist auch gut. Gasofen, Kohleofen … Ich will damit sagen, wir brauchen vor nichts Angst zu haben, wenn wir nicht davon dominiert werden. Wir können ohne fließend Wasser leben, ohne extensive Dämmung, ohne Internet … Na, das vielleicht doch nicht!

Sind wir vom Wohlstand dominiert?

Definitiv. Viele von uns, die meisten sind sehr, sehr bequem geworden. Wir können uns ja heute nicht mehr vorstellen, Wohnraum zu nutzen, der nicht vorher sämtliche Baugenehmigungsverfahren durchlaufen hat. Ich wurde einmal zu einem Projekt eingeladen, da sollte ich Wohnraum für 500 €/m² planen. Ich wunderte mich, dass gerade ich gefragt wurde und nicht Büros mit entsprechender Erfahrung. Es gäbe hier niemanden, der auf diesem Preisniveau planen könne, bekam ich zur Auskunft! Und tatsächlich hatten die Architekten Angst davor, dass die Wohnungen viel zu klein werden könnten!

Wer finanziert das Projekt?

Die „Tiny House Summer School“ wird von der IKEA-Stiftung mit 60 000 € gefördert, weitere Projektgelder kommen dazu. Wir bieten Workshops an zum Bau von Tiny Reihenhäusern, hier unterstützt Xing. Die Solaranlagen wurden teils gesponsort … Das Geld ist nicht unser Problem. Das Problem ist eher der Mangel an Fantasie.

Mangel an Fantasie auf welcher Seite?

Bei allen, auch bei uns. Stichwort Toiletten im eigenen Haus. Ich sollte doch tatsächlich ein Baustellenklo organisieren! Hier bildet sich ein verbreitetes Muster unserer Gesellschaft ab: Ich erwarte bestimmte Dinge, weil ich ja dafür zahle. Aber dass man mit Fantasie aus diesen lästigen Dingen auch kreative, nützliche Sachen machen könnte, das sieht keiner. Also: Verantwortung abschieben und bloß nicht nachdenken!

Was wird sich hier noch entwickeln?

Ich hoffe, dass ich das „Co-Being House“ noch starten kann, dass sich noch in diesem Jahr ein Investor, ein Grundstücksbesitzer bei uns meldet, der sich vorstellen kann, den Bauantrag zu stellen und das Haus mit uns zu realisieren. Das Projekt steht in der Tradition des WBS 70, ein Wohnungsbautyp, der überall funktionieren soll.

Zum Schluss: Schauen wir hier Utopisten über die Schulter?

Ich würde es nicht so hoch aufhängen. Vielleicht versuchen wir hier alle zusammen, Utopie mit dem Akkuschrauber herbei zu zaubern.

Mit Van Bo Le-Mentzel unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am
6. September 2017 am „bauhaus-campus“ in Berlin

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