Lesbare Fassade
Museum der Schriften in Figeac/F

Im südfranzösischen Figeac, zwischen Montpellier und Bordeaux, lockt die Poesie einer Fassade, die Alt und Neu respektvoll vereint, zu einer Entdeckungsreise in das Museum der Schriften der Welt. Das Museum ehrt  mit seinen ausgestellten Exponaten Jean- François Champollion, den Entzifferer der Hieroglyphen, der
hier im Jahr 1790 zur Welt kam.

Die Pariser Architekten Alain Moatti und Henri Rivière fanden zwischen dem Place Champollion und dem Place des Ecritures (Platz der Schriften) ein Ensemble von drei mittelalterlichen, teilweise entstellten, maroden Gebäuden vor. Die Renovierung des Ensembles legte manch schönes Detail der Steinmauern frei und nun inszeniert eine starkfarbige Szenografie die 5300 Jahre Geschichte von den Anfängen der Schrift im Erdgeschoss bis zum „Salon de lectures électronique“ unter dem Ziegeldach. Der Parcours bildete die Ausgangsbasis des Entwurfes. „Das Äußere kann erfahrungsgemäß erst nach der inneren Organisation eines Museums festgelegt werden. Es war uns wichtig, der Fassade gleichzeitig die Monumentalität eines öffentlichen Gebäudes zu verleihen und seine Bestimmung zu zeigen.“, erklärt Monsieur Moatti das zweiteilige emblematische Gesicht des Haupteingangs. Die vier Spitzbogenportale des einstigen Wohnhau-

ses und die Fensteröffnungen darüber wirken wie ein historisierender Weichzeichner für den Neubau,der sich einen Meter hinter der alten Fassade befindet. Die Distanz verleiht Tiefe, zeichnet Schatten und nimmt die tagsüber geöffneten rostroten Türflügel aus widerstandsfähigen Corten-Stahl auf. Dieser halböffentliche Raum zwischen Stein und Glas ist Teil des Ausstellungsrundgangs. Wie auf einer Bühne erscheinen und verschwinden die Besucher auf den drei Ebenen außen in den Fensteröffnungen und auf dem „Soleilo“ unter dem auskragenden Dach, eine Referenz an die Bautradition der Gegend.

Die Fassade-Prototyp und Handarbeit

Zwischen den Doppelscheiben der Vorhangfassade ist hauchdünn gewalztes Kupfer eingeschweißt. Es setzt sich aus handtellergroßen Quadraten zusammen, die bei genauem Hinsehen noch gut im Glas zu erkennen und auf einer Polymerträgerfolie fixiert sind. „Wir wollten Kupfer einfach wegen der warmen Farbe, die sich so gut in das Stadtbild einfügt“ begründet der Architekt diese neuartige Kombination. Über ein Jahr lang tüftelte man an der passenden Temperatur: Ausreichend um das Kupfer mit dem Glas zu verbinden aber ohne die Farbe des Metalls zu beeinflussen. Spezialisten schnitten nach den Entwürfen von Pierre de Sciullo per Hand die tausend heiligen und profanen, mystischen und noch rätselhaften, sogar erfundenen Buchstaben und Symbole, aus allen Zeiten und Kulturen aus. Der Grafiker hat sie als gleichwertige Individuen nebeneinander gestellt.

Diese Verbindung Prototyp und Handarbeit ist typisch für die Arbeit von Moatti und Rivière, die mit der Ausstattung des Hauptsitzes von Jean-Paul Gaultier bekannt wurden. Sie sehen sich als „neue Handwerker vergessenen Wissens und künftiger Technik“. Einzig durch die ausgeschnittenen Schriftzeichen-Fenster fällt das Tageslicht in die Ausstellungsräume. Es beschreibt Boden, Wände und Laibungen mit Runen, Dürer-Lettern oder chinesischer Schrift. Von Bedeutung gesättigt, so sehen die Architekten die Fassade, die das Museum ansonsten vor dem südlichen Licht „wie einen Schatz“ verschließt, um die empfindlichen Exponate zu schützen. Nachts glühen die Schriften, das Haus gleicht einer Laterna Magica. Scheinwerfer erzeugen von außen diesen Effekt, der von innen zu kommen scheint. Cornelie Kraus, Jarzé

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