Standpunkt Architekturpsychologe

„Jenseits von Schock und Langeweile“
Prof. Dr. Riklef Rambow
zum Thema „Farbe“

Die Farbe ist eines der wirkungsvollsten Gestaltungsmittel von Architektur und Stadtraum; zugleich ist sie aber auch eines der am stärksten unterschätzten. Farbe wird unmittelbar und beim ersten Kontakt mit einem Objekt oder Raum wahrgenommen und trägt zur spontanen und intuitiven Eindrucksbildung wesentlich bei. Sie ist eines der stärksten Mittel zur Erzeugung von Atmosphären.

Dennoch ist zu beobachten, dass Auswahl und Einsatz von Farbe häufig wenig bewusst geschehen; oftmals werden sie nicht als integraler Bestandteil des Entwurfs, sondern als nachgeordnete Ausstattungsentscheidung gehandhabt. Das ist insofern bedauerlich, als die Wirkung von Farbe unauflöslich mit den anderen Eigenschaften eines Raum- oder Objekteindrucks verwoben ist: Ob eine Farbe in einem bestimmten Moment als stimmig empfunden wird, hängt von Material, Textur, Licht, Größe einer Fläche, benachbarten Farbeindrücken und einer ganzen Reihe weiterer Faktoren ab. Eine isolierte Betrachtung von Farbe führt leicht zu falschen Schlüssen.

Deshalb ist auch der Nutzen farbpsychologischer Forschung für die Architektur begrenzt. Die meisten ihrer Erkenntnisse wurden unter stark abstrahierten Laborbedingungen gewonnen und sind auf die komplexen Bedingungen im realen architektonischen Raum nicht übertragbar. Auch bei der Orientierung an künstlerischen Farblehren ist aus demselben Grund Vorsicht geboten. Eine fundierte Farblehre für Architektur und Städtebau muss sich in erster Linie auf Erfahrungen mit realisierten Beispielen in ihrer ganzen kontextuellen Komplexität beziehen. Es ist bedauerlich, wie wenig systematische Forschung es gibt, die diese Erfahrungen auswertet und nutzbar macht.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass eine bevorzugte Strategie im Umgang mit Farbe deren Vermeidung ist. Um sich nicht dem Verdacht purer Subjektivität oder gar der „Verniedlichung“ oder „Verhübschung“ auszusetzen, werden Räume und Fassaden farblich „neutral“ gehalten. In Innenräumen dominiert dann das Weiß, an Fassaden und öffentliche Räumen finden sich fein abgestufte Grautöne. Allerdings ist die vermeintliche Neutralität eine Schimäre; eine weiße Wand ist eine genauso klare Aussage wie eine grüne, durch ihre Blendwirkung kann sie sogar wesentlich störender wirken. Der „graue Kasten“ im Stadtraum ist der prototypische Stein des Anstoßes für die meisten Bewohner. Kaum eine Farbwahl, sei sie noch so krass und unsensibel dem Kontext gegenüber, wird ähnlich starke Ablehnung hervorrufen. Die Präferenz für das „Neutrale“ wird gleichwohl schon während des Architekturstudiums gefördert. Selten die Abschlussarbeit, die klare Aussagen zur Farbgestaltung macht oder gar ein abgestimmtes Konzept beinhaltet. Wenn doch, ist die Gefahr groß, dafür eher abgestraft als belohnt zu werden.

Ein gutes Farbkonzept erfordert Mut, Sensibilität und Kreativität. Es unterstützt die Raumwirkung, erzeugt Tiefe, Vielschichtigkeit und Abwechslung, mithin eine sinnlich reichhaltigere und anregendere Umgebung. Insofern sind Konzepte, die bewusst „radikal“ und „provokativ“ mit Farbe umgehen, eher hinderlich. Die Bibliothek im psychedelischen Farbstrudel, die Schule, die von der Türklinke bis zum Bodenbelag von einheitlichem Gelb wie übergossen wirkt, das Behördenzentrum mit den schockierend orangenen Fluren erzeugen zwar kurzfristig Aufmerksamkeit, setzen aber letztlich nur den aggressiv eindimensionalen Umgang fort, der in der Werbung mit Farbe getrieben wird. Ihre Wirkung ist heftig, aber begrenzt, und kann schon nach kurzer Zeit schal und störend werden. Es ist zu hoffen, dass die vielfältigen Möglichkeiten einer originär architektonischen Farbgestaltung zwischen übertriebener Enthaltsamkeit und inszenierter Schockwirkung in Forschung, Praxis und Lehre wieder stärker zum Gegenstand des Interesses werden.

Der Psychologe und Architekturkommunikator

Prof. Dr. phil. nat. Riklef Rambow hat Psychologie in Bie­lefeld studiert und wurde mit einer Arbeit über „Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur“ an der Universtität Frankfurt a. M. promoviert. Er ist seit zehn Jahren im Bereich Theorie der Architektur (BTU Cottbus) tätig und leitet seit 2009 das Fachgebiet Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie. In Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit der Wahrnehmung, dem Gebrauch und der Vermittlung von Architektur und Stadt.

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