Integrale Massivholzbrücken – Holz und Beton monolithisch verbunden

Nachdem der Brückenbau jahrzehntelang von Stahl- und Stahlbetonwerkstoffen dominiert war, gewinnt der nachwachsende Baustoff Holz aus ökologischen Erwägungen auch im Brückenbau wieder an Bedeutung. Mit ihren neuen technologischen Entwicklungen stehen die vorgestellten „integralen Massivholzbrücken“ für eine dem Material angemessene, ­eigenständige Formensprache.

Holz im Brückenbau

Holz − der älteste Brückenbauwerkstoff wurde ab dem frühen 19. Jahrhundert durch Stahl und seit Beginn des 20. Jahrhunderts dann von Stahlbeton im Wettkampf um größere Spannweiten und wirtschaftlichere Lösungen im Brückenbau fast vollständig von den technologisch stetig weiterentwickelten, ­industriell herstellbaren Baustoffen verdrängt. Aus Holz gebaute Brücken machen heute nur noch einen verschwindend geringen Anteil der Bestands- und Brückenneubauten aus. Auch haben die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebauten Holzbrücken aufgrund der häufigen Schadensfälle den Werkstoff in Verruf gebracht. Zwar hatten diese Schäden meist mit mangelhafter konstruktiver Durchbildung und nicht ausreichender Wartung zu tun, aber diese Wahrnehmung verstellt den Blick auf die Chancen und Möglichkeiten des Holzbrückenbaus angesichts eines sich vermehrt auch bei Infrastrukturprojekten durchsetzenden Paradigmenwechsels. Nicht mehr nur aus einer angestrebten technisch-wirtschaftlichen Effizienz werden die maßgeblichen Parameter für Entwurf und Optimierung abgeleitet. Heute sind zunehmend der bewusste Ressourceneinsatz und über alle Lebensphasen resultierende Umwelt­wirkungen wesentliche Bestandteile der Entwurfsüber­legungen. Und da weist der einzige nachwachsende Brückenbauwerkstoff unvergleichliche Qualitäten auf. Der Einsatz von Holz substituiert die emissions- und energieintensiven Werkstoffe Stahl und Beton und speichert darüber hinaus das während des Baumwachstums gebundene Kohlendioxid und entzieht es so seiner klimaschädlichen Wirkung. Es ist also an der Zeit, den nachwachsenden Werkstoff Holz auch für den Brückenbau wieder neu zu entdecken.

Das erfordert jedoch nicht nur die Entwicklung neuer Technologien und konstruktiver Anwendungen, die dauerhafte und wirtschaftliche ­Lösungen ermöglichen, sondern auch das Suchen nach einer eigenständigen, modernen Gestaltsprache, die dem Verständnis einer nachhaltigen Brückenbaukultur selbstbewussten Ausdruck verleiht und im Wettbewerb mit den von Stahl und Beton geprägten Entwurfsformen bestehen kann.

Wettbewerb als Experimentierfeld

In mehreren Wettbewerbsentwürfen, die wir als entwerfende Ingenieure auch als interdisziplinäres Experimentierfeld für den Einsatz innovativer Konstruktionsformen und neuartiger Materialkombinationen verstehen, haben wir uns den gestalterischen und konstruktiven Aspekten eines neuen Holzbrückentypus angenähert.

Bei dem 2005 von der Stadt Arnsberg ausgelobten Realisierungswettbewerb für eine Fuß- und Radwegbrücke über die junge Ruhr in Alt-Arnsberg wurde nicht nur ein Brückenquerung gesucht, sondern darüber hinaus ein Landschaftssignet, das Aussichts- und Aufenthaltsqualitäten mit der verkehrlichen Funktion verbindet. Neben einem recht knappen Kostenrahmen wurde von der Stadt im waldreichen Sauerland Holz als Baustoff präferiert − jedoch unter der Voraussetzung, dass die Anforderungen an Unterhaltung, Pflege und Witterungsbeständigkeit erfüllt werden. Der mit den Architekten Cheret Bozic entwickelte Entwurf sieht einen im Grundriss geknickten Verlauf der Brücke vor, aus dessen bogenförmiger Ansichtsform sich ein Hochpunkt in der Brückenmitte ergibt, der Aussichten über die Ruhraue ermöglicht.      

Der Brückenkorpus ist aus blockverleimten Brettschichtholz hergestellt. Die in Teilbereichen auskragende obere Deckplatte aus Brettsperrholz ist über eine kontinuierliche Verschraubung auf den Korpus aufgesetzt.

Von den insgesamt 37 Wettbewerbsbeiträgen zu dem  2009 von der Stadt Wien EU-weit ausgelobten ­offenen Realisierungswettbewerb für eine barrierefreie Fuß- und Radwegverbindung über den Margaretengürtel im Bereich des Bruno-Kreisky-Parks war nur der siegreiche Entwurf von Knippers Helbig mit Knight Architects (High Wycombe, GB) als Holzkonstruktion konzipiert. Das Durchlauf­trägersystems ist auf hohe Redundanz und Robustheit im Gebrauch ausgelegt. Ohne Fuge und die üblichen Lagerkonstruktionen ist das Tragwerk erstmals als voll-integrale Brückenkonstruktion ausgelegt.

Auch beim Realisierungswettbewerb für den Fußgänger- und Radfahrersteg über den Lech (Landsberg, 2011) legten wir mit Birk und Heilmeyer (Stuttgart) den einzigen in Holzbauweise konzipierten Entwurf vor und konnten damit die Jury überzeugen: „Der Steg stellt ein spannendes konstruktives Unikat dar.“ Der Lechsteg bildet einen attraktiven Ort auf dem Lech und eine skulpturale Untersicht aus, die vor allem auch für die Nutzer des benachbarten Lechbads erlebbar ist. Im Zuge der weiteren Bearbeitung des Entwurfs wurden in der Kostenberechnung Herstellkosten von unter 2 000 €/m² Brückenfläche ermittelt, die anhand von Richtpreisangeboten bestätigt werden konnten.

Forschen, Entwickeln, Testen

Das vom Cluster Holz BW geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Die Stuttgarter Holzbrücke“ (2013 − 2015) war auf die Entwicklung dauerhafter, robuster und bezüglich Herstell- und Unterhaltskosten konkurrenzfähiger Holzbrücken ausgerichtet. So wurden anfangs anhand der von der MPA Stuttgart ausgewerteten Brückenuntersuchungen die häufigsten Schadensursachen an Holzbrücken identifiziert. Darauf aufbauend wurde in interdisziplinärer Zusammenarbeit von IngenieurInnen, ArchitektInnen und MaterialwissenschaftlerInnen mit einer ausführenden Firma das Konzept der „Stuttgarter Holzbrücke“ entwickelt, das auf einem fertigungs­technisch und kraftflussgerecht optimierten blockverleimten Brettschichtholzüberbau basiert. Der Überbauträger wird durch eine aufgesetzte, seitlich auskragende Gehbelagskonstruktion vor direkter Bewitterung geschützt und ist allseitig hinterlüftet. Da sich allfällige Brückeninspektionen beim Werkstoff Holz vorrangig mit einer möglichen Schadwirkung durch Feuchteeinwirkungen zu befassen haben, wurde ein Monitoringsystem entwickelt: Feuchte- und Temperatursensoren überwachen ­permanent die  Holzausgleichsfeuchte. Ein Risiko holzschädigender Einflüsse besteht erst bei länger anhaltenden Holzfeuchten von über 20 %. Bei Holzbrücken führen daher häufig schwer zugängliche und schlecht durchlüftete Anschlusskonstruktionen, die nicht ausreichend vor Feuchteeintritt geschützt sind, zu Schadensfällen. Also wurde in einer weiteren Entwicklungsstufe die erstmalige Anwendung des Prinzips „Integrale Brücke“ für einen Holzüberbau mit Stahlbeton­unterbau untersucht. So werden Lagerkonstruktionen gänzlich vermieden: Holz und Stahlbeton werden direkt, also semi-monolithisch verbunden.

Die Sensitivität des integralen Systems wurde im Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für Technik Stuttgart untersucht. Da Bauwerk und Boden direkt miteinander interagieren, müssen die wechselseitigen Einflüsse, wie z. B. die Ausdehnung des Brückenträgers bei Erwärmung und die aus den Bodeneigenschaften resultierende Zwängung des Bauwerks, sehr genau analysiert werden.

Die monolithische Koppelung von Holz und Stahlbeton wird durch im Holzkorpus eingeklebte Gewindestangen realisiert, die mit ausreichender Übergreifungslänge in die Bewehrung des Widerlagers eingebunden sind. Diese Verbindungsart ist neuartig im Holzbrückenbau. Zur Vali­dierung dieses Verbindungskonzepts wurden umfangreiche Bauteilversuche durchgeführt, um sowohl die Tragfähigkeit als auch die Dauerhaftigkeit zu prüfen − schließlich könnte das behinderte Quellen und Schwinden des Holzes bei Feuchtigkeitsänderungen zu Querzugrissen führen. Sowohl die Belastungstests als auch die Analyse der Dauerversuche bestätigten die Annahmen der im Forschungsprojekt entwickelten Ansätze. Das Konzept „Integrale Massivholzbrücke“ wurde 2017 mit dem Deutschen Holzbaupreis (Kategorie Komponenten/Konzepte) ausgezeichnet.

Drei Brücken im Stuttgarter Umland

Im Rahmen der interkommunalen Remstal Gartenschau konnten im Mai 2019 die drei weltweit ersten integralen Massivholzbrücken an den Standorten Weinstadt-Häckermühle, Weinstadt-Birkelspitze und Urbach der Nutzung übergeben werden. Entsprechend den lokalen Randbedingungen variieren die Überbaulängenzwischen ca. 13,5 und 32 m. Die integralen Holzbrücken im Remstal wurden mit dem Staatspreis Baukultur Baden-Württemberg 2020 ausgezeichnet und sind für den Deutschen Brückenbaupreis 2020 (Verleihung im März 2021) nominiert.

Die Ansichtsgeometrie ist jeweils so entwickelt, dass der Holzüberbau auch bei maxi­malem Hochwasserstand immer oberhalb des Wasserspiegels liegt. Die Überbauform ist aus dem Momentendiagramm eines eingespannten Trägers unter Gleichlast abgeleitet: Der Querschnitt reduziert sich von den Aufweitungen am Anschlusspunkt zum Widerlager mit hohem Einspannmoment auf ein Minimum am Momentennullpunkt und weitet sich in Feldmomenten­maximum wieder auf. Die Abtreppung des Querschnitts ist aus der Fertigungsmethode abgeleitet. 13 mit variierenden Ausrundungsradien im Leimbett geformte, jeweils 20 cm starke Brettschichtholzlamellen werden nebeneinander blockverleimt. Ein feuchtigkeitsempfindlicher ­Faseranschnitt entsteht so nur auf der Oberseite des Blocks, der im Einbauzustand durch eine diffusionsoffene Abdichtung und luftdurchspülten Zwischenraum sicher vor Feuchtezutritt geschützt wird. An acht Stellen im Inneren des Holzkorpus sind Feuchtemess- und Temperatursensoren eingebaut, deren Messergebnisse von der MPA Stuttgart überwacht werden.

Die für den monolithischen Stoß vorgesehenen 78 Betonrippenstähle (d = 16 mm, l = 2,3 bis 3 m) wurden schon in der Werkstatt bis zu 1,2 m tief in den Brettschichtholzkorpus eingeklebt. Bereits mit der Geländerunterkonstruktion ausgestattet wurde der Brückenüberbau in einem Stück zum Einbauort transportiert und mit einem Mobilkran eingehoben. Über die an den Stirnenden aufgeschraubten Lagerwinkel auf die bereits fertiggestellten Widerlager aufgesetzt, können die überstehenden Gewindestangen in die freigehaltenen Widerlagertaschen eingebunden und einbetoniert werden.

Der mechanisch stark belastete Gehbelag ist aus vorgefertigten Carbonbetonplatten ausgeführt. Die Armierung aus epoxidharzgebundenen Kohlenstofffasern ist hochresistent und benötigt im Gegensatz zur Stahlbewehrung keine korrosionsschützende Betondeckung. Aufgrund der dadurch auf nur 70 mm reduzierten Plattendicke ist das Betonvolumen und damit die erforderliche Menge des in der Herstellung unvermeidlich emissionsintensiven Zements signifikant geringer als bei einer aus Stahlbeton ausgeführten Variante. Die hohe Dauerhaftigkeit des Materialverbunds lässt es zu, dass zur Erhöhung der Trittsicherheit die Oberseite der Platten sandgestrahlt werden kann. Schützende Beschichtungen sind nicht notwendig.

Basierend auf Erfahrungswerten mit Bestandsbrücken ist in der Ablöserichtlinie für gedeckte Holzbrücken eine theoretische Lebensdauer von 60 Jahren angegeben. Die auf Dauerhaftigkeit ausgelegte integrale Massivholzbrücke mit Carbonbeton-Gehbelag verspricht eine deutlich längere Lebensdauer. Die Umtriebszeit bei Fichten, also die Zeit des Wachstums bis zur Erntereife, beträgt 80 bis 120 Jahre. Der Baustoff kann also innerhalb der Standdauer der Brücke nachwachsen.

Aktuell wird eine weitere integrale Massivholzbrücke als Remsquerung im Stuttgarter Umland geplant. Die Länge des vollständig vorgefertigten Brückenkörpers wird ca. 40 m betragen. Auf den Erfahrungen mit den ersten drei realisierten Prototypen aufbauend, wird vor allem auf eine weitere Optimierung der Widerlagerausbildung und des Carbonbetonbelags fokussiert.

Neue Perspektiven für den Holzbrückenbau

In Wettbewerben wird nun das Gestaltungspotential des neuen Brückentyps weiter ausgelotet. So gelang 2020 gemeinsam mit DKFS Architects (London/Köln) mit einer integralen Holz-Zwillingsträgerbrücke der Gewinn von einem der zwei ersten Preise beim Realisierungswettbewerb für den neuen Franklin-Steg in Mannheim. Zwei der 15 von einem internationalen Teilnehmerfeld eingereichten Entwürfe wurden in Holzbauweise entwickelt.

Der Brückenschlag über die Bundesstraße 38 zwischen dem aus Konver­sionsflächen entstehenden neuen Columbusquartier und dem bestehenden Wohnviertel Vogelstang markiert in seiner skulpturalen Form und Materialität das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Die seitlich parallel angeordneten blockverleimten Brettschichtholzbinder sind an beiden Brückenenden in das Betonwiderlager eingespannt. Dazwischen sind über eine leichte Stahlkonstruktion aus Standardwalzprofilen Deckelemente aus Carbonbeton aufgehängt.

Bei aufmerksamer Betrachtung der Wettbewerbs­ergebnisse für Geh- und Radwegebrücken der letzten Jahre fällt auf, dass nun häufiger Holzkonstruktionen prämiert werden, deren skulpturale Gestalt logisch aus den Fertigungsprinzipien und dem Kraftfluss entwickelt ist. Die gegenüber allen anderen Materialen vorteilhaften ökologisch und ökonomisch-technischen Aspekte des Brückenwerkstoffs Holz finden einen eigenständigen Ausdruck, der die Sehgewohnheiten, die von einer aus energie- und emissionsintensiven Hochleistungswerkstoffen geformte Infrastruktur geprägt ist, in Frage stellt. Diese neuartige, eigenständige Gestaltsprache und die konsequente Anwendung der aktuellen technologischen Entwicklungen des modernen Holzbaus kann dem einzigen nachwachsenden Werkstoff zu einer Renaissance (auch) im Brückenbau verhelfen.

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