Verantwortung und andere Blickwinkel
Ein Gespräch mit Andres Lepik in München

Die Technische Universität München (TUM) hat Prof. Dr. Andres ­Lepik zum 1.10. 2012 auf den Lehrstuhl für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis berufen. Er wird zugleich auch Direktor des Architekturmuseums der TUM in der Pinakothek der Moderne. Wir trafen uns zu einem Gespräch an seiner neuen Wirkungsstätte.

Nach langjähriger Tätigkeit als Kurator in Berlin haben Sie als Kurator am Museum of Modern Art (MoMA) in NYC gearbeitet und waren zuletzt Loeb Fellow in Harvard. Was bringen Sie von dort mit?

Für mich ist die Zeit in Amerika ganz wichtig gewesen, um einen anderen Blickwinkel auf Europa – und zwar aus amerikanischer Sicht – zu bekommen. Dabei entdeckt man gemeinsame Wurzeln: Gerade das MoMA ist als Institution aus einer europäischen Idee entstanden – aus dem Bauhaus-Konzept, mit dem vor allem Architekten wie Philipp Johnson und Mies van der Rohe gearbeitet haben. Von seiner ganzen Genetik her ist das MoMA durch Europa geprägt und hat sich dann doch in eine andere Richtung weiter entwickelt. Auch in Harvard habe ich erlebt, wie der Übervater Walter Gropius, von allen „Gropi“ genannt, immer noch im Raume steht. Aber auch Harvard hat sich weiterentwickelt und orientiert sich nunmehr international. Das betrifft nicht nur die Herkunft der Studenten sondern auch die Ausrichtung der Lehre.


Welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer neuen Tätigkeit setzen?

Für mich ist die Kombination von „Lehrstuhl und Museum“ besonders interessant. Soweit mir bekannt ist, gibt es eine solche Kombination von Lehre und der Leitung eines Architekturmuseums sonst nirgends. Darin liegt die Chance, die akademischen Inhalte, die in der Forschung und Lehre erarbeitet werden, durch Ausstellungen und Veranstaltungen direkt an die breitere Öffentlichkeit zu vermitteln.

Interessant wird auch die Kooperation mit den anderen drei Sammlungen sein, mit der Grafik, dem Design und der zeitgenössischen Kunst. Immer mehr Architekten arbeiten auch in diesen ­Disziplinen und vice versa.

Und dann gibt es noch diesen zweiten Zusatz in der Benennung der Professur für „Architekturgeschichte und kuratorische Praxis“. Der ist von der Architekturfakultät für meine Stelle neu geschaffen worden. Auf dem Gebiet möchte ich die Ausbildung zum Kurator professionalisieren.


Ihr Vorgänger, Prof. Winfried Nerdinger, hat das Museum 2002 in die Pinakothek der Moderne integriert. Wegen dringender Sanierungsarbeiten an der Rotunde soll eine temporäre „Schaustelle“ errichtet werden. Sie haben dafür Jürgen Mayer H. vorgeschlagen, warum?

Alles begann damit, dass die Direktoren der anderen drei Sammlungen mit mir schon im Vorfeld, bevor ich nach München kam, Kontakt aufnahmen. Gemeinsam wollten wir eine temporäre Lösung für die Zeit der Schließung finden. Mir kam ein Projekt von Jürgen Mayer H in den Sinn, das ich bei ihm im Büro zuvor gesehen hatte und das in Berlin gescheitert war. Von der Größe und der Konzeption könnte es ganz gut für München passen. Denn es besteht aus Baugerüstelementen, die man später weiternutzen kann. Man hat also nicht so hohe „Wegwerfkosten“. In den unteren Bereich baut man im Trockenbau eine Veranstaltungsbox hinein, die flexibel bespielt werden kann. Das ist kostengünstig und wir betonen das Temporäre und den Baustellencharakter – das alles auch als Aufhänger für das Veranstaltungsprogramm.


Das wird dann also eher etwas Mediales sein, mit Filmen, Videoprojektionen, etc.?

Ja, da drinnen haben wir einen Raum von knapp 300 m² Größe – ohne Museumsklima. Also können wir keine Originale aus den Sammlungen präsentieren. Es geht wirklich darum, ein „aktives“ Programm zu gestalten. Sagen wir ein bisschen wie das GuggenheimLab in Berlin – nur nicht so spezialisiert auf „städtische“ Fragen.

Was unterscheidet Ihrer Erfahrung nach die Arbeit an einem privat finanzierten Museum, wie in den USA, von einem mit öffentlichen Geldern finanzierten (wie hier in München)?

Das hat beides Vor- und Nachteile. In Europa sind die Museen aus höfischen oder bürgerlichen Sammlungen in den öffentlichen Besitz gegangen. Die öffentliche Hand hat die Museen gegründet mit einem Bildungs- und Kulturauftrag für die Allgemeinheit. In den USA hat sich der Staat von Anfang an aus der Kulturförderung herausgehalten. Er hat gesagt, wer Kultur fördern möchte, kann das privat gerne tun. Die Stifter erhalten dafür in den USA aber auch Steuererlässe von nahezu 100 Prozent. Das heißt, in Amerika kann sich jemand, der viel Geld hat, überlegen, ob er seine Steuer dem Staat gibt, um damit irgendwo Kriege zu finanzieren, oder ob er sie lieber dem Metropolitan Museum oder dem MoMA gibt. Man kann also die beiden Systeme der Kulturförderung nicht 1:1 vergleichen.


Kann man etwas übernehmen?

In Europa bieten Museen als zentrale Orte der kulturellen Identität natürlich für Sponsoren eine prestigeträchtige Auftrittsfläche für Veranstaltungen. Man muss sich aber auf Seiten des Museums immer fragen, bis zu welchem Grad verkauft man sich dabei und entwertet am Ende die Aura, die man geschaffen hat. Das System der Trustees an den amerikanischen Museen beruht ja zum Teil darauf, dass man gemeinsame Interessen auslotet und über lange Zeiträume hin zusammen arbeitet, nicht nur auf ein Ereignis bezogen. München hat in dieser Hinsicht ja gute Erfahrungen gemacht – mit BMW und auch mit Audi.

Mit der Ausstellung „Small Scale – Big Change“ kuratierten Sie am MoMA eine Architektur-Ausstellung, die das Arbeitsfeld von Architekten aus sozialen Blickwinkeln betrachtete. Wird deswegen heute mehr über gesellschaftliche Relevanz von Architektur gesprochen?

Ich glaube, dass die Gesellschaft heute zunehmend nach der Verantwortung des Architekten fragt. Nachdem sich internationale Firmen wie McDonalds oder Starbucks das Thema „Corporate Social Responsibility“ schon seit Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben haben und zum Beispiel Kindergärten bauen, ist die Frage endlich auch bei den Architekten ­angekommen: Was ist Euer gesellschaftlicher Auftrag? Sind Architekten – jetzt einmal etwas böse formuliert – nur noch diejenigen, die den Scheichs die höchsten Hochhäuser hinsetzen sollen? Oder können sie auch einen aktiven Beitrag leisten für die 30 Prozent der Weltbevölkerung, die in Slums leben? Das ist übrigens auch ein Schwerpunkt, den ich in Zukunft in der Lehre und der Ausstellungskonzeption legen möchte: Wie wird Architektur in der Gesellschaft ­angenommen?

Ich würde gerne historisch betrachten, was wir aus dem sozialen Engagement der frühen Moderne und was wir aus dem sozialen ­Engagement der 1960er Jahre gelernt haben. Ich bin schon oft Studenten in solchen Design-Build-Workshops ­begegnet, die sich mit Afrika- oder Indien-Projekten beschäftigen. Diesen Studierenden auch einmal eine historische Dimension zu ­vermitteln und zu sagen: „Das, was Ihr da macht, steht auf einer ganz soliden Basis von Erkenntnissen, die es auch schon früher gegeben hat. Ihr seid da genau am richtigen Ort. Aber Ihr müsst auch einmal recherchieren, worauf Ihr aufbauen könnt. Denn Ihr müsst nicht immer jeden Tag alle Lösungen neu erfinden.“


Schreiben und Kuratieren gehen Hand in Hand. Sie haben neben Ihrer Arbeit als Kurator immer publiziert und geschrieben, unter anderem für die NZZ und zahlreiche weitere Publikationen. Womit können wir hier in nächster Zukunft rechnen?

Grundsätzlich muss nicht immer zu jeder Ausstellung ein dicker Katalog erscheinen. Aber es gibt immer wieder Inhalte und Informatio­nen, die man in einer Ausstellung selbst nicht ausreichend visualisieren kann und die es wert sind dann über eine Publikation eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.


Nach Ihrer Kuratorentätigkeit am MoMa waren Sie Loeb Fellow in Harvard. Was ist das Loeb-Fellowship?

Es ist ein einjähriges Stipendium, das sich an Personen richtet, die einen bestimmten Punkt in ihrer Karriere erreicht haben und nun in Harvard noch einmal die Möglichkeit erhalten, sich neu zu orientieren. Es ist angesiedelt an der Graduate School of Design (GSD), der Architekturschule von Harvard, berechtigt aber zum Besuch von Vorlesungen und Seminaren aller Fakultäten. Die GSD ist natürlich auch eine einzigartige Plattform, um seine professionellen Netzwerke ­auszubauen.


Erfahrungen und Kontakte, die Sie von nun an in Ihre neue Tätigkeit an der Architekturfakultät der TUM und in die Museumsleitung ­einbringen?

Ja, da gibt es viele wertvolle Anknüpfungspunkte. Es gibt Forschungs- und Ausstellungsprojekte, die ich gemeinsam mit den ­Kollegen an der GSD entwickeln will. Und schon jetzt habe ich zwei meiner neuen Assistenten direkt aus Harvard mitgebracht.

Viel Erfolg dazu!

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