Holzmodulbauten zum Wohnen
Flüchtlingsunterkunft Steigertahlstraße,
Hannover

Eine erfolgreiche Nord-Süd-Kooperation von MOSAIK Architekten aus Hannover und Kaufmann Bausysteme aus dem Vorarlberg hat Wohnanlagen als Flüchtlingsunterkünfte für die Stadt Hannover realisiert, die später als Wohnungen für Studierende oder junge Familien denkbar sind.

„Im März 2015 wurden wir von der Landeshauptstadt Hannover angefragt, drei Containeranlagen als Flüchtlingsunterkünfte für die Stadt zu planen“, beschreibt Robert Marlow, Partner bei MOSAIK Architekten, den Projektstart. „Trotz guter Auslastung haben wir diese Anfrage gerne angenommen, auch um unser Fachwissen in der aktuell angespannten Situation positiv einbringen zu können und die Lage der Flüchtlinge verbessern zu helfen. Wichtig war uns von Anfang an, mit Holz eine
Alternative zu den üblichen Stahlcontainern zu entwickeln.“ Für die Standortwahl von Flüchtlingsunterkünften hat die Landeshauptstadt sich selbst Vorgaben auferlegt: 1. Es sollten nicht mehr als 100 Bewohner in einer Anlage zusammenleben. 2. Der Standort sollte in unmittelbarer Nähe zu einem Wohngebiet liegen. 3. Der Standort musste fußläufig und mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. 4. Ein Nahversorger musste in der Nähe liegen.

Idee und Konzept

Die Architekten setzten sich mit lokalen Tragwerksplanern und TGA-Planern zusammen und entwickelten gemeinsam ein Konzept für die Wohnanlage in der Steigertahlstraße. Die Grundrisse bestehen aus Wohneinheiten mit drei und fünf Zimmern für insgesamt 96 Bewohner. Verteilt auf drei Baukörper bilden sie U-förmig einen Hof, der zur Straße von einem vierten Baukörper abgeschirmt wird. Hier sind Gemeinschaftsräume und Büros für den Betreiber der Wohnanlage untergebracht. „Es wurde bewusst auf einen Flur verzichtet“, erklärt Jan Uetzmann das Konzept, ebenfalls Partner bei MOSAIK. „Die Begegnung soll draußen am Eingang stattfinden.“ Ins Erdgeschoss führen kleine, außenliegende Treppen mit vier Stufen in die einzelnen Wohneinheiten, im Obergeschoss gibt es einen Laubengang, der zugleich als Fluchtweg dient. Der begrünte Hof ist Treffpunkt mit Platz für Begegnung und Spiel. Parallel zum Entwurf entwickelte das Planungsteam Leitdetails in Holzbauweise für die funktionale Leistungsbeschreibung als Grundlage für eine EU-weite Ausschreibung. An dieser ersten Ausschreibung hatten sich keine Firmen aus Hannover beteiligt. Den Zuschlag erhielt ein österreichischer Anbieter – die
Firma Kaufmann Bausysteme aus Vorarlberg. Sie waren die günstigsten, sogar günstiger als Anbieter von Stahlcontainern.

Holzmodule statt konventioneller Holzbauweise

„Wir sind Spezialisten in der Fertigung von Holzmodulen“, erklärt
Thomas Bereuter, Projektmanager bei Kaufmann Bausysteme. „In Hannover erhielten wir den Zuschlag als Generalunternehmer ab Oberkante Bodenplatte und haben alles, von der Genehmigungs- und Werkplanung für die Holzmodule (inklusive Statik und TGA) bis zur schlüsselfertigen Auslieferung, übernommen.“ Während in Hannover die Betonfundamente entstanden, lief in Vorarlberg die Fertigung der Holzmodule. „Bei uns läuft alles im Werk zusammen, und wir haben die Details für die Module neu entwickelt“, erklärt Thomas Bereuter. Die Module sind 2,70 m breit und 12 m lang, sodass sie gut auf einen LKW passen, ohne das ein Sondertransport erforderlich ist.

Sie sind wie eine quadratische Röhre gefertigt, Boden und Wände sind aus 8 cm starkem, die Decken aus 6 cm starkem Fichtenbrett­sperrholz. Vorn und hinten werden die Module mit quadratischen Fassadenelementen geschlossen. Die Elemente enthalten entweder die Eingangstür oder ein Fenster, die eigentliche Wand ist mit farbigem Glas ausgefacht. Der Planer aus Hannover, Jan Uetzmann, beschreibt das Farbkonzept: „Grüntöne gibt es, wo die Module zur Natur orientiert sind. In Richtung Wohnbebauung sind es Rottöne. Dort, wo die Module in der Fassade aneinanderstoßen, sind sie mit Holz verkleidet, das mit einer grauen Lasur versehen ist, die sich mit der Zeit auswäscht.“

Logistik und andere Herausforderungen

Alles wird im Werk vorgefertigt, von der Heizung über das Bad bis zur Einbauküche. Sogar Duschvorhang und Klobürste gibt es, wenn die Module ihre Reise in den Norden antreten. „Das erfordert eine besondere Logistik, z. B. haben wir 6 m lange, vorgebogene Heizungsrohre, die als erstes eingebaut werden müssen, weil sie sonst nicht mehr hineinpassen. Vom Fassadenpaneel über
Fenstergriffe bis zur Badezimmerarmatur und -ausstattung muss alles beim Planungsbeginn ausgewählt werden, damit die Teile bestellt und rechtzeitig zur Fertigung der Module in die Werkhalle geliefert werden“, erklärt der österreichische Holzbauspezialist Bereuter die Logistik. Das sei für manche Bauherren zunächst ungewohnt, weil sie alle Entscheidungen auf einmal treffen müssen und nicht – wie beim Massivbau – nach und nach zu den einzelnen Gewerken.

Ist entschieden, schreiten Planung und Fertigung sehr schnell voran. Pro Tag können vier Module produziert werden. Sind zwölf fertig, werden sie nachts in Kolonnen von ca. 12 LKWs aus Österreich nach Hannover gebracht. Tagsüber können die 12 Module vor Ort errichtet werden. Die LKWs sind zeitlich so genau abgestimmt, dass sie im Dreiviertel-Stundentakt auf die Baustelle kommen. Dort können maximal drei LKWs zur gleichen Zeit abgeladen werden. An einem Tag entsteht so ein Geschoss eines Baukörpers. Vor Ort erledigen dann nach und nach verschiedene Montagetrupps die Restarbeiten, von der Montage der Stahlteile und Laubengänge bis hin zur Abdichtung der Fassaden und Dachdeckung. Die Laubengänge müssen aus Brandschutzgründen aus nicht brennbarem Material bestehen (Betonfertigteile auf Stahlunterkonstruk-tion mit F30 Anstrich). Von jeder Wohneinheit führen zwei Fluchtwege ins Freie. Alle Holzmodule sind in der Brandschutzklasse F30 ausgeführt und entsprechen auch den Schallschutzbestimmungen, die für Wohnbauten gelten. „Wir haben sehr viel Zeit in die Forschung gesteckt“, betont Bereuter. „Das ist unser spezielles Know-how, das wir nicht so gerne preisgeben möchten. Fest steht: Die Module entsprechen allen Vorschriften.“

Varianten und Nachnutzung

Mittlerweile gibt es in Hannover und Region 14 vergleichbare Bauprojekte in Holz. Je nach Bauherr und Grundstück variieren sie in Umfang und Größe. Bei der Gestaltung der Laubengänge sind neue Varianten entstanden. „Wir haben festgestellt, dass die Bewohner sich gerne auf dem Laubengang aufhalten. So haben die neueren Projekte überdachte Laubengänge vom EG bis zum
obersten Geschoss“, stellt Jan Uetzmann fest. Was ihm am Team und am Prozess besonders gut gefällt: „Alle Beteiligten ziehen an einem Strang. Bei den Flüchtlingsprojekten sind verschiedene Behörden zeitgleich beteiligt, nicht nur das Gebäudemanagement, sondern auch die Straßenverkehrsbehörde, die Straßensperrungen für Kräne ausspricht, oder das Amt für Umwelt und Stadtgrün, das die Außenanlagen genehmigt. Alle geben Gas.“

Zur Nachnutzung gibt es viele Überlegungen. Der Standort in der Steigertahlstraße in Hannover-Linden bietet sich ideal für Studentenwohnen oder als Quartier für junge Familien an. Die Lindener selbst wünschen
sich am liebsten ein weiteres Flüchtlingsprojekt in ihrem Stadtteil. Im Augenblick engagieren sich dort 300 Ehrenamtliche für 100 Flüchtlinge. Susanne Kreykenbohm,
Hannover

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