Auf kleinstem Raum ein Zuhause schaffen

„Students, drop your pencils! Unite! And Re-Build!“ lautet das Motto von ­„Project: Unity!“. Student:innen der TH Lübeck, der TH Darmstadt und der Universität Kassel entwickelten modulare Flüchtlingsunterkünfte auf Basis eines Konzepts des Balbek Bureau aus Kiew. Einer der für die Realisierung ausgewählten Entwürfe stammt von Johanne Lüdemann und Fynn Eric Schaper von der TH Lübeck.

Text: Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper



Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Das „Project: Unity!“ wurde vom Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB) und Balbek Bureau aus Kiew ins Leben gerufen. Die daraus hervorgehende Architektur soll einen Beitrag zur Bewältigung der großen Fluchtbewegung leisten, die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöst wurde. Ziel ist es, eine würdevolle, sichere und in einfacher Modulbauweise umzusetzende Unterkunft zu entwickeln, die den Bewohner:innen ein neues Zuhause schafft. Im Rahmen von studentischen Wettbewerben an der TH Darmstadt, der Universität Kassel und der TH Lübeck wurde jeweils ein Entwurf für die Realsierung ausgewählt und an der jeweiligen Hochschule gebaut. Sie werden während des Hamburger Architektursommers ausgestellt und anschließend in die Ukraine transportiert.  Zusätzlich werden die Pläne als Open Source zur Verfügung gestellt.

Die Entwürfe der TH Lübeck entwickelten Studierende des 5. Bachelor-Semesters Architektur unter der Betreuung von Prof. Dipl.-Ing. Stefan Wehrig und des Architekten Stefan Gruthoff. Sie richten einen besonderen Fokus auf die Gestaltung der Außenfassade und des Innenraums. Aus den insgesamt zehn Teams wählte die Jury den Entwurf von Johanne Lüdemann und Fynn Eric Schaper für die Realisierung aus. 


Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Entwurf

Zu Beginn des Entwurfsprozesses stellten wir uns die Frage: Wie schafft man es, Menschen, die ihre Heimat und ihr vertrautes Umfeld verlassen müssen, ein neues Zuhause zu bieten, mit dem sie sich identifizieren können und verbunden fühlen?

Diese Leitfrage bestimmte maßgeblich den Entwurf und die damit verbundenen Entscheidungsprozesse. So war es wichtig, ein Konzept zu entwickeln, das sich auf die Bedürfnisse der Bewohner:innen anpassen lässt. Veränderungen im Laufe der Zeit müssen möglich sein, damit ein Ort entsteht, der Raum für Identifikation lässt und ein Zuhause in einem neuen Umfeld bildet. Erreicht wurde dieses Ziel unter anderem durch ein Fassadenkonzept, das aus vier einfach anzubringenden Elementen besteht. Es ermöglicht den Bewohner:innen, selbst zu entscheiden, wie das eigene Heim aussehen soll.

Die Inneneinrichtung spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle. Es wird exemplarisch gezeigt, wie die Unterkunft für ein Elternteil mit einem Kind aussieht. Auch hier passt sich der Entwurf den Bedürfnissen und Entwicklungen des Lebens an. Die Möbel sind adaptiv und für unterschiedliche Personenkonstellationen anpassbar. Somit kann sich das Zuhause mit seinen Bewohner:innen entwickeln.


Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Fassadenkonzept

Die Fassade besteht aus 67 cm breiten Holzmodulen in vier verschiedenen Ausführungen. Sie können mittels angeschrägter Unterkonstruktion nach einem einfachen Prinzip an die Fassade gehängt werden. Auch der Austausch einzelner Module für die Instandhaltung des Gebäudes kann so schnell realisiert werden. Die vier Module passen in jeder Kombination zueinander und ermöglichen somit immer neue Ansichten der Fassade. So kann jede Unterkunft individuell von den Bewohner:innen angepasst werden, ohne dabei den städtebaulichen Kontext zu verlieren. Die Materialwahl fiel auf eine leicht zu verarbeitende Hartholzschalung, die als nachwachsender Rohstoff den Anspruch an Nachhaltigkeit erfüllt. So kann der Lebenszyklus langfristig geplant und der Rückbau der Module gewährleistet werden.


Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Innenraumkonzept

Bei der Entwicklung des Innenraumkonzepts stand im Vordergrund, den begrenzten Raum des Rohbaumoduls von ca. 3,15 x 6,50 m so effektiv und flexibel wie möglich zu nutzen. Herausfordernd war, dem Funktionalen und Begrenzten eine Atmosphäre zu verleihen, die ein Gefühl der Geborgenheit erzeugen kann. Dieser Anspruch war für die Stundent:innen essenziell, denn auf keinen Fall sollten kühle und charakterlose Massenunterkünfte entstehen, wie sie meist als schnelle Lösung zur Schaffung von Wohnraum für geflüchtete Menschen errichtet werden.

Der Innenraum sollte konstruktiv so praktisch und einfach herstellbar sein wie die Außenfassade. Für die Materialien und Konstruktion wählten wir Holzfurnier, Vollholz und Linoleum. Die Ausstattung sollte, entsprechend der Lebensrealität der Bewohner:innen, Veränderungen einfach ermög­lichen. So sind die Möbel in verschiedenen Gruppen entworfen, die in sich modifizierbar bleiben. Das Hochbett kann bei Bedarf zu einem Stockbett erweitert werden. Die Zonierung des Moduls ermöglicht auf dem kleinem Raum Privatsphäre und Ruhe, aber auch Kommunikation und Austausch.


Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Johanne Lüdemann, Fynn Eric Schaper

Fazit

Im Verlauf des Projekts wurde immer deutlicher, wie umfangreich das Vorhaben ist. Ein hoher Detail­lierungsgrad war erforderlich – besonders bei den bis in die Bauanleitung geplanten Möbelgruppen. Hier musste sehr akribisch geplant und mit scharfem Blick für das ganzheitliche Bild entworfen werden. Die Aussicht, den Menschen in der Ukraine mit dem Entworfenen helfen zu können und einen positiven Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebens­situation zu leisten, stand bei der Konzeptentwicklung an erster Stelle. Mit unserem Entwurf möchten wir zeigen, welchen Beitrag Architektur in humanitären Notsituationen leisten kann. Unterstützend war die Leidenschaft der betreuenden Dozent:innen und der anderen Studierenden für das Thema. Uns motivierte die Aussicht, ein Modul tatsächlich zu realisieren und das theoretisch Geplante irgendwann betreten zu können. Dieser Traum wird sich im Rahmen des Hamburger Architektursommers erfüllen, wenn das Wohnmodul gemeinsam mit den Entwürfen der anderen am Projekt beteilig­ten Hochschulen aufgestellt wird.

Vitae

Johanne Lüdemann, 22 Jahre, studiert Architektur im 5. Bachelorsemester an der Technischen Hochschule in Lübeck. Neben dem Studium arbeitet sie dort als studentische Hilfskraft.

Fynn Schaper, 26 Jahre, studiert Architektur im 5. Bachelorsemester an der Technischen Hochschule in Lübeck. Neben dem Studium arbeitet er bei Park 48 Wulf & Solomon Architekten PartGmbH.

Die Module aus dem „Project: Unity!“ werde vom 17. Juni bis zum 8. Juli im Rahmen des Hamburger Architektursommers vor den Deichtorhallen ausgestellt.Mehr Infos zu „Project: Unity!“ gibt es hier:

www.baumeister-online.de

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