Hinauf in neue architektonische Höhen
Mountain Dwellings
in Kopenhagen / DK

Wohngebäude und Parkhäuser sind als Bautypen hinreichend bekannt. BIG fusionieren die zwei zu einer Einheit, stellen sich allerdings zugleich den höchsten Ansprüchen in Hinblick auf Wohnqualität: städtische Infrastruktur, funktionaler Parkplatz am Haus, Wohnen mit Aussicht und eine eigene Terrasse.


Kopenhagen-Ørestad im Herbstnebel; der übliche Städtebaumüll
mit einem Sammelsurium von missratenen Beherbergungs- und
Bürohausmonstern; dazwischen eine Oase der Naivität mit dänischen Sommerhäusern. Beim näheren Hinschauen ist das ein Fertighaus-Promotion-Gelände, direkt vor der Kopenhagener Messe. Dazu Park-Häuser, der übliche Wahnsinn.

Und dann direkt an der U-Bahnstation Bella Center – ein kräftiger urbaner Baukörper einerseits, Hüttenzauber andererseits, Stadt und Land vereint: Mountain Dwellings. Ein neues architektonisches Hoch im Norden, weiteres Beispiel für eine skandinavische Baukultur und Generation der jungen Art. Nordisch global, wenn man will. Von einem der Architekten, die nicht mehr allein in der Heimat gebildet und geformt wurden, sondern überall dort, wo die Post abgeht.
Und dann zurückgekehrt sind. Nach dem spektakulären Auftritt von Snøhetta mit der Osloer Oper macht jetzt das Team mit dem proklamatorischen Namen BIG (Bjarke Ingels Group) Furore. Front-Mann Bjarke Ingels (34!) und ein Team von 60 Mitarbeitern vermögen in ihrem Büro eine Aufbruchstimmung zu verbreiten als stünde man bei OMA in Rotterdam. Mindestens so viele Modellträumereien mit Standorten in aller Welt machen das Büro zum Dreamshop. Bjarke
Ingels darf und kann sich Schüler von Rem Koolhaas nennen, er hat in Barcelona und sonstwo gearbeitet. Ein Global Player, ein Koolhaas-Gehry-Hadid der nächsten Generation.

Die DBZ wird in einer der nächsten Ausgaben mit einem Werkstattbericht klären, was dahinter steckt. Vorher aber ergibt sich mit dem neuesten Werk die Möglichkeit, abzuklären, ob Styroporträume und schlaue Manifeste bewohnbar sind.

Das Projekt Mountain Dwellings (MTN) wird von den Architekten die zweite Generation der bekannten VM Houses genannt. Diese legen mit ihren auffälligen gläsernen Balkonen direkt nebenan und haben den gleichen Bauherren. Die Mountain Dwellings verbrauchen weniger Glas, dafür mehr Holz. Es ist ein Duplexhaus. Zwei Drittel seiner Masse wird für ein Parkhaus mit Büros aufgebraucht und das letzte Drittel dann einem darauf gesetzten terrassierten Wohnhügel geschenkt.

Nachhaltiger Städtebau heißt Verdichtung, bedeutet ein Zusammenrücken, andererseits sind die Dänen nicht gerade bewusste City-Bewohner. Und Ørestad, immerhin Standort für Danske Radio und die neue Universität von Kopenhagen, ist kein Sympathieträger. Entstanden in boomenden Zeiten, schließt es eine Lücke zwischen City und Flughafen in Richtung Malmöbrücke, seit deren Eröffnung alles anders ist in Dänemark: Die Schweden stehen vor der Tür! Ørestad ist keine beseelte Wohnstadt, sondern eine Großsiedlung, die sich um gesamtstädtische Aufgaben bemüht. Unmittelbar neben den Mountain Dwellings liegt das missratene Bella Messe Center.

Aber genau das verhalf der Wohnanlage zum Erfolg. Ingels verheiratete die Ideen von einem geforderten Parkhaus für die Messe und einer Wohnanlage räumlich plastisch, indem er auf die hallenartige Parkhauskonstruktion eine Wohnungsschicht legte, die er wie eine Kaskade vom 11. Geschoss bis hinunter zum EG laufen lässt. Er tut es bezogen auf Milieu und Raumbildung sehr geschickt und lässt auch keine kleinen Scherze aus. Einer ist gleich von der U-Bahnstation aus zu besichtigen: Die Parkhausbasis zu dieser Seite ist mit einer Lochblechfassade geschützt, auf die der Mount Everest abgedruckt ist: ein Gebirge für das flache Kopenhagen. Auf der anderen Seite führt der Weg in den Bauch des Hauses: domhoch, gekrönt durch einen Schrägaufzug und in eine Regenbogenselektion von Farben getaucht. Selten wurden Autos Räume mit solch sakraler Qualität geboten, immerhin 16 m hoch. Wichtiger aber ist die Zuwegung der Wohnungen. Sie erfolgt über den Schräglift und Treppen und schließlich durch innen gelegene Laubengänge. Bei der Einweihung der Anlage hat hier ein großes Popkonzert stattgefunden. So zeigt sich, wie flexibel Architektur sein kann.

In den unteren Geschossen wurden straßenseitig Büros einbezogen, der Rest gehört den 80 Wohnungen. Mit dem Durchschreiten der Wohnungstür ereignet sich der Schichtwechsel: Eben noch in einem Mischmilieu aus Parkhaus und Wohnturm, scheint man nun ins Sommerhaus gewechselt zu sein. „Wir wollten“, sagen die BIG-Leute, „dass eine Vorstadt-Nachbarschaft mit einer Garten-Hügellandschaft über 10 Etagen entsteht und das in städtischer Dichte“.

Die besichtigte Wohnung mit etwa 120 m² löst genau das ein. Raumhohe Fenster teilen fast unmerklich innen und außen. Zwar reicht es nicht zum Garten, aber zur Holzterrasse mit Kunstrasen. Das Gebäude verfügt über ein Regenwasserversorgungssystem, mit dem das Terrassengrün versorgt werden kann. Man kann sich so hinsetzen, dass man nur den Himmel sieht, obwohl die Aussicht zumindest an einer Seite ländlich sittlich und die Ostsee zu erahnen ist.

Die Mountain Dwellings vereinen zwei Welten: Verbindung zur Innenstadt in Expressgeschwindigkeit mit der neuen U-Bahn und dänisch-ländliche Qualitäten. Sie liefern einen Beitrag dazu, wie in der Verdichtung und damit im nachhaltigen Städtebau hohe Wohn- und Lebensqualität zu erreichen ist. Wenn dieses Gebäude dabei sehr unterschiedliche Bilder liefert, mag das für Dogmatiker (ein Wohnhaus ist ein Wohnhaus, ein Parkhaus ist ein Parkhaus) schwer verständlich sein, aber typologisch ist es ein Zugewinn und der Beweis dafür, wie Styroporträume Wirklichkeit werden können. Dabei sind Detailqualität und Ausbaustandard überzeugend. Dirk Meyhöfer

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