Den „Turn around“ ­gefunden

Haus Malm, Aachen

Ob die Arbeit am Haus Malm nun eine schöne Reise geworden ist, wie unsere Heftpartner in ihrem Statement zum Thema „Kleine Bauaufgabe“ in dieser Ausgabe schreiben, soll dahin gestellt bleiben. In jedem Fall war die Arbeit, die vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit dem Bestand und seiner Geschichte war, genau das, was AMUNT sich von einem solchen Projekt mit „überschaubaren Bauwerksdimension“, erhoffen: Das prozessuale Vorgehen hat sie angeregt, „einen angemessenen Umgang mit dem Vorhandenen zu finden.“

Wer die Malmedyer Straße im Süden Aachen gen Süden fährt, passiert jede Menge Reihenhäuser aus den 1950er-Jahren aufwärts, passiert ein Gymnasium aus den 1970ern und Hochhauswohnscheiben aus vergleichbaren Zeiten. Viel Grün, viel Luft, viel Wohnen. Hier fanden die Bauherrn und Architekten nach einer längeren Anlaufzeit mit immer wieder verworfenen Möglichkeiten ein Reihenendhaus mit langgestrecktem Gartengrundstück nach Westen hin. Das Haus aus den 1960er-Jahren hatte, außer dass es einen grundsoliden Eindruck machte, sonst eher nichts damit zu tun, worunter sich Bauherr-Innen heute ein zeitgenössisches Wohnhaus vorstellen.

Im Dekorierten den „Turn around“ finden

Das Haus, ein Zweigeschosser mit Dachausbau und Keller, offenbarte nicht sofort sein Potential. Unscheinbar und ambi­tioniert auf rustikal getrimmt, Fenster hinter schmiedeeisernen Gittern, die Terrasse ebenfalls schmiedeeisern gefasst, innen Strukturtapete und PU-Dekorteile unter den Decken. Flächenmäßig war alles vorhanden, allerdings von den Grundrissen her unpassend. Wie nun damit umgehen? Wie den, wie Björn Martenson sagt, „Turn around“ finden, der Licht und Räume, der Farbigkeit und Materialien auf ein anderes Niveau zu ­heben vermag? Dabei sollte nicht Tabula rasa gemacht werden. Das Vorhandene umcodieren, wegnehmen, ergänzen und kontrastieren war der Ansatz, den die Architekten selbst als einen „schmalen Pfad“ beschreiben. Und: „Der baubegleitende Abwägungsprozess darf die Angemessenheit dabei nicht aus dem Auge verlieren.“

Baubegleitend heißt dabei: Im Gespräch sein mit den Bauherrn und dem Bau. Ersteres muss hier nicht besprochen werden, die Bauherrn vertrauten ihren Architekten. Das Zweite referenzierte ständig auf die Überzeugung, dass nicht alles verändert werden durfte, dass die Geschichte des Hauses sichtbar bleiben sollte. Schmiedeeiserne Reste, Schnitzwerk an der skulpturalen Holztreppe, Farben … Insbesondere das Farbthema wurde für die ersten Überlegungen zum Schlüssel für das Meiste: Die Wahl der Farben (rot=Wärme, blau=Kühle) sollte alles weitere bestimmen. Und weil Fliesen vorhanden waren, sollten Fliesen die Farben transportieren.

Gestaltungsmittel / Umbau

Hier gab es dann die erste Absetzbewegung vom Bestand, dezent und doch radikal: die Farbe (innen) sollte aus dem Blau kommen und die keramischen Fliesen mussten Betonsteine werden. Außen war schnell klar, dass die dunkelbraun eloxierten Fensterrahmen – die Fenster blieben, wo keine Änderungen, erhalten – die Farbe des Hauses werden würde: Platzmarkierung in der Reihe, Integration des eigentlich Überholten und Kontrast zum Innen. Hier wurden Blau-/Grau-/Weißsteine zu einem regelrechten Karo gesetzt, dessen optische Wirkung in einem leeren Raum beeindruckend, einer eingerichteten Wohnung durchaus herausfordernd sein kann. Auf Wänden und Türen wurde ein weiterer Blauton aufgebracht, selbst die Küchenfronten sind blau.

Neben der Farbe gab es die Klärung der Grundrisse, insbesondere im Erdgeschoss, in dem alle Innenwände herausgenommen wurden (Unterfangen mit Doppel-T-Träger). Lediglich der – ebenfalls geflieste – Ofen und die sich daran anschließende Garde­robe (KS-Steine) teilen das Volumen, ohne es zu trennen. Der Raumfluss Eingang-Garten wird durch die große Öffnung zu Terrasse und Grün dahinter minimiert. Hier haben die neuen Fenster weiße Rahmen, das alte Eisengitter der ehemaligen Terrasseneinfassung wurde entfernt. Absturzgefahr? Anböschung!

Im Dachgeschoss wurde eine kleine Gaube entfernt, der Raum bis zum First geöffnet, das schlichte Dachtragwerk weiß gestrichen. Zur Belichtung der neuen Dachräume wurden Dachflächenfenster eingebaut. Eines von denen belichtet die Badewanne und damit auch das dunkel gestrichene (Eltern-)Bad, das durch eine schrägstehende, weil zwangsweise auf den Treppenhauszugang orientierte Wand vom Schlafzimmer abgetrennt ist.

Technik etc.

Die technische Ausrüstung des Gebäudes spielte eine eher untergeordnete Rolle. Schwierig war, wegen der geringen Toleranzen in der Aufbauhöhe der Böden und deren teils unebenen Beschaffenheit, die Installation der Fußbodenheizung im Erdgeschoss. Hier kam ein Trockenestrichsystem mit entkoppeltem Aufbau zum Einsatz. Die Heizanlage, eine Brennwertgastherme im Keller, versorgt in den oberen Geschossen klassische Radiatoren.

Bei der Dämmung wurde das vorhandene WDVS erhalten, ebenso der Dämmputz auf der Gartenseite, dessen vielleicht fragwürdige Werte die Dreifachverglasung der neuen Terrassentür auf das nötige Niveau anhebt. Die Aufsparrendämmung im Dach wurde von einer Zwischensparrendämmung mit Holzfaserplatten verstärkt.

Fazit

Kleine Bauaufgabe als spielerisch, freihändig zu lösendes Projektmanagement? Ja und nein, zu sehr gehen Standardanforderungen und Grauzonen im Normbereich hier Hand in Hand. Planungsaufwand geringer? Ja und nein, denn natürlich verursachen kleine Bauten mehr Redundanzen, weil ihnen weniger Routine zugrunde liegen. Auch wird man die Frage, ob das Kleine für die Großen finanziell attraktiv ist, mit einem Jein beantworten. Denn einerseits ist das Kleine tatsächlich genuine Aufgabe der kleinen Büros, dennoch zeichnen sich in der Bearbeitung kleiner Bauaufgaben Themen ab – wie hier in Aachen die Frage der Farbigkeit, Oberflächenmaterialien oder schlicht der Pragmatismus dem Bestand gegenüber –, die auch für große Bauaufgaben spannend sein können, hier jedoch in dieser Weise nicht auch einmal experimentell und mit geringerem Risiko zu testen sind.

Was AMUNT in Aachen gelang, ist, dass die prozessuale Baubegleitung am Ende ein irgendwie fast perfektes Ergebnis geliefert hat, das von Anfang an so nicht vorherzusehen war. Das Beste aus dem Unscheinbaren herausgeholt zu haben, verdankt Malm der konsequenten wie zugleich offenen Herangehensweise an eine Bauaufgabe, die dem einen klein, dem anderen zentral ist. Be. K.

Baudaten

Objekt: Haus Malm

Standort: Malmedyer Straße, Aachen

Typologie: Einfamilienreihenendhaus

Bauherr/Nutzer: Familie Zittel

Architekt: AMUNT Martenson BDA, www.amunt.info

Bauleitung: Björn Martenson

Bauzeit: 01/20–08/20

Fachplaner

Tragwerksplaner: Heer Consulting, Roetgen www.heerconsulting.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: 375 m²

Nutzfläche gesamt: 127 m²

Brutto-Grundfläche: 284 m²

Brutto-Rauminhalt: 852 m³

Baukosten (nach DIN 276)

KG 200 (brutto): 10 600 €

KG 300 (brutto): 115 000 €

KG 400 (brutto): 35 000 €

KG 500 (brutto): 2 600 €

KG 600 (brutto): 16 000 €

KG 700 (brutto): 41 500 €

Gesamt brutto: 220 700 €

Hauptnutzfläche: 1 737 €/m²

Brutto-Rauminhalt: 259 €/m³

Haustechnik

Gasbrennwertkessel mit Solarthermie-
unterstützung durch einen Flächenkollektor auf der Dachfläche

(Produkt-)Hersteller

Dachfenster: Velux www.velux.de

Dämmung: Steico www.steico.com

Sonnenschutz: Velux www.velux.de

Teppich: Jab Anstoetz www.jab.de

Betonfliesen: Miracolour
www.miracolour.de

Sanitär: Laufen www.de.laufen.com; Dornbracht www.dornbracht.com; V&B www.villeroy-boch.de

Elektro: Jung www.jung.de

Trockenbau: Knauf www.knauf.de

Der Umbau des Wohnhauses Malmedyerstraße in Aachen steht beispielhaft für unser Verständnis von Bauen im Bestand und wie, statt einer Tabula rasa, das Vorgefundene – Bauteile und Materialoberflächen – in die neue Gestaltung integriert oder vielmehr zum Anlass der Planung und für die neue Gestaltung wurden.«

DBZ Heftpartner Jan Theissen und Björn Martenson, AMUNT

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