Gesamtschuldnerische Haftung

Werden Architekt:innen oder Ingenieur:innen wegen eines Überwachungs­fehlers in Anspruch genommen, der zu einem Mangel am Bauwerk oder der Außenanlage geführt hat, können diese die Leistung verweigern, wenn auch das ausführende Bauunternehmen für den Mangel haftet und die Besteller:innen dem bauausführenden Unternehmen noch nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat.

Um die überproportionale Belastung des mit der Bauüberwachung beauftragten Architekten (A) zu reduzieren, hat der Gesetzgeber unter Beibehaltung der gesamtschuldnerischen Haftung des A mit dem bauausführenden Unternehmer (U) das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 650t BGB geschaffen, mit dem das „Recht zur zweiten Andienung“ des U gestärkt und eine vorschnelle Inanspruchnahme des A im Verhältnis zum Besteller (B) verhindert werden soll.

Um die Konsequenzen, die sich aus § 650t BGB für das gesamtschuldnerische Außenverhältnis und den Innenausgleich ergeben greifbarer zu machen, wird nachfolgend orientiert an den Aufsätzen von Prof. Dr. Andreas Jurgeleit in der BauR 2022 aus Sicht des Gesetzgebers ein Idealfall mit einer Haftungsquote von 50 % im Innenverhältnis dargestellt und anschließend nach Fallgruppen modifiziert.

Der Idealfall

Der U wird ausschließlich mit den Rohbauarbeiten beauftragt. Diese werden ausgeführt und unter Feststellung von Mängeln abgenommen. Im Wege des Schadensersatzes verlangt der B von dem A einen Vorschuss für die durch einen Drittunternehmer durchzuführenden notwendi­gen Mängelbeseitigungsarbeiten in Höhe von 80 000 €. Für die Mängelbeseitigung durch den U würden Kosten in Höhe von 40 000 € anfallen.

Der A ist sich regelmäßig im Klaren darüber, dass der U mängelbehaftet gearbeitet hat, deshalb zur Nacherfüllung verpflichtet ist und ihm noch keine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt wurde. Deshalb kann er erfolgreich ohne weiteres das Leistungsverweigerungsrecht des § 650t BGB in Anspruch nehmen. Das hat voraussichtlich zur Folge, dass der B sich an den U wendet, der die Mängel mit einem Kostenaufwand von nur 40 000 € beseitigt. Der U verlangt anschließend im Gesamtschuldner-Innenausgleich 20 000 € von dem A. Das „Recht zur zweiten Andienung“ ist gewahrt, die Kosten halbiert und die Inanspruchnahme des A reduziert.

Keine Reaktion des bauausführenden Unternehmers oder unberechtigte Ablehnung der Nacherfüllung

Wie der „Idealfall“, nur dass der U nicht reagiert oder unberechtigt die Nacherfüllung ablehnt und der A auf 80 000 € in Anspruch genommen wird.

Nach dem Wortlaut des § 650t BGB steht dem A in dieser Fallvariante ein Recht die Leistung zu verweigern nicht mehr zu, wenn der U auf die Fristsetzung des B nicht reagiert oder er eine Nacherfüllung in der falschen Vorstellung, ein Mangel liege nicht vor, ablehnt. Um den A in Anspruch zu nehmen, muss der B keine weiteren Maßnahmen gegen den U ergreifen. Dieses Ergebnis entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Es soll verhindert werden, dass der B zur Realisierung seines Nacherfüllungsanspruchs Klage erheben muss. Denn gerade bei erheblichen Mängeln wäre dies mit einem unzumutbaren Zeitverlust verbunden.

Richtigerweise wird der A in Anspruch genommen und muss versuchen im Gesamtschuldner-Innenausgleich Regress zu nehmen. Fraglich ist, ob sich durch das Verhalten des U an der Haftungsquote von 50 % etwas ändert. Im Verhältnis zu dem A ist der U mangels gesetzlicher und zumeist auch vertraglicher Grundlage grundsätzlich nicht verpflichtet vom „Recht zur zweiten Andienung“ Gebrauch zu machen. Allerdings erfolgt die Bildung der Haftungsquote nach § 254 BGB bei primärer Berücksichtigung der Verursachungsbeiträge ungeachtet davon, ob eine Pflichtenverletzung vorliegt. Wenn der U von der Obliegenheit, den Mangel selbst zu beseitigen, keinen Gebrauch macht, führt dies zu einer Veränderung des beim B eingetretenen Schadens (Obliegenheiten sind Verhaltensanforderungen, die im eigenen Interesse desjenigen liegen, der sie zu beachten hat, sie sind nicht erzwingbar und begründen keinen Schadensersatzanspruch, ihre Nichtbeachtung führt zum Verlust günstiger Rechtspositionen). Liegt diese Veränderung in einer Erweiterung des Schadens, muss sich B bei der Abwägung der Haftungsquote zurechnen lassen, dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann sich die Haftungsquote richtigerweise so zugunsten des A verändern, im Ausgangsfall auf 25 %. Denn U hat nicht nur mangelhaft das von ihm geschuldete Werk hergestellt, sondern durch die Verweigerung der Nacherfüllung auch den Umfang der Inanspruchnahme erweitert.

Der bauausführende Unternehmer kann die Nacherfüllung verweigern

Wie der „Idealfall“, nur dass das U die Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 BGB verweigern kann.

Steht der mit dem notwenigen Kostenaufwand einhergehende Erfolg bei Abwägung der Umstände des Einzelfalls nicht in einem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwands, ist die Nacherfüllung nur mit unver-
hältnismäßigen Kosten möglich und der U kann sie verweigern. Der Anspruch des B auf Nacherfüllung ist dann einredebehaftet und nicht durchsetzbar. Auch die Ansprüche auf Selbstvornahme und Vorschuss, Rücktritt und Schadensersatz sind ausgeschlossen. Dem B steht lediglich ein Anspruch auf Minderung der Vergütung zu. Der A kann dem B, der im Umfang der Mängelbeseitigung Vorschuss verlangt ebenfalls dauerhaft entgegenhalten, dass die Aufwendungen zur Mängelbeseitigung unverhältnismäßig seien. Es würde Treu und Glauben widersprechen, wenn der B diese Aufwendungen dem A anlasten könnte. Allerdings kann der B als Schaden geltend machen, dem U stehe die Vergütung wegen teilweiser Nichterbringung der geschuldeten Leistung nicht vollständig zu.

Fraglich ist nun, wie der Fall zu beurteilen ist, wenn der U die Nacherfüllung nicht verweigert, mit einem hohen Aufwand die Mängelbeseitigung vornimmt und im Innenverhältnis den A in Höhe von 50 % der Kosten in Regress nehmen will. Ändert sich die zu bildende Haftungsquote, weil der U die Nacherfüllung nicht verweigert?

Grundsätzlich stellt die Nichterhebung der Einrede keine Pflichtverletzung dar. Der U verstößt aber gegen das Gebot der eigenen Interessenwahrnehmung, als eine gegen sich selbst bestehende Obliegenheit. Er hat einerseits die Herstellung des versprochenen Werks nur mangelhaft vorgenommen und andererseits die Einrede nach § 635 Abs. 3 BGB nicht erhoben und eine damit einhergehende Minderung der Inanspruchnahme verhindert. Der U wird deshalb in der Regel nicht erfolgreich die für die Mängelbeseitigung aufgewandten Kos-ten im Regress geltend machen können

Die Beseitigung der Mängel erfolgte bereits durch den Besteller

Wie der „Idealfall“, nur dass die Beseitigung der Mängel bereits durch den B erfolgte, ohne dass sie dem U zuvor eine Frist zur Beseitigung der Mängel gesetzt haben. Die Fristsetzung ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich.

Die Nacherfüllung durch den U ist dadurch, dass die B die Mängelbeseitigung selbst vorgenommen haben, unmöglich geworden. Der Anspruch des B gegen den U auf Nacherfüllung ist ausgeschlossen. Fraglich ist nun, welche Auswirkungen dies auf das Leistungsverweigerungsrecht der A hat.

Dieses besteht auf Dauer fort. Hieraus folgt, dass jeder Anspruch des B gegen den U einredebehaftet und nicht durchsetzbar ist. Da der B gegen den U mangels Fristsetzung auch keine anderen Ansprüche zustehen, bleiben sie vollständig auf ihren Kosten sitzen. Dem B steht aber grundsätzlich ein Anspruch gegen die A auf Erstattung der für die Beseitigung der Mängel entstandenen Kosten zu, denn im Fall der Unmöglichkeit der Mängelbeseitigung entfällt zugleich das Fristsetzungserfordernis und damit das Leistungsverweigerungsrecht. Ob dies dem Willen der Gesetzgebenden entspricht, ist fraglich. Ziel des § 650t BGB ist es nicht, Ansprüche dauerhaft auszuschließen, sondern die überproportionale Belastung des A zu reduzieren und das „Recht zur zweiten Andienung“ des U im Gesamtschuldverhältnis zum Tragen kommen zu lassen. Deshalb ist der Anspruch des B gegen die A im Zweifel nicht ausgeschlossen, sondern wird lediglich reduziert. Der A wird so gestellt, als hätte der B eine Frist gesetzt und der U kann im Ergebnis nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden, der auch im Rahmen des Nacherfüllungsverlangens entstanden wäre.

Der Anspruch des Bestellers gegen den bauausführenden Unternehmer auf Beseitigung der Mängel ist verjährt

Wie der „Idealfall“, nur dass der Anspruch des B gegen den U auf Beseitigung der Mängel bereits verjährt ist.

Ist der Anspruch von dem B gegen den U verjährt, gehört es trotzdem zu den Obliegenheiten des B, eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel zu setzten. Denn die Verjährung führt nicht zum Erlöschen des Anspruchs, sondern nur zu einem dauerhaften Leistungsverweigerungsrecht des U, welcher die Mängelbeseitigung ebenso vornehmen könnte. Beruft sich der U allerdings auch auf die eingetretene Verjährung, ist die Mängelbeseitigung dauerhaft nicht durchsetzbar. Das Leistungsverweigerungsrecht des A entfällt ungeachtet dessen, weil dem U eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden ist.

Fraglich ist, ob der Schadensersatzanspruch des B auch in diesem Fall zu reduzieren ist.

Wenn der Mangel erst nach Verjährung der Ansprüche gegen den U offenbar geworden ist, hat der B keine Obliegenheit verletzt, die es rechtfertigen würde, seinen Anspruch zu reduzieren. Im Ausgangsfall kann er also voraussichtlich einen Vorschuss in Höhe von 80 000 € verlangen.

Wenn der Mangel jedoch vorher erkannt wurde und der B keine Maßnahmen zur Hemmung der Verjährung gegenüber dem U ergriffen hat kommt es unter Erweiterung der Inanspruchnahme des A zu einer Reduzierung seines Anspruchs, da er es versäumt hat, den U in Anspruch zu nehmen. Der Anspruch des B würde sich also nicht reduzieren, wenn der A mit der Einhaltung der Verjährungsfristen gegen den U betraut war.

Schwarzgeldvereinbarung zwischen Besteller und bauausführendem Unternehmer nach Durchführung der mangelbehafteten Arbeiten

Wie der „Idealfall“, nur dass der B mit dem U nach Durchführung der Arbeiten vereinbart, einen Teilbetrag ohne Rechnung in bar zu begleichen.

Der zwischen dem B und dem U geschlossene Vertrag ist wegen Verstoßes gegen das Gesetzt zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung nichtig. Während der Durchführung der mangelhaften Bauarbeiten war der Vertrag jedoch noch wirksam und der A kam seiner Überwachungspflicht nicht nach. Deshalb entstand auch ein Gesamtschuldverhältnis und der sich daraus ergebende, vom nichtig gewordenen Vertrag unberührte, Regressanspruch.

Fraglich ist, wie sich dies auf den Schadensersatzanspruch des B gegen den A und auf den Innenausgleich auswirkt.

Der B muss sich ein Mitverschulden zurechnen lassen, sodass sein Anspruch im Ausgangsfall auf 40 000 € reduziert wird und der A von der U einen Befreiungs- oder Zahlungsanspruch in Höhe von 20 000 € verlangen kann. Daraus folgend müsste sich der U trotz der Nichtigkeit des Vertrags an den Kosten der Mängelbeseitigung beteiligen, was mit der Wertung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung unvereinbar wäre. Deshalb kann der A nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden, den er auch ohne die Schwarzgeldvereinbarung zu tragen gehabt hätte. Im Ausgangsfall steht  der A also wohl ein Anspruch auf Zahlung von 20 000 € zu, ein Regressanspruch gegen den U wäre dagegen ausgeschlossen.

Schwarzgeldvereinbarung zwischen Besteller und bauausführendem Unternehmer bei Vertragsschluss

Wie der „Idealfall“, nur dass der B mit dem U bei Vertragsschluss vereinbart, einen Teilbetrag ohne Rechnung in bar zu begleichen.

Der U haftet zu keinem Zeitpunkt für den Mangel, ein Gesamtschuldverhältnis entsteht nicht. Wenn der B den A in Anspruch nimmt, muss er sich zurechnen lassen, dass er durch die Abrede mit dem U den Schaden vergrößert hat. Der A haftet daher allenfalls in dem Umfang des Werts der durch den den U vorzunehmenden Mängelbeseitigung; im Ausgangsfall in Höhe von 40 000 €.

Der Architekt zahlt, ohne sein Leistungsverweigerungsrecht auszuüben

Wie der „Idealfall“, nur dass der in Anspruch genommene A sein Leistungsverweigerungsrecht nicht ausübt, 80 000 € zahlt und im Regress 40 000 € von dem U verlangt.

Grundsätzlich beträgt die Haftungsquote im Innenausgleich 50 %. Hier ist die Quote allerdings zu Lasten des A zu korrigieren, da dieser von seiner Obliegenheit, durch die Ausübung des Leis-tungsverweigerungsrechts das „Recht zu zweiten Andienung“ des U zu verwirklichen und damit seine eigene Inanspruchnahme zu reduzieren, keinen Gebrauch gemacht hat. Der A kann daher nur Zahlung in Höhe von 20 000 € verlangen.

Praxishinweis

Anhand der dargestellten Fälle wird deutlich, dass sich eine Lösung der verschiedenen Fallgruppen nach dem Prinzip Alles-oder-Nichts verbietet. Die konsequente Anwendung des Mitverschuldens führt in Verbindung mit gegebenenfalls erforderlichen normativen Wertungen zu interessensgerechten Lösungen sowohl im Außenverhältnis zum Besteller als auch für den Gesamtschuldner-Innenausgleich. Der Vorrang der Mängelbeseitigung durch den bauausführenden Unternehmer aus § 650t BGB hat zur Folge, dass sich die Rechtsposition des bauausführenden Architekten im Außenverhältnis zum Besteller und im Rahmen des Gesamtschuldner-Innenausgleichs deutlich verbessert.

Die Nutzung der männlichen Form in Fällen der Allgemeingültigkeit dient ausschließlich der Lesbarkeit juristischer Texte.

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