Generalist*innen für das Spezielle

Architekt*innen müssen sich in der Regel keine Gedanken darum machen, ob sie später in ihrem Beruf Arbeit finden. Darüber nachdenken, was sie sonst noch tun können, lohnt sich trotzdem. Denn ihr Studium eröffnet ihnen auch Karrierewege abseits der üblichen Pfade. Ein Gespräch über Perspektiven und Spezialisierungen mit  TUM-Professor Andreas Hild.
Herr Hild, wie schätzen Sie die Chancen von Absolvent*innen der Studiengänge Architektur und Bauingenieur­­­­wesen auf dem aktuellen Arbeitsmarkt ein?
Andreas Hild: Grundsätzlich sehr gut, allerdings ganz anders als etwa noch vor 20 Jahren. Damals sind die meis­ten Absolvent*innen ja mit dem Wunsch oder auch dem Selbstverständnis von der Hochschule abgegangen, dass sie jetzt ihr eigenes Büro gründen und aus eigener Kraft zum wirtschaftlichen Erfolg führen. Das ist heute sicher nicht mehr so oder nur noch in Ausnahmefällen die Perspektive für Berufsanfänger*innen. In der Regel steigen sie eher in einem mehr oder weniger etablierten Büro ein und steigen dort mit der Zeit innerhalb der Hierarchie auf – oder wechseln nach einiger Zeit in ein Büro, dass ihnen bessere Perspektiven und Herausforderungen bietet.
Woran liegt das?
Das hat sicher mehrere Gründe. Aber im Kern haben es die kleineren Büros auch aufgrund des Vergaberechts und der Abrechnungsmöglichkeiten heute schwerer, sich gegen die großen Büros zu behaupten.
Das Genie, das ganz allein am Zeichenbrett den großen Wurf entwickelt und damit die Grundlage für eine internationale Karriere legt, ist Geschichte?
Wenn es das je gegeben hat, dann ja. Aber wahrscheinlich war das schon immer mehr Mythos als Realität. Heute sind die Anforderungen, Verflechtungen und auch Notwendigkeiten zur Kollaboration viel größer. Als Einzel­kämpfer*in steht man da schnell auf verlorenem Posten.
Engt das die aktuelle Generation dabei ein, sich nach ihren Vorstellungen in der Architektur zu entfalten?
Das glaube ich nicht. Grundsätzlich ist das Studium der Architektur zum Beispiel ja darauf angelegt, für ganz unterschiedliche Modelle und Berufsfelder zu qualifizieren. Sicher sind wir, gerade in Deutschland, ein wenig zu sehr auf den Entwurf fokussiert. Das kann bei dem einen oder der anderen dazu führen, dass sie bei erfolgreichen Architekt*innen vor allem an Entwurfsarchitekt*innen denken. Aber das  Tätigkeitsfeld ist ja von je her weit gesteckt. Neben dem Entwurf sind Ausschreibungen, Werkpläne oder Aufgaben in der Bauleitung wichtige und stark nachgefragte Tätigkeitsfelder für Absolvent*innen. Das Spektrum reicht bis hin zur Stadt- und Landesplanung. Was sicher für jene interessant ist, die sich aktuellen Problemen gerne im größeren Maßstab widmen wollen.
Diese Vielfalt der Möglichkeiten zwingt jedoch auch zur Spezialisierung.
Richtig. Aber auch da stehen der nachwachsenden Generation an Planer-*in­nen ja vielfältige Möglichkeiten offen. Hier an der  TU München können sie zum Beispiel auch Vorlesungen aus den Randgebieten der Architektur wahrnehmen, zum Beispiel bei den Ingenieurs- und Materialwissenschaften. Und wer später in die Architekturkritik gehen will, kann Kurse zum journalistischen Schreiben belegen. Das sind dann vielleicht nicht in jedem Fall berufsqualifizierende Angebote, aber sie geben Einblicke und können den Sinn dafür schärfen, welche Spezialisierung man später anstrebt.
Gerade was aktuelle Aufgabenfelder der Architektur angeht, sind in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Angeboten hinzugekommen, zum Beispiel im Holzbau. Was halten Sie davon?
Das halte ich für sehr sinnvoll.
Könnte man solche Spezialisierungen nicht auch durch die Wahl eines ­Architekturbüros, dass zum Beispiel bereits Erfahrung im Holzbau gesammelt hat, abdecken? Und damit mehr an der Praxis lernen?
Das sehe ich nicht so. Wenn man sich an der Universität zwei, vielleicht drei Jahre intensiv mit einem Thema beschäftigt, erreicht man ein tiefes Verständnis der Materie, zu deren Erwerb man später im Beruf sicher keine Zeit mehr hat. Und damit erwirbt man eben auch ein theoretisches Fundament, auf dem sich die Praxiserfahrungen viel besser aufbauen lassen.
Wann ist für Sie der richtige Zeitpunkt im Studium gekommen, um sich zu spezialisieren und Zusatzqualifika­tionen zu erwerben?
Damit sollte man schon bis zum Mas­terstudiengang warten. Aus zwei Gründen: Zum einen ist der Bachelor als berufsqualifizierender Studiengang so breit angelegt, dass er bereits weite Teile der später möglichen Tätigkeiten abdeckt. Das ist die solide Grundlage, die man auch braucht, um überhaupt eine Spezialisierung anstreben zu können. Zum anderen ist das Curriculum auch so dicht gepackt, dass man sich nicht unbedingt auch noch zusätzliche Aufgaben draufschaffen muss. Das könnte leicht zu Überforderung führen.
Woran erkennen die Student*innen denn überhaupt, ob sie sich für das richtige Fach entschieden haben?
Also die mathematische und technische Begabung, die vielleicht früher im Fokus stand, eignet sich kaum als Kriterium. Die Defizite, die manche da mitbringen, wachsen sich meist innerhalb der ersten beiden Semester aus. Wichtiger sind eine generelle Neugierde und der Wunsch, immer wieder Dinge neu auszuprobieren und zu hinterfragen.
Und doch soll es die seltenen Fälle geben, in denen Betroffene an ihrer Studienwahl zweifeln.
Auch jene sind trotzdem mit einem Architekturstudium gut bedient. Design, Kommunikation, Ausstellungsplanung, Fotografie – wohin der Weg nach dem Bachelorstudiengang führt, liegt ja auch bei jedem und jeder selbst. Dazu können sie, wie bereits erwähnt, auch Kurse bei anderen Fachrichtungen belegen. Zur Architekturfotograf*in oder -kritiker*in bilden wir unsere Student*innen zwar nicht aus, das sehe ich auch nicht als unsere Aufgabe. Aber wir bieten sehr viele Anknüpfungspunkte für jene, die später andere Wege gehen möchten. Vielleicht machen sie danach noch ein Volontariat, damit zum Beispiel der Einstieg in den Journalismus gelingt. Von der umfassenden fachlichen Bildung werden sie dabei in jedem Fall profitieren.   
Also sind Zweifel am Bachelorstudiengang nicht angebracht?
(lacht) Na, das ist natürlich eine sehr persönliche Angelegenheit. Mir geht es vor allem darum zu vermitteln, dass das Architekturstudium vielfältige Perspektiven bietet: mit der Chance, sich mit dem Bachelor berufs­qualifizierend zu bilden; mit einem ge­ne­ralistischen Anspruch, der auch in Redaktionen, Museen, Fotostudios oder Designbüros geschätzt wird. Im Masterstudiengang habe ich dann die Möglichkeit, dieses generelle Wissen zu vertiefen und zu spezialisieren, um das für mich passende Berufsbild ­herauszuarbeiten. Oder gleich in der Forschung zu bleiben – dort gibt es auch einen großen Bedarf.
Prof. Andreas Hild lehrt an der  TU München Entwerfen, Umbau, Denkmalpflege und ist Teilhaber von Hild und K Architekten in München
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