Gasteig HP8, München
Eine alte Trafohalle und ein rein funktional ausgerichteter Neubau dienen dem Münchener Gasteig als Ersatzflächen während der Sanierung. Spektakulär ist diese Architektur erst auf den zweiten Blick. Denn in ihrer Einfachheit schafft diese Lösung einen neuen, niederschwelligen Zugang zur Hochkultur. Und bleibt dabei sowohl im Kosten- als auch im Zeitrahmen.
Akustik, Atmosphäre, Komfort
Kästchen in der Schatulle
„Unsere Idee war, eine Lösung zu schaffen, die sich aus dem Messebau herleitet“, sagt Sven Plieninger, Partner bei schlaich bergermann partner sbp. Hier habe man – gemeinsam mit den ArchitektInnen von gmp – bereits erhebliche Erfahrung im günstigen und einfachen Bauen sammeln können. „Ich nenne das Ergebnis ein Holzkästchen in einer Stahlschatulle.“ Kästchen und Schatulle entstanden dabei in Modulbauweise, was die Planungskosten und die Bauzeit erheblich reduziert habe. Auch wenn nicht alles so einfach und standardisiert zu planen gewesen sei wie bei einem Messestand, wie Stephan Schütz von gmp betont: „
An anderer Stelle ergaben sich jedoch während des Baus noch einfachere und günstigere Lösung, an die zunächst niemand gedacht hatte. „Nach Rücksprache mit dem Generalunternehmen entschieden wir uns dafür, die geplanten Kastenstahlprofile für das Tragwerk durch einfache T-Träger zu ersetzen, die anschließend kaschiert wurden“, sagt Sven Plieninger von sbp. „Das war einfacher zu schweißen und somit letztlich kostengünstiger und weniger zeitintensiv.“
Gemeinsam Lösungen finden
Funktionen ordnen, Kosten senken
Denn darauf hat das Münchener Publikum schon allzu lange gewartet: „Burn it!“ – lautete 1985 Leonard Bernsteins vernichtendes Urteil nach seinem Eröffnungskonzert im Gasteig. Dieses Debakel sollte sich beim Interimsbau des Gasteigs HP8 nicht wiederholen: „Wir haben eine sehr enge Verbindung zu gmp“, sagt Sven Plieninger von sbp. Bei diesem Projekt habe sie der Wille geeint, es im gesetzten Zeit- und Kostenrahmen fertigzustellen. „In Ausschreibungen werden Unternehmen oftmals in Zufallsgemeinschaften zusammengewürfelt, die verschiedene Absichten verfolgen. Sei es, weil sie unterschiedliche Erwartungen an das Ergebnis haben oder weil sie die Ressourcen und den Personalaufwand unterschiedlich kalkulieren“, sagt Plieninger. „Hier hat aber einfach alles gepasst, weil wir uns gemeinsam beworben haben und die gleichen Ziele verfolgten.“
Spricht man mit den drei beteiligten Büros, kristallisieren sich diese gemeinsamen Ziele als eine Leitidee heraus, die Aufgaben und Rollen jeweils klar den einzelnen Teilen des Gebäudekomplexes zuweist und so Raum für Optimierung schafft. In diesem Sinne ist die Isarphilharmonie nicht ohne das verbundene Trafogebäude, das noch weitere Funktionen des Gasteigs übernimmt, denkbar. Hier ist Platz für Ausstellungen, Filmvorführungen, Tanz, Theater. Die „open Library“ der Münchener Stadtbibliothek steht den KonzertbesucherInnen täglich, auch am Wochenende, von 8 bis 23 Uhr offen. Start-ups, HandwerkerInnen und KünstlerInnen haben ihre Heimat auf einem weiteren Bestandsgebäude auf dem Gelände.
„Ist der Konzertsaal ein Ort der Konzentration auf die Musik, ist die Trafohalle ein Ort der Vielfalt, der einen Besuch der Philharmonie zu einem Gesamterlebnis macht“, sagt Stephan Schütz von gmp. Und auch Sven Plieninger findet, dass der Anschluss zum Altbau die karge Ästhetik des Konzertsaals adelt, der Konzertbesuch so zum Event wird: „Weil im Trafogebäude aus Gründen des Denkmalschutzes selbst die gelben Fahrbahnmarkierungen auf den rohen Estrichböden erhalten werden mussten, wirkt der industrielle Charme des Konzertsaals nicht auffällig, sondern dem Ort angemessen.“ Die fehlende Schmuckfassade beklagt keins der beteiligten Büros, obwohl sie ursprünglich mit deutlich mehr Glas als Schaukas-ten für das Schmuckstück geplant gewesen war. Aber anders als bei der Elbphilharmonie lässt die enge städtebauliche Situation und der abgelegene Ort auch kaum Laufpublikum zu. „Sollte aus dem Interim jedoch ein Dauergast werden, lässt sich die Fassade auch nachträglich noch aufwerten“, so Sven Plieninger. Modularer und einfacher Bauweise sei Dank! JA
Wenn ein Projekt zunächst auf fünf Jahre Betrieb entwickelt wird, scheint Einfachheit und Robustheit leichter umsetzbar zu sein. Zur Beantwortung der Fragestellung „Wie wenig ist genug?“ ist ein ganzheitlicher Planungsprozess und ein interdisziplinär intensiver Prozess unumgänglich. Das kann von diesem Gebäude gelernt werden.«
DBZ Heftpartnerin Prof. Elisabeth Endres, München
Projektdaten
Standort: Hans-Preißinger-Straße 8, 81379 München
Typologie: Konzertsaal/Kulturzentrum
Bauherr: Gasteig München GmbH, www.gasteig.de
Nutzer: Gasteig München GmbH
Architekt: gmp ∙ Architekten von Gerkan, Marg und Partner, www.gmp.de
Philharmonie/Halle E
Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund
Projektleitung (Philharmonie): Annette Löber
Projektleitung (Halle E): Christian Dorndorf, Michael Scholz, Georg Folkmer (CL MAP)
Mitarbeit VgV: Christian Dorndorf, Thiago Henriques, Thilo Zehme, Anastasia Protsenko, Christoph Rohner
Mitarbeit Planung: Anna von Aulock, Alessandro Dado, Jan-Peter Deml, Martin Muc, Christoph Rohner, Phillip Stillke, Udo Fricke (CL MAP), Claudia Hupfloher (CL MAP)
Halle E (LP 5-8): gmp in Zusammenarbeit CL MAP
Oberbauleitung: Andreas Schmidt
Tragwerksplanung: IB Aster, www.ib-aster.de
Generalübernehmer Philharmonie: Nüssli AG, www.nussli.com
Bauzeit: 03.2020 – 10.2021
Fläche Philharmonie: 7 400 m²
Fläche Halle E: 8 440 m²
Modulbauten
Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund
Projektleitung: Michael Scholz
Mitarbeit: VgV Jens Weiler, Andela Brasanac, Nicolas Castagnola, Hu Xiaohan, Zhu Shiyou, Thilo Zehme
Mitarbeit Planung: Anna von Aulock, Maciej Bak, Rosaria de Canditiis, Phillip Stillke, Kyung Ho Won
FachplanerInnen
Tragwerksplanung (Philharmonie): schlaich bergermann partner sbp, www.sbp.de
TGA HKLS: Ingenieurbüro Hausladen, www.ibhausladen.de
Fassadentechnik:
Lichtplaner: Raible + Partner, www.raible.de, mit Schmidt König Lichtplaner, www.schmidtkoenig.de
Akustikplanung: Nagata Acoustics, www.nagata-i.com
Bühnentechnik: Kunkel Consulting, www.kunkel-consulting.com
Landschaftsarchitektur: realgrün Landschaftsarchitekten, www.realgruenlandschaftsarchitekten.de
Brandschutzplanung imKONTEXT.berlin GmbH, www.brandschutzimkontext.de
Bauphysik: Müller-BBM, www.muellerbbm.de
Hersteller
Holzbau: Züblin Timber, www.zueblin-timber.com
Glasfassade: Pilkington, www.pilkington.com
Glasfassade: Trimo, www.trimo-group.com Dach: Domico, www.domico.at
Sichtestrich: Creafloor,
www.creafloor.ch
Linoleum: Gerflor, www.gerflor.de