gmp ist ...? ... vom Einfachen das Beste

Im Gespräch mit Meinhard von Gerkan, gmp, Hamburg

Aus Anlass seines 85. Geburtstags am 3. Januar und weil wir schon lange nicht mehr miteinander gesprochen hatten, trafen wir uns mit Meinhard von Gerkan im gmp-Büro an der Elbchaussee in Hamburg und schauten in einem längeren Gespräch – aus dem wir hier einen Ausschnitt abdrucken – zurück und nach vorne. Und ein wenig auch in das Gebilde, das als „gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner“ seit Jahrzehnten die deutsche Architekturgeschichte auf vielerlei Weise geprägt hat.↓

Lieber Meinhard von Gerkan, Sie wurden gerade eben 85 – was haben Sie sich zum Geburtstag gewünscht?

Meinhard von Gerkan: Auf das Berufliche und das Familiäre bezogen wünsche ich mir eine bessere Balance zwischen diesen beiden Welten. Ich habe immerhin sechs erwachsene Kinder – eine meiner Töchter lebt in New York, eine andere in Berlin. Die vier Kinder meiner zweiten Frau leben hier in Hamburg. Diese Balance hinzubekommen, ist eine große Aufgabe. Beruflich bin ich noch täglich gefordert.

Wer hat die drei Buchstaben gmp zu einer starken, international bekannten Marke entwickelt? Eine Markenagentur? Oder waren das Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan allein?!

Ja, wir beide. Von Anbeginn an.

Mit Blick auf die Etablierung der Marke „gmp“ frage ich mich, ob es ausreicht, einfach nur gute Arbeit zu machen? Oder muss man das über andere Strategien forcieren?

Wir haben schon unsere ersten Projekte ausführlich dokumentiert und veröffentlicht und arbeiten schon sehr lange mit wenigen Architekturfotografen zusammen. Und ich habe schon vor Jahrzehnten eine PR-Abteilung ins Leben gerufen, die vermutlich die erste ihrer Art in einem deutschen Architekturbüro war. Unser Bild- und Modellarchiv sind mittlerweile wunderbar umfangreich.

Haben Sie die Essenz der Marke, mit der heute mehr als 500 ArchitektInnen weltweit arbeiten, noch fest im Griff?

Absolut. Und ich habe auch keine Angst vor Streit, weder intern noch extern. Wir sind essentieller geworden, schon deshalb, weil wir uns – neben Volkwin Marg und mir – auf vier Partner reduziert haben. Es gibt heute eine projektbezogenere Zuständigkeit der Partner und Assoziierten für Regionen, Typologien und Bauweisen. Das ist Vielfalt unter dem Markendach.

Aber noch einmal zur Essenz oder, wie Sie sagen,  zur „gewissen Linie“! Um diese nicht aus den Augen zu verlieren, haben wir von Beginn an Bücher produziert. Begonnen hat dies mit unserer Werkmonographie, die ich derzeit fortsetze, um unser komplettes Werk zu vermitteln. Das sind bis heute immerhin über 470 realisierte Projekte und vieles Ungebaute. Das Publizieren ist in erster Linie ein Anliegen der Kommunikation mit den eigenen Mitarbeitern, mit den Partnern und allen am Bau beteiligten Fachleuten. Irgendwo am Ende sicher auch ein Marketinginstrument.

Gab es in all den Jahrzehnten nicht auch einmal eine Art Aufbegehren gegen die Handschrift auf der Partnerebene vielleicht? Gab es den Wunsch, einmal etwas Verrücktes, etwas ganz Anderes zu machen, die Fessel der Handschrift abzustreifen?

Mir selbst ist Handschrift ein soziales Anliegen, die Unzweifelbarkeit der Zuordnung. Ich war gerade als Professor in Braunschweig berufen, da habe ich ein Buch über die „Verantwortung des Architekten“ veröffentlicht – und da ist das mehr oder weniger alles zum Ausdruck gekommen, was mir für die Kontinuität, die Verlässlichkeit und die Glaubwürdigkeit eines Büros wichtig ist. Und unabdingbar wichtig ist mir bis heute, dass wir Architekten zu bestimmten qualitativen Resultaten kommen. Diese Haltung hat sich mit einer Selbstverständlichkeit auf die Partner übertragen. Und ehrlich gesagt: Die Partner sind deshalb Partner, weil sie diese Haltung mittragen!

Wenn Sie die drei Buchstaben zu einem Satz verlängerten: gmp ist ...?

... vom Einfachen das Beste.

Was ist in der Rückschau Ihr erfolgreichstes, möglicherweise auch das folgenreichste Projekt gewesen?

Das ist unzweifelhaft der erste, große, gewonnene Wettbewerb Flughafen Berlin Tegel, den wir damals als absolute Nobodys in einem weltweit offenen Verfahren gewannen. Und schauen Sie, wir haben nicht bloß einen Wettbewerb für einen großen Flughafen gewonnen – „wir“, das waren damals Volkwin Marg und ich mit vielleicht 15 oder 20 anderen Leuten, die alle zusammen noch nicht mal eine Garage gebaut hatten. Wir haben am Ende den ganzen Flughafen konzipiert und gebaut, sein Innenleben bis ins Detail, die Start- und Landebahn, alle Servicegebäude, die komplette Flughafenarchitektur bis zur letzten Schraube gestaltet.

Gibt es Lieblingsprojekte?

Ja, da sind zwei Herausragende. Das eine ist der Christuspavillon für die Expo 2000 in Hannover, der heute in Volkenroda in Thüringen als Teil des dortigen Klosters genutzt wird, und das zweite ist ein Bau in Jurmala am Rigaer Strand – also, da wo ich geboren bin. Die Villa Guna, ein Einfamilienhaus, das von der Bauherrin, der ich den Entwurf schenkte, mit ausgesuchter Sorgfalt genauso realisiert worden ist, wie ich es entworfen habe.

Würden Sie ein Projekt von damals heute anders machen?

Über die Kontinuität der Handschrift hinaus, die sich in allen Projekten von gmp manifestiert, gibt es eine Koinzidenz der Haltung, also des Inhalts, des Ausdrucks und der Mittel wie Materialien oder Maßstäblichkeit. Hier könnte ich im Nachhinein Anlässe oder Gelegenheiten identifizieren, zu sagen, dieses oder jenes hätte man so oder anders machen können. Und ich würde es dann auch anders machen.

Wie arbeiten Sie mit Volkwin Marg zusammen? Wie funktioniert die Arbeitsteilung?

Es gibt hier einen Spruch, der von Moltke stammt, den Volkwin Marg immer in diesem Kontext benutzt: Getrennt marschieren und vereint schlagen!

Das heißt, es gibt keine von Anfang an gemeinsamen Projekte?

Ja. Jeder von uns hat seine eigene Linie entwickelt. Aber wir sprechen seit Beginn unseres Architekturstudiums regelmäßig miteinander, bis heute. Und wir haben schon durch unsere gemeinsamen Büroräume fast wortwörtlich Tuchfühlung und damit relativ viel Gelegenheit, das eine oder andere beiläufig zu diskutieren und zu kritisieren, gelegentlich auch ganz heftig!

Ihnen wurde im vergangenen Jahr in Peking durch die Architectural Society of China der Liang-Sicheng-Preis verliehen. Es handelt sich dabei um die höchste Auszeichnung für Architekten in China. Wie fühlt es sich für Sie an, diese hohe Auszeichnung als erster Architekt aus dem Westen erhalten zu haben?

Ich weiß, dass die Arbeit von Liang Sicheng und seiner Frau Lin Huiyin für das kulturelle Erbe Chinas enorm wichtig war, weil sie als Pioniere der Denkmalpflege dafür gesorgt haben, dass dieses Erbe gesichert wurde und heute überhaupt noch existiert. Liang Sicheng war ein Wanderer zwischen den Welten, hatte in Harvard und an der University of Pennsylvania studiert und setzte sich Zeit seines Lebens für den kulturellen Austausch zwischen chinesischen und internationalen Architekten ein. Der kulturelle Austausch zwischen China und Deutschland war auch mir stets ein großes Anliegen, umso größer ist die Ehre dieser Auszeichnung für mich. Leider ist sie hier in Deutschland kaum bekannt.

Wie hoch ist der Anteil chinesischer Projekte am Gesamtwerk von gmp?

Der Anteil realisierter chinesischer Projekte beträgt etwa ein Drittel am gebauten Gesamtwerk von gmp.

Was sagen Sie den Architekten-Kollegen, die auf dem Standpunkt stehen, dass man in diktatorischen Ländern nicht bauen dürfe?

Diesem Vorwurf sind wir natürlich ausgesetzt. Früher mehr als heute. Ich sage dann immer, dass es um die einzelne Architektur geht, um ihren Sinn und ihren Nutzen, um ihren ganz besonderen Ausdruck. Wir haben beispielsweise das Parlamentsgebäude der vietnamesischen Nationalversammlung in Hanoi gebaut. Typologisch steht der Bau unserem deutschen Demokratieverständnis nahe und er repräsentiert gleichzeitig die besondere vietnamesische Identität. Über dieses Projekt habe ich unzählige Gespräche mit vielen, vielen Regierungsvertretern und anderen Personen des Landes geführt, bis wir uns darüber verständigen konnten, wie die Architektur diese Identität stiften könnte.

Welche Aspekte der Arbeit von gmp bzw. welche Voraussetzungen haben gmp in der Vergangenheit geholfen, in China so erfolgreich zu werden?

Uns wurde seitens unserer chinesischen Auftraggeber ein großes Maß an Offenheit gegenüber gestalterischen Neuinterpretationen und neuartigen Lösungen entgegengebracht. Diese Offenheit bezog sich auf alle Bereiche unserer Entwurfs-philosophie.

Zu Ihrem Achtzigsten haben Sie die Gelegenheit wahrgenommen, eine zweibändige Biographie über sich schreiben zu lassen. Werden Sie den möglicherweise dritten Band dann selber schreiben?

Ja, den würde ich in der Tat selbst schreiben. Das gehört unbedingt zu dem, wovon wir am Anfang sprachen. Das Schreiben entspricht ganz meinem Selbstverständnis und dem Wunsch, die Jahre, die einem noch verbleiben, möglicherweise für eine solche Sache zu verwenden.

Was müssen Architekten in Zukunft noch können, um weiterhin das zu machen, was sie heute machen? Nämlich Umwelt gestalten?

Architekten werden sich stärker fokussieren müssen. Sie werden, bei größtmöglichem Wissen, sich entscheiden müssen, das Wichtige zu tun und das Unwichtige möglichst weg zu lassen.

Was wären Sie in einem zweiten Leben gerne?

In jungen Jahren habe ich mich in einigen Bereichen ausprobiert, von Jura bis Schauspielerei, und bin dann bei der Architektur gelandet. Das hat am Besten gepasst.

Zeichnen Sie denn eigentlich noch? Mit der Hand?

Aller Wahrscheinlichkeit nach bin ich einer der letzten meiner Zunft, die noch mit der Hand, mit Bleistift oder Filzerschreibern zeichnen. Ich bin immer noch stets mit dem Skizzenbuch unterwegs.

Was hätten Sie gerne noch gebaut? Wovon träumen Sie? Was würden Sie gerne noch mal bauen wollen?

Das ist ein gewonnener Wettbewerb von 1977 für die Pahlavi-National-Bibliothek in Teheran, den wir in einem weltweit offenen Verfahren gewonnen haben. Der Entwurf und das ganze Vorhaben war mit dem Schah verbunden, der uns damals den Preis noch persönlich verliehen hatte. Aber der Entwurf wurde mit der Revolution im Land kassiert, jetzt steht da ein ziemlich verunglücktes Gebilde. Diesen Entwurf hätten wir sehr gerne gebaut! Sollte nicht sein und wer weiß schon, wofür dieses Scheitern am Ende nicht auch gut war!

Mit Meinhard von Gerkan unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 5.12.2019 in von Gerkans Restaurant unter dem gmp-Büro in Hamburg.

www.gmp-architekten.de
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