Der Schatz in der Truhe 

Gasteig HP8, München

Eine alte Trafohalle und ein rein funktional ausgerichteter Neubau dienen dem Münchener Gasteig als Ersatzflächen während der Sanierung. Spektakulär ist diese Architektur erst auf den zweiten Blick. Denn in ihrer Einfachheit schafft diese Lösung einen neuen, niederschwelligen Zugang zur Hochkultur. Und bleibt dabei sowohl im Kosten- als auch im Zeitrahmen.  

Ornament-Verächter Adolf Loos hätte seine Freude an diesem Gebäude gehabt. Denn die Fassade der neuen Isarphilharmonie in München gibt sich so spröde wie ein reiner Zweckbau. Das Stahltragwerk und die äußere, rechtwinklige Hülle bestehen aus schlichten, marktüblichen Industriebausystemen. Eine Form des Understatements, die allerdings schon fast die Umkehrung der Loos’schen Kritik provoziert: Das Ornament verschleiert hier nicht das Elend hinter der Fassade, im Gegenteil. Das schmucklose Kleid verbirgt vielmehr die Pracht dahinter: Den Konzertsaal aus der Feder von gmp, der in Kollaboration mit dem Meister-Akus-tiker Yasu­hisa Toyota entstanden ist. Hierzulande vor allem bekannt für seine Arbeit in der Elbphilharmonie. Allerdings lagen die Kosten für deren Bau am Ende bei rund 866 Mio. €. Die Münchener hingegen gaben für ihren auf fünf Jahre angelegten Interimsbau lediglich 41 Mio. € aus, und das bei einer Bauzeit von nur zweieinhalb Jahren. Für einen Kulturbau mit einem ­Konzertsaal von 6 700 m² Fläche und Platz für 1 900  Gäste ist das ein sehr enges Korsett.

Akustik, Atmosphäre, Komfort

Zugute kam den PlanerInnen jedoch, dass auf dem ehemaligen Industrieareal im Stadtteil Sendling ein benachbartes Bestandsgebäude (Halle E) steht. Denn die alte Trafohalle der Münchener Stadtwerke mit einer lichten Höhe von 21 m im zentralen Innenhof steht zwar unter Denkmalschutz und durfte kaum verändert werden. Dank einer Sanierung zum Preis von weiteren 22,5 Mio. € ließ sich das Gebäude jedoch optimal als Empfangsgebäude in das Gesamtkonzept einbinden. Somit musste der geplante Neubau lediglich den Konzertsaal und Funktionen wie Umkleiden und Proberäume aufnehmen. Und natürlich einen angemessenen Schutz gegen die Witterung bieten. Hierzu griffen die PlanerInnen auf das Box-in-Box-Konzept zurück. Eine schlichte Stahltragwerk-Konstruktion dient dem Holzbau im Inneren als Wetter- und Schallschutz. Befreit von dieser lästigen Pflicht konnten sich die PlanerInnen dann im Inneren ganz auf die wichtigste Funktion des Interimsbaus konzentrieren: eine Bühne für Orchester von Weltrang zu schaffen.

Wie das geht? Einfach bauen. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Einfache Konstruktionen ziehen einfache Planungsabläufe nach sich. Sparen also Zeit und Geld, die man dort investieren kann, wo Kompromisse fehl am Platz wären: „Eine erstklassige Akustik, eine aus der Holzkonstruktion generierte Atmosphäre und ein hohes Maß an Komfort mussten und wollten wir dem Publikum bieten – schließlich steht das Haus ja in Konkurrenz mit den Topsälen der Welt“, erklärt Stephan Schütz, Partner beim federführenden Büro gmp, das gemeinsam mit dem Münchener TGA-Büro IB Hausladen und den Stuttgarter Tragwerksplaner­Innen von schlaich bergemann partner sbp einen Generalplanerverbund für die Ausschreibung bildete. „Für uns stand daher von Beginn an fest, dass wir von diesem unverzichtbaren Kern ausgehen und von da aus nur so viel hinzufügen, wie unbedingt notwendig ist“, so Schütz.

Kästchen in der Schatulle

„Unsere Idee war, eine Lösung zu schaffen, die sich aus dem Messebau herleitet“, sagt Sven Plieninger, Partner bei schlaich bergermann partner sbp. Hier habe man – gemeinsam mit den ArchitektInnen von gmp – bereits erhebliche Erfahrung im günstigen und einfachen Bauen sammeln können. „Ich nenne das Ergebnis ein Holzkästchen in einer Stahlschatulle.“ Kästchen und Schatulle entstanden dabei in Modulbauweise, was die Planungskosten und die Bauzeit erheblich reduziert habe. Auch wenn nicht alles so einfach und standardisiert zu planen gewesen sei wie bei einem Messestand, wie Stephan Schütz von gmp betont: „Yasu­hisa Toyota forderte für die Saalwände ein Gewicht von 80-160 kg/m², um ausreichend Masse für deren Reflexionsgrad zu erreichen. Dank des Einsatzes von 30 cm starken Brettsperrholzwänden als Tragkonstruktion konnten wir diese Vorgabe erfüllen.“ Das führte jedoch dazu, dass die äußerst massive Decke an sondergefertigten Stahlelementen der Außenhülle aufgehängt werden musste. Einfache Systemelemente hätten die enorme Last nicht tragen können.

An anderer Stelle ergaben sich jedoch während des Baus noch einfachere und günstigere Lösung, an die zunächst niemand gedacht hatte. „Nach Rücksprache mit dem Generalunternehmen entschieden wir uns dafür, die geplanten Kastenstahlprofile für das Tragwerk durch einfache T-Träger zu ersetzen, die anschließend kaschiert wurden“, sagt Sven Plieninger von sbp. „Das war einfacher zu schweißen und somit letztlich kostengünstiger und weniger zeitintensiv.“

Gemeinsam Lösungen finden

Bereits in der frühen Planungsphase sei allen Beteiligten klar gewesen, dass die angestrebte Askese im Entwurf ein hohes Maß an Kollaboration und Kommunikation verlangte: „In der Regel setzen wir die Vorgaben der TGA-Planer bezüglich Raumdimensionen der Technikzentralen und Installationen so um, wie es im Sinne der Raumzuordnungen und Leitungswege naheliegt“, erläutert Stephan Schütz. Dies führt in der Regel zu konstruktiv aufwändigen Unterkellerungen, die kostspielig sind und den Bauablauf verlängern. Bei der Isarphilharmonie wurde hierauf verzichtet. Schon allein wegen der unkalkulierbaren Risiken im möglicherweise belasteten Untergrund. Also fragten gmp die TGA-ExpertInnen von IB Hausladen, wie sie die notwendigen Installationen möglichst schlank in das geplante Konzept integrieren konnten.

„Es entstand ein regelrechter Wettbewerb darum, wie man gemeinsam zu noch günstigeren und gleichzeitig werthaltigen Ergebnissen kommt“, erinnert sich Elisabeth Endres, Projektarchitektin des Münchener Büro IB Hausladen. „Bei gemeinsamen, interdisziplinären Planungstreffen hieß es oft: Brauchen wir das wirklich? Und oft genug zeigte sich, dass es noch einfacher geht.“ Statt eines Technikkellers oder der Auslagerung der Klima- und Heizfunktionen in das benachbarte Trafogebäude habe man sich zum Beispiel für eine Art „Technikrucksack“ auf dem Dach des Neubaus entschieden. „Durch die räumliche Nähe zum Konzertsaal konnten wir so eine technisch anspruchsvollere und teurere Zuleitung aus dem Nebengebäude vermeiden.“ Dieser „Rucksack“ sei zwar jetzt von außen deutlich ablesbar, schade aber in keiner Weise den gesetzten Zielen. Anders sei das zum Beispiel bei den Zulüftungskanälen unter den Zuschauertribünen gewesen. Konstruktiv, ohne Diskussionen über Kompetenzen oder Hie­rarchien, trafen die Partner hier die pragmatische Entscheidung. „Wir hatten eigentlich eine Holzkonstruktion vorgesehen, um den Betonanteil im Gebäude niedrig zu halten“, sagt Sven Plieninger von sbp. „Nach Rücksprache mit Frau Endres hat sich jedoch gezeigt, dass dies zulasten der Akustik gegangen wäre – folglich wurden die Kanäle doch in Beton ausgeführt.“ Schließlich dient dieser Kompromiss dem gemeinsamen Hauptziel, den BesucherInnen ein erstklassiges Hörerlebnis zu bieten.

Funktionen ordnen, Kosten senken

Denn darauf hat das Münchener Publikum schon allzu lange gewartet: „Burn it!“ – lautete 1985 Leonard Bernsteins vernichtendes Urteil nach seinem Eröffnungskonzert im Gasteig. Dieses Debakel sollte sich beim Interimsbau des Gasteigs HP8 nicht wiederholen: „Wir haben eine sehr enge Verbindung zu gmp“, sagt Sven Plieninger von sbp. Bei diesem Projekt habe sie der Wille geeint, es im gesetzten Zeit- und Kostenrahmen fertigzustellen. „In Ausschreibungen werden Unternehmen oftmals in Zufallsgemeinschaften zusammengewürfelt, die verschiedene Absichten verfolgen. Sei es, weil sie unterschiedliche Erwartungen an das Ergebnis haben oder weil sie die Ressourcen und den Personalaufwand unterschiedlich kalkulieren“, sagt Plieninger. „Hier hat aber einfach alles gepasst, weil wir uns gemeinsam beworben haben und die gleichen Ziele verfolgten.“

Spricht man mit den drei beteiligten Büros, kristallisieren sich diese gemeinsamen Ziele als eine Leitidee heraus, die Aufgaben und Rollen jeweils klar den einzelnen Teilen des Gebäudekomplexes zuweist und so Raum für Optimierung schafft. In diesem Sinne ist die Isarphilharmonie nicht ohne das verbundene Trafogebäude, das noch weitere Funktionen des Gasteigs übernimmt, denkbar. Hier ist Platz für Ausstellungen, Filmvorführungen, Tanz, Theater. Die „open Library“ der Münchener Stadtbibliothek steht den KonzertbesucherInnen täglich, auch am Wochenende, von 8 bis 23 Uhr offen. Start-ups, HandwerkerInnen und KünstlerInnen haben ihre Heimat auf einem weiteren Bestandsgebäude auf dem Gelände.

„Ist der Konzertsaal ein Ort der Konzentration auf die Musik, ist die Trafohalle ein Ort der Vielfalt, der einen Besuch der Philharmonie zu einem Gesamterlebnis macht“, sagt Stephan Schütz von gmp. Und auch Sven Plieninger findet, dass der Anschluss zum Altbau die karge Ästhetik des Konzertsaals adelt, der Konzertbesuch so zum Event wird: „Weil im Trafogebäude aus Gründen des Denkmalschutzes selbst die gelben Fahrbahnmarkierungen auf den rohen Estrichböden erhalten werden mussten, wirkt der industrielle Charme des Konzertsaals nicht auffällig, sondern dem Ort angemessen.“ Die fehlende Schmuckfassade beklagt keins der beteiligten Büros, obwohl sie ursprünglich mit deutlich mehr Glas als Schaukas-ten für das Schmuckstück geplant gewesen war. Aber anders als bei der Elbphilharmonie lässt die enge städtebauliche Situation und der abgelegene Ort auch kaum Laufpublikum zu. „Sollte aus dem Interim jedoch ein Dauergast werden, lässt sich die Fassade auch nachträglich noch aufwerten“, so Sven Plieninger. Modularer und einfacher Bauweise sei Dank! JA

Wenn ein Projekt zunächst auf fünf Jahre Betrieb entwickelt wird, scheint Einfachheit und Robustheit leichter umsetzbar zu sein. Zur Beantwortung der Fragestellung „Wie wenig ist genug?“ ist ein ganzheitlicher Planungsprozess und ein interdisziplinär intensiver Prozess unumgänglich. Das kann von diesem Gebäude gelernt werden.«

DBZ Heftpartnerin Prof. Elisabeth Endres, München

Projektdaten

Objekt: Gasteig HP8 Isarphilharmonie

Standort: Hans-Preißinger-Straße 8, 81379 München

Typologie: Konzertsaal/Kulturzentrum

Bauherr: Gasteig München GmbH, www.gasteig.de

Nutzer: Gasteig München GmbH

Architekt: gmp ∙ Architekten von Gerkan, Marg und Partner,
www.gmp.de

Philharmonie/Halle E

Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund

Projektleitung (Philharmonie): Annette Löber

Projektleitung (Halle E): Christian Dorndorf, Michael Scholz, Georg Folkmer (CL MAP)

Mitarbeit VgV: Christian Dorndorf, Thiago Henriques, Thilo Zehme, Anastasia Protsenko, Christoph Rohner

Mitarbeit Planung: Anna von Aulock, Alessandro Dado, Jan-Peter Deml, Martin Muc, Christoph Rohner, Phillip Stillke, Udo Fricke (CL MAP), Claudia Hupfloher (CL MAP)

Halle E (LP 5-8): gmp in Zusammenarbeit CL MAP

Oberbauleitung: Andreas Schmidt

Tragwerksplanung: IB Aster,
www.ib-aster.de

Generalübernehmer Philharmonie: Nüssli AG, www.nussli.com

Bauzeit: 03.2020 – 10.2021

Fläche Philharmonie: 7 400 m²

Fläche Halle E: 8 440 m²

Modulbauten

Entwurf: Meinhard von Gerkan und Stephan Schütz mit Christian Hellmund

Projektleitung: Michael Scholz

Mitarbeit: VgV Jens Weiler, Andela  Brasanac, Nicolas Castagnola, Hu Xiaohan, Zhu Shiyou, Thilo Zehme 

Mitarbeit Planung: Anna von Aulock, Maciej Bak, Rosaria de Canditiis, Phillip Stillke, Kyung Ho Won

FachplanerInnen

Tragwerksplanung (Philharmonie): schlaich bergermann partner sbp, www.sbp.de

TGA HKLS: Ingenieurbüro Hausladen, www.ibhausladen.de

Fassadentechnik:

Lichtplaner: Raible + Partner,
www.raible.de, mit Schmidt König Lichtplaner, www.schmidtkoenig.de

Akustikplanung: Nagata Acoustics, www.nagata-i.com

Bühnentechnik: Kunkel Consulting, www.kunkel-consulting.com

Landschaftsarchitektur: realgrün Landschaftsarchitekten, www.realgruenlandschaftsarchitekten.de

Brandschutzplanung imKONTEXT.berlin GmbH,
www.brandschutzimkontext.de

Bauphysik: Müller-BBM,
www.muellerbbm.de

Hersteller

Holzbau: Züblin Timber,
www.zueblin-timber.com

Glasfassade: Pilkington,
www.pilkington.com

Glasfassade: Trimo,
www.trimo-group.com Dach: Domico, www.domico.at

Sichtestrich: Creafloor,

www.creafloor.ch

Linoleum: Gerflor, www.gerflor.de

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