Differenzierte Aluminiumfassade

Europaallee, Baufeld G, Zürich/CH

Graber Pulver Architekten und Masswerk Architekten haben in Arbeitsgemeinschaft das Baufeld G der Zürcher Europaallee mit einem mächtigen Wohn- und Geschäftshaus besetzt. Allseitig überzieht eine, von den Fassadeningenieuren von Mebatech konstruierte, multifunktionale metallische Hülle das Gebäude und lässt es messingfarben schimmern.

Lange Zeit war das Gebiet zwischen Sihlpost und Lagerstraße am Züricher Hauptbahnhof eine ungeordnete Restfläche der Bahn. Erst mit dem 2003 von Kees Christiaanse vorgeschlagenen Masterplan entstand eine stadträumliche Idee für das 78 000 m2 große Areal. Seit 2009 wird nun auf den acht Baufeldern ein hohes Haus nach dem nächsten errichtet, man bewegt sich entsprechend dem Masterplan im Rahmen von 25 bis 65 m Höhe.

Für das Baufeld G konnte der Entwurf von Graber Pulver Architekten und Masswerk Architekten im Projektwettbewerb 2008/2009 überzeugen. Sie schlugen ein Gebäude vor, das sich in Sockel und zwei darauf stehende Türme gliedert. Neben 46 Eigentumswohnungen und 72 Wohnungen der Senio­renresidenz sind auch knapp 7 000 m2 Verkauf- und Gastronomiefläche untergebracht.

Diese innere Durchmischung bleibt den Passanten jedoch verborgen, da sich die Fassade als gedämpft silbrige Metallhaut über jede Brüstung und Stütze, jedes Fenster und jeden Vorsprung zieht. Und das Auge täuscht, denn in Wirklichkeit ist der Skelettbau aus Ortbeton und vorgefertigten Elementstützen in einem statisch optimierten Raster gebaut. Die präzise mit vertikalen Lisenen und horizontalen Fensterbänken gerasterte Aluminiumfassade aus hartano­disierten Elementen bestimmt die jeweilige Dimension der Öffnun­gen.

Viel Wind, große Dimensionen

In der komplexen Metallbaukonstruktion kommen zahlreiche Formate und Fensterbreiten zum Einsatz, worauf wiederum der Sonnenschutz reagieren musste. Dass das entwickelte Dreischeiben-System frei skalierbar ist, war entscheidend für das energetische Funktionieren des Gebäudes. Im Gespräch mit Fassadeningenieur Jan Zaba von Mebatech wird deutlich, dass für das Projekt nach einer großflächigen aber auch unterhaltsarmen und robusten Verschattungslösung gesucht wurde. Die breiten Fenster der Rasterfassade sollten so verdunkelt werden können, dass auch im Sommer die Energiebilanz des Minergie-zertifizierten Baus stimmt. „Nur gibt es in diesen Dimensionen keine stabilen Lamellenstoren, die die hier anfallenden Windkräfte aushalten,“ erklärt Jan Zaba. „Eine Verschattung mit gelochten und gewellten Aluminiumpaneelen wurde zunächst skeptisch betrachtet.“ Mit Innen- und Außenvisualisierungen konnte die Bauherrschaft schließlich von der textilen Wirkung des Materials überzeugt werden, zum Nachweis der Funktionstüchtigkeit wurde zusätzlich ein Prototyp gebaut. In der Zentralschweiz stand er für länger als sechs Monate unter freiem Himmel, mehr als 20 000 Mal fuhren die Bleche in dieser Zeit rauf und runter. Der Verschleiß war gering, die Wartung ebenso, das System bewährte sich.

Drei hintereinander gestaffelte Schiebeelemente kommen heute bei jedem Fenster der Obergeschosse zum Einsatz. Gesteuert über einen Rohrmotor pro Fenster wird jeweils ein Element über ein Stahlkabel gezogen, die anderen beiden Elemente werden nachgeführt. In den Sockelgeschossen mit Büronutzung fahren die Elemente von unten nach oben aus, an den Türmen mit Wohnungen hingegen von oben nach unten. Das fällt beim unaufmerksamen Vorbeigehen nicht auf, trägt aber zur differenzierten Wirkung der sonst sehr strengen Fassade bei. Und auch wenn an einem sehr sonnigen Tag die dann größtenteils geschlossenen Elemente das Gebäude wie eine harte und abweisende Metallkiste wirken lassen, kann das System im Inneren mit sanft einfallendem Licht und weitem Ausblick durch die fein perforierten und gewellten Aluminiumbleche überzeugen.

Geklemmt und einbetoniert

Auch andere Bauteile an der metallischen Gebäudehülle haben ihre Besonderheiten, sind beweglich oder erfüllen zusätzliche Funktionen. So war die Montage der unterschiedlich tiefen und verschieden geformten Vordächer eine Herausforderung. Da die tragenden Betonstützen des Hochhauses hocharmiert sind, konnte die Gesamtkonstruktion nicht frei am Rohbau befestigt werden. „Wir mussten gemeinsam mit den Ingenieuren von Walt Galmarini Punkte finden, an denen wir unsere Konstruktion verankern konnten“, erklärt Jan Zaba. Die Fassadenbauer planten daher bereits in der Rohbauphase die für die Verkleidung benötigten Gewindestangen ein. Als zweites Element entwickelten sie eine abgewinkelte Stahleinfassung, ähnlich einer Manschette, die die Betonstützen umschließt und leicht presst. Daran konnten die Vordächer ohne Eingriff an der Stütze montiert werden. Zaba ist studierter Maschinenbauer und das merkt man dem Gebäude an. „Ich verwende einige Verbindungselemente und Konstruktionen, die eigentlich aus dem Maschinenbau stammen“, erklärt der Ingenieur schmunzelnd. „Für unsere Bauaufgaben hat sich vieles aus dieser Branche schon bewährt – wir konstruieren Anlagen mit Lagerrädern, Wellen und Aufzugsmotoren. Uns ist das nicht fremd und es ist sehr nützlich im Fassadenbau.“

Eine Sonderkonstruktion ist ebenso das Dach: In den als Pyramidenstumpf ausgebildeten Gebäudeabschluss wurden an den kürzeren Seiten jeweils Dachbalkone eingefügt. Die langen Dachseiten sind mit Aluminiumblechen verkleidet, die auf hydraulisch aufklappbaren Stahlrahmen liegen.

In der so freigegebenen Gasse kann die Befahranlage um das Gebäude geführt werden, gesteuert wird das Szenario über die Technikzentrale in der Dachspitze.

Wasserspeicher auf Zeit

Technisch gelöst werden musste auch, wie anfallendes Regenwasser von den bis zu 550 mm tiefen Simsen abgeleitet werden konnte. Auch Schnee könnte hier lagern und so Eis entstehen, was beim Herabstürzen eine Gefahr für Passanten wäre. Ein inneres Entwässerungssystem zwischen Rohbau und Hülle war der Schlüssel: Jeder Metallsims enthält einen Sammelkanal, der das Wasser aufnimmt und nach unten abführt. Die Abgabe geschieht über diese Entwässerungsrinnen zeitverzögert, um bei starkem Regen und großen Wassermassen nicht die Durchflussmenge der Kanalisation zu überschreiten. Die Fassade wird zu einem relevanten Zwischenspeicher im Gebäudesystem, und nach einem starken Gewitter läuft das Regenwasser dosiert und innerhalb der vorgeschriebenen Menge ab.

Bei allen genannten Vorteilen bleibt die Frage nach der ökologischen Bilanz. Der Einsatz von Aluminium ist oft heute noch verpönt, weil sowohl die energieaufwendige Gewinnung des Rohstoffs aus Bauxit als auch die giftigen Abfallprodukte nicht unbeachtet werden dürfen. Die Architekten waren sich dessen bewusst und berechneten mit den Fassadenplanern und dem Institut für Bauplanung und Baubetrieb der ETH Zürich (Prof. Holger Wallbaum), welche Mengen Aluminium und Stahl für das Gebäude verwendet würden. Das Material hat für den Bau viele Vorteile, denn es ist leicht, stabil und kann schnell montiert werden. Betrachtet man neben dem
„ersten Leben“ auch dessen Potential auf Wiederverwendung, gewinnt der Baustoff gegenüber Stahl. „Abgesehen vom Verbundsicherheitsglas der Holz-Metall-Fenster könnte man das Gebäude als sortenrein trennbar und die Fassade als komplett zerlegbar bezeichnen“, erklärt Jan Zaba. Ermöglicht hat das die ganzheitliche Betrachtung des Gebäudes über alle Disziplinen hinweg, die hier von Beginn an gelebt wurde. Katinka Corts, Zürich/CH

Baudaten

Objekt: Europaallee, Baufeld G, Zürich/CH

Standort: Lagerstrasse/Gustav-Gull-Platz,
8021 Zürich/CH

Typologie: Wohn- und Geschäftshaus mit
Altersresidenz

Bauherr: SBB AG Immobilien Development Zürich City, www.sbb-immobilien.ch

Nutzer: Private Wohnungseigentümer, Gewerbemieter, Di Gallo Gruppe, Google

Architekt: Planergemeinschaft Baufeld G (Graber Pulver Architekten AG, www.graberpulver.ch / Masswerk Architekten AG, www.masswerk.com

Mitarbeiter (Team): Simon Thurnherr (PL bis 2012, danach Piero Pittalis, Masswerk), Ulrich Felchlin
(stv. PL)

Bauleitung/Totalunternehmer: HRS Real Estate AG, Zürich/CH, www.hrs.ch

Bauzeit: September 2012 – März 2015

Projektdaten

Grundstücksgröße: 4 394 m²  

Nutzfläche gesamt: 36 365 m²

Brutto-Grundfläche: 42 237 m²

Brutto-Rauminhalt: ca. 152 000 m³

Baukosten

BKP 1 – 9: 138 Mio. CHF

Energiebedarf

Heizwärmebedarf Qn: 76 MJ/m2

Fachplaner

Fassadenplaner: Mebatech AG Fassadenplanung, Baden/CH, www.mebatech.ch (bis und inkl. TU-Submission), Atelier P3 AG Glas-/Metallfassadentechnik, Zürich/CH, www.ap3.ch (ab TU-Vergabe; Fachbauleitung)

Tragwerksplaner: Walt + Galmarini AG Bauingenieure, Zürich/CH, www.waltgalmarini.ch

TGA-Planer: Advens AG Gebäudetechnik, Zürich/CH

Lichtplaner: CH – Ingenieure GmbH, Zürich/CH,
www.ch-ingenieure.ch

Akustikplaner: BAKUS Bauphysik & Akustik GmbH, Zürich/CH, www.bakus.ch

Energieplaner: Energiebüro AG, Zürich/CH,

www.energieburo.ch (Photovoltaik), Intep Integrale Planung GmbH, Zürich/CH, www.intep.de (Minergie ECO)

Brandschutzplaner: Gruner AG, Zürich/CH,

www.gruner.ch

Elektroplanung inkl. Gebäudeautomation:

CH – Ingenieure GmbH, Zürich/CH

Beratung Nachhaltigkeit: Institut f. Bau- und Infrastrukturmanagement (Prof. Holger Wallbaum), ETH Zürich/CH, www.ibi.ethz.ch

Bauberatung Flachdach: Schoop Jürg, Baden/CH, www.juerg-schoop.ch

Blitzschutzexperte: Arnold Engineering und Beratung AG, Opfikon/CH, www.arnoldeub.ch

Hersteller

Dach: Rytz AG, Zunzgen/CH, www.rytz.ch

Fenster: Baumgartner AG, Hagendorn, Cham/CH, www.baumgartnerfenster.ch

Fassade: Aepli AG, Gossau SG, www.aepli.ch / MetallPfister, Würenlos/CH, www.metallpfister.ch / MN Metall, Neustadt, www.mn-metall.de / BWB-Altenrhein AG, Altenrhein/CH, www.bwb-group.com / Metra SpA, Brescia/IT, www.metra.it / SAPA Schweiz,
www.sapabuildingsystem.com

Sonnenschutz: Sunplan Metallbau AG, Littau/CH, www.sunplan.ch

Vordächer, Verglasungen, Eingänge: Tuchschmid AG, Frauenfeld/CH, www.tuchschmid.ch / KFG Befahranlagen GmbH, Lauffen/Neckar, www.kfg-befahranlagen.de

Fenster EG: Tuchschmid AG, Frauenfeld/CH,
www.tuchschmid.ch

Flachdach: Tecton AG, Schlieren/CH, www.tecton.ch

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