Die gute Stube
Dreifachkindergarten, Samedan/CH

Drei Kindergärten des Dorfes Samedan/CH sollten zusammengefasst und auf dem Schulgelände im Ortsteil Puoz in einem Neubau untergebracht werden. GREDIG WALSER ARCHITEKTEN planten den eingeschossigen Dreifachkindergarten als logische Ergänzung zum bestehenden Schulcampus und bezogen dabei klassische Bauformen des Engadins mit ein.

Wenige Kilometer nordöstlich von St. Moritz liegt der Ort Samedan. Mit etwas mehr als 3 000 Einwohnern und – dank steigender Geburtenrate – immer mehr Kindern, war es nach der Jahrtausendwende Zeit, das eigene Kindergartenkonzept zu überdenken. Bislang unterhielt die Gemeinde drei Kindergärten an unterschiedlichen Stand­orten, was organisatorische und soziale Probleme mit sich brachte. Provisorien verloren ihren Außenraum, weil in der Umgebung gebaut wurde. Eltern favorisierten Standorte und verschmähten andere. Zudem sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Kindergarten und Schule immer mehr als Einheit gedacht und gelebt werden sollen, um Zusammenarbeit zu fördern und den Übergang in die Schule zu erleichtern. Das Siegerprojekt „Aungialins“ – rätoromanisch für Engelchen – wurde in einem zweistufigen Wettbewerbsverfahren ausgewählt. Die Architekten Gredig und Walser überzeugten die Jury mit einem kompakten Bau, der das Schulgelände nach Nordosten abschließt und gleichzeitig genug Raum für spätere Erweiterungen lässt. Mit dem Neubau sollten nutzungsneutrale Räume mit großer Ausstrahlung geschaffen werden. Pro Kindergruppe war ein Multifunktionsraum mit rund 100 m² gewünscht, zudem ein Mehrzweckraum für Malen und Basteln. Neben den üblichen Neben- und Wirtschaftsräumen gab es noch eine Besonderheit im Raumprogramm: Weil hier drei Kindergärten zusammenkommen, wünschte sich die Leitung auch einen gemeinsamen Gruppenraum, in dem Kleingruppen unterrichtet werden können.

Nach dem Wettbewerbsgewinn diskutierten die Architekten in der Baukommission – mit dem Gemeindepräsident, einer Gemeinderätin, dem Schulleiter, einer Lehrperson aus dem Kindergarten und dem Baufachchef der Gemeinde – Details zum Projekt.

Jedem sein Haus

Im Gegensatz zu Deutschland gehört in der Schweiz der zwei Jahre dauernde Kindergarten bereits zum Schulsystem. Verständlich also, dass die dezentralen Samedaner Kindergärten Mulins, Puoz und Cho d’Punt zusammengefasst und in ein Schulareal integriert werden sollten. Mit dem großen Kindergartenneubau ist die 1966 erbaute und in den 1990er-Jahren um ein weiteres Schulgebäude erweiterte Schulanlage Puoz zu einem vollständigen Schulcampus geworden, mit dem die Kinder von Kindergarten bis Oberstufe verbunden sind. Mit Abstand und leicht versetzt führt der neue Kindergarten die Außenkanten des Unterstufenschulhauses weiter. Den gestreckten eingeschossigen Bau betritt man über den gedeckten Vorplatz an der südwestlichen Stirnseite. Ein langer Korridor führt durch das gesamte Haus und ermöglicht den Austausch zwischen den Gruppen und den Kindergarten-Lehrpersonen, die sich hier genauso wie die Kinder neu zusammenfinden. Die Nebenräume schließen sich linkerhand, die Haupträume des Kindergartens rechts an. Das Haus ist in der Höhe versetzt gebaut, was die Innenräume unterschiedlich wirken lässt. Über den Dachaufbau fällt zusätzlich Tageslicht ein – in die innen liegenden Garderobennischen von Südosten und in den Hauptraum von Nordwesten.

Gemeinschaft und Intimität

Die drei Gruppen im Haus haben jeweils die gleichen Räumlichkeiten zur Verfügung: Die Kinder kommen vom Gang aus zunächst in eine tiefe Garderobenkoje, die mit einer rundumlaufenden massiven Sitzbank aus Holz möbliert ist. Von dort gelangen sie, gleich einer Schleuse, in den großen Hauptraum ihrer Gruppe. Einbauelemente und raumtrennende Möbel helfen, den Raum anzueignen oder den jeweiligen Bedürfnissen der Gruppe anzupassen. So entstehen Spielecken, Lesebereiche oder Großräume. Zwei Gruppenräume verbindet jeweils ein Materialraum, jedem Hauptraum ist zudem ein kleiner Mehrzweckraum zugeordnet. Dieser dient, mit weiß gehaltener Kochnische und Wandverkleidungen aus weiß gestrichenem Fichtenholz, auch als abtrennbares Atelier. Vor dem Gruppenraum befindet sich eine Loggia, die als gedeckter Freiraum den Spielbereich erweitert und zum nach Südosten ausgerichteten Spielgarten überleitet. Hier, am östlichen Rand der Schulanlage, kommen die Kinder aller drei Gruppen im eigenen, intimen Grünraum zusammen und sind un­gestört vom Schulbetrieb. Bei der Aufteilung und Ausrichtung der Außenräume ist der Kindergarten aber auch als Teil der Schulanlage gedacht: Zwei rahmenlos verglaste Sitznischen zwischen den Nebenräumen lassen Licht in den Gang, gleichzeitig kann man hier nach draußen zur Spiel- und Sportwiese der Schule blicken.

Naturbelassene Gemütlichkeit

Räume für Kinder müssen nicht bunt sein. Die Architekten vertrauen bei der Materialisierung auf den Kontrast zwischen kühlen Beton­oberflächen und dem duftenden Arvenholz. Die Arve ist mit ihren wilden Astformen neben der Lärche das typische einheimische Holz im Engadin. Der Einsatz für Wände und Decken in den Haupträumen eines Kindergartens war zunächst ungewohnt, aber die gemütliche Atmosphäre überzeugt heute. Wer schon einmal in einer traditionellen Engadiner Arvenstube saß, der kann erahnen, wie man sich hier fühlt. Im Kontrast dazu steht der Korridor aus Sicht­beton, der an die mit Kalk verputzten Innenwände eines klassischen Engadiner Wohnbaus erinnert. Der weißlich eingefärbte Sichtbeton ist außen und innen hydrophobiert, sonst aber nicht behandelt, auch nicht mit Graffitischutz. Das massive Arvenholz aus Wäldern des Unterengadins, das für die Wand- und Deckengestaltung sowie die Einbaumöbel verwendet wurde, darf hingegen gar nicht behandelt werden:
Lackiert oder ölt man das Holz, kann der typische Arvenduft nicht austreten. Statt das Holz zu konservieren, wird es natürlich altern, bis es ganz dunkel ist. „Auf den ersten Bildern nach der Fertigstellung war das frisch geschnittene und geschliffene Holz noch sehr hell“, erläutert Joos Gredig. Mit den Jahrzehnten wird es sich den dunklen Astaugen anpassen. „Ich finde, das gehört auch zu einem Bau: dass er altern kann und seine Zeit zeigen darf.“ Das Resultat sind schlichte Räume, die Geborgenheit ausstrahlen und die von den Kindern erobert werden können. An den Wänden haben Bilder und Basteleien Platz, in vielen kleinen Nischen können in Kistchen kleine Schätze gelagert werden, die Sockel und Leisten laden zum Autorennen ein. „Der Raum trägt zum Wohlbefinden bei. Den Rest überlassen wir den Kindern“, meint Gredig.

Raum für Weiterentwicklung

Ursprünglich sollte das frühere Kindergartengebäude auf dem Schulareal Puoz zu Mensa, Bibliothek und Lernzimmern umgebaut werden. Das wird nicht mehr umgesetzt, der Bedarf der Schule hat sich verändert. Auch der neue Kindergarten ist für Veränderungen gerüs-tet: Sollte die Schule zukünftig eine Basisstufe einrichten wollen – diese verbindet den Kindergarten und das erste und zweite Schuljahr der Grundschule –, können die Gruppenräume bestuhlt und als Klassenzimmer genutzt werden. Eine Flexibilität, die einem kleinen Ort wie Samedan gut tut. Katinka Corts-Münzner, Zürich/CH

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