Den Punkt finden, der einen weiterbringt
Die Ingenieure J. Knippers und T. Helbig


In zehn Jahren planten sie mehr als sechzig Projekte in Europa, Nordamerika, Asien und Afrika. Mehrmals haben die Ingenieure in dieser Zeit ihre Kernthemen weiterentwickelt und bewegen sich nun in einem der Zukunftsfelder der Bautechnik, die computergestützte Berechnung von filigranen, oft frei geformten Tragwerken aus neuen Materialien und teilweise beweglichen Bauteilen.

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Signatur: 10 years, 2001-2011, weiter links Knippers Helbig Advanced Engineering. Die Tragwerksplaner Jan Knippers und Thorsten Helbig feiern in Stuttgart ihr zehnjähriges
Bürojubiläum, zusammen mit rund 30 Mitarbeitern. In zehn Jahren planten sie mehr als sechzig Projekte in Europa, Nordamerika, Asien und Afrika. Mehrmals haben die Ingenieure in dieser Zeit ihre Kernthemen weiterentwickelt und bewegen sich nun in einem der Zukunftsfelder der Bautechnik, die computergestützte Berechnung von filigranen, oft frei geformten Tragwerken aus neuen Materialien und teilweise beweglichen Bauteilen.  Es gibt auch beim Bauen Technologien, die zwar noch am Anfang stehend dennoch eine Vorstellung von dem geben, was in Zukunft möglich sein wird, hauchdünne PV-Laminierungen zum Beispiel, extrem veredelte Oberflächen, vernetzte Gebäudeinformationssysteme oder sensitiv reagierende, elastische Bauteile. Letztere erforschen Knippers und Helbig gerade mit einem Bauwerk in Südkorea und bewegen sich damit zwischen den Disziplinen Informatik, Materialforschung, Architektur und Tragwerksplanung. Doch von vorne:
Thorsten Helbig wuchs in Nordhausen in der DDR auf, absolvierte in Erfurt eine Bauhandwerkerlehre. Zum Studieren zog es ihn in den Westen des wiedervereinten Landes, an die FH Bielefeld, wo er konstruktiven Ingenieurbau studierte. Auf dem kleinen Campus lernte er die für das Büro typische interdisziplinäre Denkweise, wie er erklärt: „Ich habe neben meinem Ingenieurstudium schon früh  Kurse in den Architekturfächern belegt. Daher habe ich die häufig beklagte Trennung zwischen Architekten und Ingenieuren gar nicht erlebt.“ Jan Knippers wurde in Düsseldorf geboren und ging zum Studium in die andere Richtung gen Osten an die TU Berlin zum Ingenieurstudium. Nach dem Studium promovierte er, prägend ist bis heute das Thema der Arbeit: computergestützte Berechnungsverfahren. 1994 lernten sich Thorsten Helbig und Jan Knippers schließlich im Büro Schlaich Bergermann und Partner in Stuttgart kennen. „Zwei von Außen in dieser recht regional verhafteten Stuttgarter Bauwelt,“ beschreibt Knippers die erste Gemeinsamkeit, eine Basis erst für eine Freundschaft, dann 2001 für eine Büropartnerschaft.

Den Anfang machten vor allem kleinere Projekte und Wettbewerbe, einige davon in der Region Stuttgart – Büro- und Geschäftsbauten, Schulbauten, Fußgängerbrücken. Schon 2002 bekamen sie den Auftrag für die Tragwerksplanung eines komplexeren Bauwerks: Das Peek und Cloppenburg Kaufhaus in Köln von Renzo Piano. Mit viel Gespür für Gestaltung und Proportionen entwarfen sie eine hohe Holzkonstruktion für die frei geformte Hülle des fünfgeschossigen Gebäudes. Um die Standsicherheit der Konstruktion auch im Brandfall  zu garantieren, dabei aber dennoch ein filigranes, lichtes Tragwerk zu haben, entwickelten sie ein Schalensystem aus schmalen Holzlamellenbindern, Stahlrohren und -seilen.  Ihr Interesse an der Fügung des einzelnen Bauteils in eine flächige Tragkonstruktion, wie sie sich hier darstellt, begleitet sie, es wird eines ihrer Kernthemen.


Interdisziplinäres Arbeiten

Ebenfalls 2002 begannen gemeinsam mit Stefan Behnisch Architekten die Planungen für das Biomolekularzentrum in Toronto.  Das Ausland war für Knippers und Helbig ein Sprungbrett auch für heimische Bauaufträge. Knippers stellt fest:„Für junge Büros in Deutsch­land ist der Anfang extrem schwierig. Es besteht ja meist die Teilnahmekriterien eines VOF-Verfahrens nicht, erhält also gar keine Chance, sich zu beweisen.“ Ganz anders im Ausland, in den USA, in Asien und im arabischen Raum, wo die Planer schnell nach Bürogründung bei großen Projekten mitarbeiten. Helbig sagt: „German Engineering ist gefragt, wir sind derzeit auf einem sehr hohen Standard im internationalen Vergleich. Das wissen internationale Bauherren zu schätzen.“ Dazu kommen die Schnelligkeit und oft ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis vor allem chinesischer Bauherren, die auch junge Büros schnell an ungewöhnliche Bauaufgaben heranführen – die Chance um Neues auszuprobieren, an die Grenzen des Mach­baren zu gehen, auch für die Stuttgarter.

Während in Deutschland Prüfingenieure und Hochbauämter die Abweichungen der DIN-Norm gründlich und meist langwierig prüfen, rast China voran.  Helbig sagt: „Man hält in Deutschland stärker als im Ausland an den Baunormen fest. Das sichert einerseits die Bauqualität, aber gleichzeitig bremst es Innovationen. Für uns ist die Norm jedoch lediglich die Grundlage, eine Führungslinie, von der wir weiterarbeiten.“ 

So begannen ab 2006, nur wenige Monate nach Fertigstellung des Kölner Kaufhausprojektes, die Planungen für die Überdachung der Eingangsachse auf der Expo 2010 in Shanghai: Ein 65 000 m² großes Membrandach aus einem PTFE-Glasfasergewebe überspannt die volle Breite des 100 m weiten Expoeingangs. Die ganze Achse ist rund ein Kilometer lang, sechs stählern-gläserne Trichter ragen 45 m hoch und 80 m weit aus dem Membrandach. Es sind freie Stabtragwerke mit einer Glashülle, die Tageslicht auf die Fläche leitet. Das Besondere der Konstruktion ist aber, dass sie nicht nur das Gewicht ihrer eigenen mächtigen Ausmaße trägt, sondern zusätzlich mittig die enorme Zuglast der Membranen aufnimmt, dabei aber recht leicht wirkt.  „Was die chinesischen Bauherren aber vor allem beeindruckte, war die gleichmäßige und filigrane Netzstruktur der trichterförmigen Stahl-Glas-Konstruktion,“ erzählt Knippers. Wie bei anderen Projekten, zum Beispiel der Einkaufspassage MyZeil in Frankfurt am Main, teilten die Planer die Fläche in Dreiecke, um eine statisch sinnvolle, gestalterisch flexible und elegante Form zu erhalten. Das Projekt Expo-Dach zeigt eine Weiterentwicklung filigraner Flächentragwerke wie Buckminster Fuller sie realisierte und extrem belastbarer, weit spannender Membrandächer, wie Frei Otto sie in München baute. Das konstruktive Hauptinteresse von Knippers und Helbig dabei ist nicht die Form an sich, sondern deren Überführung in eine leichte und effiziente Struktur.

Die Bauerfahrung aus dem Ausland tragen die beiden Ingenieure wieder Stück für Stück nach Deutschland, dank ausländischer Referenzen erhielten sie auch hier größere Bauaufgaben. Vor allem aber die Unternehmen schätzen die Denkweise jenseits der DIN-Norm, und so arbeiten Knippers und Helbig eng als beratende Ingenieure mit den Entwicklungsabteilungen besonders von
Fassadenfirmen zusammen. Mit der Firma Seele z.B. entwick­elten sie ab 2005 für ein Westfield-Einkaufszentrum in London eine stählerne  Dachkonstruktion mit besonderem Knotenpunkt, der als serielles Bauteil entscheidend die Gestalt des Tragwerkes prägt: In seiner Mitte nimmt ein Stahlkern mit einem hexagonalen Knoten gleichmäßig die Last von sechs Stahlträgern auf.  Auch das ist ein wiederkehrendes Thema des Büros, das sich logisch aus der Untersuchung von Flächentragwerken ergibt: der Knotenpunkt als wichtiges statisches und gestalterisches Element vor allem in ungerichteten, flächigen oder Material gemischten Trag­werken.

Im Gespräch belegen sie ihre Ideen mit Details aus dem Entwurfsprozess, statt von Kilonewton sprechen sie lieber von Konzepten der neu entwickelten Bauteile, von der Knoten-, Form- und Materialfindung, sie zeigen Modelle und 3D-Visualisierungen. Und immer wieder der prüfende Blick zum Gesprächspartner. Ist für ihn klar, welche Möglichkeiten jede Neuentwicklung mit sich bringt? So forschen sie zum Beispiel an glasfaserverstärktem Kunststoff und beschichteten und gebogenen Gläsern, die freie Formen oder extrem dünne und belastbare Flächen ermöglichen. Seit 2000 ist Jan Knippers Professor für Konstruktives Entwerfen am Fachbereich Architektur an der Uni Stuttgart. „Nach meiner Promotion zog es mich in Praxis – endlich bauen. Jetzt interessieren mich wieder mehr die Forschung und Entwicklung in der Tragwerksplanung.“  Die Ergebnisse aus Uni und Büro beeinflussen sich gegenseitig, die Kernthemen entwickeln sich Stück für Stück, Phase für Phase. Eine festgezurrte Entwicklungsstrategie verfolgen sie nicht, wie Helbig sagt: „Die Themen und Frag­stellungen entwickeln sich erst im Projekt, beim Prozess, da sind wir offen und suchen den Punkt, der uns weiterbringt.“ Seit den 2000er Jahren nehmen komplexe, frei geformte Architekturkubaturen zu, auch weil der digitale Entwurfsprozess diese Formen fördert. Flächentragwerke sind die Anwort der Tragwerksplaner auf diese Kubaturen. Helbig erklärt:„Wir haben eine ganze Zeit mit dem Dreieck als Grundform für ein Flächentragwerk experimentiert.“ Das Dreieck erwies sich als die einfachste und variabelste Form für freie geformte Flächen und fand immer häufiger Anwendung. „Doch die Möglichkeiten sind begrenzt, zwischen Entwurf und Umsetzung geht meist die Geometrieentwicklung verloren.“ Die gekrümmte Fläche wird zu einem Puzzle aus gradlinigen, seriell gefertigten Bauteilen, aus der Kugel wird ein Vieleck. Daher experimentieren Knippers und Helbig seit einigen Jahren an einer computergesteuerten Berechnung der einzelnen Bauelemente vor allem in freien Formen. Knippers sagt: „Bei der Produktion der Bauteile sind wir nicht mehr auf die Serie angewiesen, auch individuelle Bauteile lassen sich , dank CNC, ohne extreme Mehrkosten herstellen. Aber dafür fehlte einfach ein Planungstools, die die Schnittstellen, vom Entwurf bis zur Umsetzung und zwischen allen Baubeteiligten individuell generieren.“ Also programmieren sie eine Software,  die den gesamten Planungsprozess  vom Entwurf bis zur Produktion der Bauteile begleitet und mit deren Hilfe jede Veränderung in der Entwurfs- und Ausführungsplanung direkt auf das Bauwerk im Gesamten übertragen wird. „Wir sind auf dem Weg zur homogen gekrümmten Fläche. Mit der Software schaffen wir es, Prozesse zu steuern und Ideen und Informationen ohne Verluste bis in die Umsetzung zu übertragen,“ sagt Knippers; die Tragwerksplanung auch als informatische und nicht mehr als rein statische Aufgabe. Im nächsten Schritt wollen die Planer aber mehr: „Wir wollen die Geometrie weiter entwickeln und mit den Funktionen des Gebäudes, zum Beispiel mit den energetischen Anforderungen, koppeln.“ Form follows Function, ein alter Gedanke, aber mit der computerbasierten Berechnung der Formen und Tragwerke und mit neuen Materialeigenschaften sind andere Funktionen und Formen möglich. Homogenere Flächen und Krümmungen lassen sie nun für Tragwerke, Flächen und Volumen berechnen und, wichtiger noch, baulich umsetzen.

So enstand z.B. der Flughafen in Shenzhen/China. Der Architekt M. Fuksas plante für die Kubatur des Gebäudes eine flache Röhre, deren Seitenarme amorph mit der Hauptachse verwachsen sind. Die Planer entwarfen dafür ein frei geformtes Raumfachwerk aus 540 000 Stahlstäben. Der Clou: Die Hülle besteht aus gefalteten Aluminiumbändern,  zwischen denen jeweils unter­schiedlich große Glasöffnungen das Tageslicht und den solaren Energieeintrag optimieren. Berechnet wurde die gesamte Struktur anhand einer von den Planern entwickelten Software, die unter anderem die Lichteinflüsse auf das Gebäude simuliert, die punktuell Kenndaten und die Paneelgrößen dazu errechnet.

Ein anderes Projekt, wie eingangs erwähnt, geht weiter: Die Ingenieure entwickelten ein „atmendes“ Gebäude. Für die Expo 2012 in Yeosu Südkorea ensteht ein amorph geformtes Bauwerk, dessen Hülle aus beweglichen Lamellen besteht und sich an die jeweiligen Klimabedingungen anpasst. Ideengeber waren die Kiemen eines Fisches. Die Planer untersuchten die reversible Verformbarkeit und Belastbarkeit von glasfaserverstärktem Kunst­stoff, berechneten das Verformungsverhalten  der Lamellen, die dafür notwendige Einspannung der Lamellenenden und den Kraftaufwand durch einen Motor. Ein Prototyp ist bereits erstellt, ab 2012 wird das Projekt den Ruf des Büros als Spezialist für frei geformte Trag­werke und amöbenhafte Kubaturen stärken.

Gibt es eine zunehmende Spezialisierung auf freie Formen?  „Wir können auch gradlinig, gar keine Frage,“ betont Knippers. Für die Ingenieure steht nicht die Form im Vordergrund, sondern die Herangehensweise an einen Entwurf, das Zusammenbinden von Architektur und Tragwerk. Da sehen sie sich in der Tradition der deutschen Ingenieure Jörg Schlaich und Fritz Leonhardt. Als entwerfende und forschende Ingenieure gestalten sie den Entwurfsprozess in Teamarbeit mit allen Fachplaner und Architekten, alte Rivalitäten – für Knippers und Helbig sind diese lange überholt, wie Helbig betont: „Es geht nicht darum, wer eine Idee gemacht hat und wer sich dann durchsetzt. Die Idee entsteht meist aus einer gemeinsamen Entwicklung entlang der Bauaufgabe. Wir sind auch keine Alles-Möglich-Macher.“

Und was kommt als nächstes? „Wir planen nicht, wohin es geht, aber es gibt Themen, die uns besonders reizen, die Elastizität des Werkstoffes zum Beispiel,“ sagt Knippers.  Bei so viel Interdisziplinarität fragt man sich, wie all die Umbrüche im Bauprozess durch veränderte Planungs- und Produktionsver­fah­ren, durch neue Materialien und veränderte Konstruktionprinzipien überhaupt zu meistern sind. Wie kann ein Ingenieur eigentlich all das noch leisten? Bei dieser Frage schauen Knippers und Helbig etwas verwundert: „Wir sind natürlich ein interdisziplinäres Team.“ Und diesem gratuliert die DBZ zum Zehnjährigen.

Rosa Grewe, Darmstadt

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