„Transparenz und Form“
In der Architektur ist es mal eine technische Entwicklung, die neue
ästhetische Möglichkeiten eröffnet, und dann wieder eine Gestaltungs-
absicht, die nach neuen technischen Lösungen verlangt. Dieses Wechselspiel wird an der Entwicklung des Werkstoffes Glas besonders deutlich.
Als in den 1980er Jahren die Ästhetik der Konstruktion und damit Leichtigkeit und Transparenz zu Leitbildern der Architektur wurden, hat dies eine Fülle von technischen Entwicklungen im konstruktiven Glasbau angestoßen. Es wurden Punkt- und Klemmhalter, hinterspannte Seilfassaden und geklebte Ganzglaskonstruktionen entwickelt, bis dieses Thema einen Höhepunkt in der Architektur erreicht hat. Deutsche Ingenieure aber mehr noch deutsche Firmen spielen dabei bis heute eine führende Rolle.
Darauf hin lag der Schwerpunkt der Entwicklung in der funktionalen und damit vor allem energetischen Ertüchtigung der Verglasung. Nachdem die passiven energetischen Eigenschaften zunächst mit verschiedenen Beschichtungen und Zwischenschichten ständig verbessert wurden, wird die Verglasung jetzt zunehmend zu einem aktiven Element, das nicht nur die thermische Hülle eines Gebäudes bildet, sondern auch weitere Funktionen übernimmt. So werden LEDs mit unsichtbaren Leiterbahnen in den Glasverbund laminiert und lassen Fassaden nachts leuchten. Bedeutender ist die Integration von Photovoltaik. Der Sonne zugewandte Fassadenflächen, die verschattet werden müssen, bieten ein großes Potential zur Energieerzeugung. Inzwischen können Dünnschichtmodule in verschiedenen Transparenzgraden, Mustern und Farben appliziert werden. Die Technik hat dabei einen Entwicklungsstand erreicht, der von der Architektur derzeit noch kaum genutzt wird. Jetzt geht es also erstmal darum, die architektonischen Möglichkeiten der aktiven Solarenergienutzung durch die Fassade zu erkunden. Dabei können die auf den Dächern installierten Photovoltaikanlagen in ihrer ästhetischen Qualität kaum als Vorbild dienen.
Im Augenblick wendet sich die Entwicklung einem anderen Thema zu, das vor allem durch neue ästhetische Vorstellungen angestoßen wird. Die Möglichkeiten der digitalen Planung und Fertigung führen zu immer komplexeren Gebäudeformen. Der Werkstoff Glas kann diesen Schritt noch nicht nachvollziehen. Verglaste Hüllen frei geformter Gebäude werden derzeit aus wirtschaftlicher Notwendigkeit immer noch in dreieckige oder viereckige ebene Scheiben aufgelöst. Die architektonische Vision einer elegant geformten Gebäudehülle bleibt dabei oft auf der Strecke. Industrie und Forschung beschäftigen sich daher verstärkt mit dem Thema der Glasverformung. Dabei konkurrieren derzeit zwei Verfahren: einmal das Warmbiegen, bei dem das Glas in einen zähflüssigen Zustand erhitzt und anschließend verformt wird. Hierbei sind zwar komplexe Geometrien, aber nur beschränkte Glasqualitäten möglich. Oder im Gegensatz hierzu das Kaltverformen, bei dem mehrere dünne Scheiben kalt gebogen, dann über Folien miteinander verklebt und so in eine gekrümmte Geometrie gezwungen werden. Dies ermöglicht wiederum hochwertige Oberflächen, aber leider nur beschränkte Krümmungsradien.
Derzeit geht es darum, die Möglichkeiten der Glasverformung zu erkunden, zu erweitern und in die Architektur einzuführen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung wirtschaftlicher Produktionsverfahren. In dieser Richtung werden wir in den nächsten Jahren viele spannende Entwicklungen sehen, die der Architektur neue Möglichkeiten eröffnen. Ingenieure spielen dabei als Bindeglied zwischen Industrie und Architektur eine Schlüsselrolle.