„Transparenz und Form“

Jan Knippers und Thorsten Helbig zum Thema „Glas“

In der Architektur ist es mal eine technische Entwicklung, die neue
ästhetische Möglichkeiten eröffnet, und dann wieder eine Gestaltungs-­­
absicht, die nach neuen technischen Lösungen verlangt. Dieses Wech­selspiel wird an der Entwicklung des Werkstoffes Glas besonders deutlich.

Als in den 1980er Jahren die Ästhetik der Konstruktion und damit Leichtigkeit und Transparenz zu Leitbildern der Architektur wurden, hat dies eine Fülle von technischen Entwicklungen im konstruktiven Glasbau angestoßen. Es wurden Punkt- und Klemmhalter, hinterspannte Seilfassaden und geklebte Ganzglaskonstruktionen entwickelt, bis dieses Thema einen Höhepunkt in der Architektur erreicht hat. Deutsche Ingenieure aber mehr noch deutsche Firmen spielen dabei bis heute eine führende Rolle.

Darauf hin lag der Schwerpunkt der Entwicklung in der funktionalen und damit vor allem energetischen Ertüchtigung der Verglasung. Nach­dem die passiven energetischen Eigenschaften zunächst mit verschie­denen Beschichtungen und Zwischenschichten ständig verbessert wurden, wird die Verglasung jetzt zunehmend zu einem aktiven Element, das nicht nur die thermische Hülle eines Gebäudes bildet, sondern auch weitere Funktionen übernimmt. So werden LEDs mit unsichtbaren Leiterbahnen in den Glasverbund laminiert und lassen Fassaden nachts leuchten. Bedeutender ist die Integration von Photovoltaik. Der Sonne zugewandte Fassadenflächen, die verschattet werden müssen, bieten ein großes Potential zur Energieerzeugung. Inzwischen können Dünnschichtmodule in verschiedenen Transparenzgraden, Mustern und Farben appliziert werden. Die Technik hat dabei einen Entwicklungsstand erreicht, der von der Architektur derzeit noch kaum genutzt wird. Jetzt geht es also erstmal darum, die architektonischen Möglichkeiten der aktiven Solarenergienutzung durch die Fassade zu erkunden. Dabei können die auf den Dächern installierten Photovoltaikanlagen in ihrer ästhetischen Qualität kaum als Vorbild dienen.

Im Augenblick wendet sich die Entwicklung einem anderen Thema zu, das vor allem durch neue ästhetische Vorstellungen angestoßen wird. Die Möglichkeiten der digitalen Planung und Fertigung führen zu immer komplexeren Gebäudeformen. Der Werkstoff Glas kann diesen Schritt noch nicht nachvollziehen. Verglaste Hüllen frei geformter Gebäude werden derzeit aus wirtschaftlicher Notwendigkeit immer noch in dreieckige oder viereckige ebene Scheiben aufgelöst. Die architektonische Vision einer elegant geformten Gebäudehülle bleibt dabei oft auf der Strecke. Industrie und Forschung beschäftigen sich daher verstärkt mit dem Thema der Glasverformung. Dabei konkurrieren derzeit zwei Verfahren: einmal das Warmbiegen, bei dem das Glas in einen zähflüssigen Zustand erhitzt und anschließend verformt wird. Hierbei sind zwar komplexe Geometrien, aber nur beschränkte Glasqualitäten möglich. Oder im Gegensatz hierzu das Kalt­verformen, bei dem mehrere dünne Scheiben kalt gebogen, dann über Folien miteinander verklebt und so in eine gekrümmte Geometrie gezwungen werden. Dies ermöglicht wiederum hochwertige Ober­flächen, aber leider nur beschränkte Krümmungsradien.

Derzeit geht es darum, die Möglichkeiten der Glasverformung zu erkunden, zu erweitern und in die Architektur einzuführen. Ein Schwer­punkt liegt dabei auf der Entwicklung wirtschaftlicher Produktionsverfahren. In dieser Richtung werden wir in den nächsten Jahren viele spannende Entwicklungen sehen, die der Architektur neue Möglichkeiten eröffnen. Ingenieure spielen dabei als Bindeglied zwischen Industrie und Architektur eine Schlüsselrolle.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 05/2014

„Engineering transparency“ Stephan Engelsmann und Stefan Peters zum Thema „Glas“

Glas ist ein Hochleistungswerkstoff mit bemerkenswerten Eigenschaften. Hervorstechendes Merkmal ist seine Transparenz. Das natürliche Einsatzgebiet des Glases im Bauwesen ist aus diesem Grund die...

mehr
Ausgabe 07/2013

Photovoltaik für zeitgemäße Architektur

Ertex Solar bemüht sich mit Spezialisten aus der Architekturbranche und Experten aus dem Glas- und PV-Bereich um das Erscheinungsbild von PV-Modulen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Module auf...

mehr
Ausgabe 10/2018

Decor-Glas

Decorglas SGG VisioSun Diamant

Auf extra-weißem Glas produziert Saint-Gobain Building Glass Europe das Decorglass SGG VisioSun Diamant. Die Neuentwicklung aus dem Gussglaswerk in Mannheim ist eine Reaktion auf die steigende...

mehr
Ausgabe 7/8/2018 DBZ Fachroum Fassade / Gebäudehülle

DBZ Fachforum Fassade/Gebäudehülle ­– Technische, ästhetische und nachhaltige Lösungen

Der Veranstaltungsort, der Malkasten in D?sseldorf. Wundersch?ne Architektur aus den 1950-ger Jahren hier das Treppenauge

Das DBZ Fachforum Fassade/Gebäudehülle ist ein sehr erfolgreiches Veranstaltungsformat und stellt eine praxisorientierte Wissens- und Dialogplattform dar. Dabei ist es der DBZ Redaktion wichtig,...

mehr
Ausgabe 07/2017 DBZ Fachforum Fassade

Technisch/konstruktive, ästhetische und nachhaltige Lösungen

Das DBZ Fachforum Fassade ist ein sehr erfolgreiches Veranstaltungsformat und stellt eine praxisorientierte Wissens- und Dialogplattform dar. Dabei ist es der DBZ Redaktion wichtig, dass Vertreter aus...

mehr