Das LichtAktivHaus-Konzept
Ein innovatives Energiekonzept für ein traditionelles Siedlerhaus


Mit einem ausgefeilten Energie-, Tageslicht- und Klimatisierungskonzept wurde in Hamburg-Wilhelmsburg ein Bestandsbau so modernisiert, dass sich höchster Wohnwert und optimale Nutzung erneuerbarer Energie vereinen. Das am 19. November 2010 eröffnete „LichtAktiv Haus“ ist Teil des europaweiten Experiments Model Home 2020, in dessen Rahmen der Dachfensterhersteller Velux sechs Konzepthäuser auf der Suche nach dem Bauen und Wohnen der Zukunft umsetzt.

Die Ausgangssituation in Hamburg war die unsanierte Doppelhaushälfte eines Siedlerhauses aus den 1950er Jahren mit einer Grundfläche von 8 x 8 m und einem kleinem Anbau. Die kleinen Räume wurden von insgesamt nur 18 m² Fensterflächen mit einer eher dürftigen Tageslichtausbeute versorgt. Bedingungen also, die gemeinsam mit der veralteten Dämm- und Heizungstechnik nicht mehr den heutigen Wohnbedürfnissen genügen. Der  1 110 m²  Garten ermöglichte früher den Anbau von Obst und Gemüse, das Nebengelass diente als Stallgebäude. Inspiriert durch diese Tradition der Selbstversorgung entstand in Zusammenarbeit von Velux und einem Expertenteam um Professor Manfred Hegger, TU Darmstadt, im Rahmen eines integralen Planungsprozesses ein Projekt, das die Idee der Energie-Autarkie zukunftsweisend in den Mittelpunkt stellt. Das Wohngebäude sollte weitgehend  erhalten, aber modernisiert werden. Ein Erweiterungsbau statt des alten Anbaus erzielte deutliche Wohn- und Nutzflächengewinne und eröffnete weitere Perspektiven für das Energiekonzept.

Das Energiekonzept

Das Energiekonzept des LichtAktiv Hauses verfolgt das Ziel, CO2-Neutralität im Betrieb zu realisieren. Die in dem Gebäude benötigte Energie (inkl. Haushaltsstrom) wird vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt, ohne dass auf eine attraktive Architektur mit hohem Wohnwert, Behaglichkeit, reichlich Tageslicht und frischer Luft verzichtet werden muss. Die Grundlage des Energiekonzepts bildet neben der intelligenten Architektur und ausgefeilten Gebäudetechnik die energetische Ertüchtigung des Bestandsgebäudes.

Hohe Tageslichtausbeute bei optimalen solaren Energiegewinnen

Architektonisches Ziel war es, die Auswahl und Platzierung der Fenster in die Ideen des Energiekonzeptes zu einzubinden. Neben der optimierten Wärmedämmung bieten daher insbesondere die Dachfenster durch ihren hohen Anteil an der Gesamtfensterfläche ­neben solaren Energiegewinnen ein bemerkenswertes Energie-Einsparpotential. Die Fenster schaffen durch Größe, Position und Beschaffenheit genau die benötigte Balance zwischen erforderlicher Wärmedämmung (U-Wert) und Nutzung passiver Wärmegewinne (g-Wert), um den Energiebedarf des LichtAktiv Hauses zu minimieren. Hinzu kommt die gute Tageslichtausbeute, die durch die Reduzierung von elektrisch erzeugtem Kunstlicht weitere Einsparmöglichkeiten freisetzt.

Autarke Energieversorgung intelligent gesteuert

Für die autarke, nachhaltige und ganzjährige Energieversorgung sorgt als Herzstück der Gebäudetechnik die Solar Compleet-Anlage, die Solarthermie mit einer Luft-/Wasser-Wärmepumpe (Jahresarbeitszahl 3,7) kombiniert und den größten Teil des Bedarfs an Heizwärme und Warmwasser deckt. Die Wärmepumpe mit Solareinbindung nutzt sowohl die Sonne als auch die Umweltwärme aus der Luft zur Energiegewinnung. Ein Ventilator saugt die Außenluft an und leitet sie durch eine Außeneinheit. Die Wärme wird dort an die Wärmepumpe abgegeben und anschließend dem ­Heizungssystem zugeführt. Der Energieertrag der integrierten 22,5 m² großen, solar  thermischen Anlage wird direkt an die Wärmepumpe weitergegeben, wodurch keine Übertragungsverluste entstehen. Weil die Wärmepumpe unmittelbar in den Solarkreis eingebunden ist, erhöht sich der Wirkungsgrad um 25 % (Jahressystemarbeitszeit 4,94) im Vergleich zu einer Anlage ohne Solarthermieanbindung. Eine Besonderheit des Solar Compleet-Systems: Die Wärmepumpe heizt im Heizbetrieb nicht erst auf den Puffer, sondern fährt direkt in die Heizkreise. So werden Abstrahlverluste durch den Speicher vermieden und der Energieaufwand ist niedriger als bei der Pufferung in einem Speicher. Lediglich  der erzeugte Wärmeüberschuss wird in einem  Speicher eingelagert.

Die Wohnräume werden über eine Fußbodenheizung temperiert. Die benötigte Restmenge an Energie für Haushaltsstrom, Beleuchtung und den Hilfsstrom für die Wärmepumpe  beträgt nur noch etwa ein Drittel des gesamten Energiebedarfs. Dem stehen in gleichem Umfang Energiegewinne durch Photovoltaik-Elemente auf dem Dach zur Verfügung.

Dem Farbkonzept des Gebäudes entsprechend  wurden graue polykristalline Photovoltaikzellen gewählt. Die Glas-Glas-PV-Module haben eine Fläche von ca. 75 m² und nutzen damit die gesamte verfügbare Dachfläche des Neubaus aus. Die  reine Modulfläche beträgt ca. 58 m². Sowohl der Heizenergie- und Wärmebedarf als auch der Strombedarf in Höhe von zusammen 108,5 kWh/m² im Jahr werden durch die eigenen Erzeugungsanlagen der kombinierten  Solar-Luft-/Wasser-Wärmepumpe sowie durch  Photovoltaik mit einer Ausbeute von insgesamt 108,6 kWh/m² im Jahr ausgeglichen. Alle verursachten CO2-Emissionen werden durch die regenerative Energieerzeugung vollständig neutralisiert.

Natürliches Klimatisieren statt Klimaanlage

Dem Nachhaltigkeitsanspruch des Energiekonzepts verpflichtet sind auch die Lösungen für die Be- und Entlüftung des Gebäudes. Um den aufwändigen nachträglichen Einbau von Lüftungsschächten zu vermeiden, wurde der notwendige Mindestluftwechsel über  automatische Dach- und Fassadenfenster realisiert. In dem aus energetischen Gründen luftdichten Gebäude öffnen und schließen je nach Temperatur, CO2-Konzentration und Luftfeuchtigkeit die Fenster automatisch, so dass ein gesundes und behagliches Raumklima gesichert ist. Wobei kein Gerät, sondern die Natur selbst durch den Winddruck auf Gebäude und Fenster sowie durch die Temperaturunterschiede zwischen Innen und Außen für eine gute Frischluftzufuhr sorgt. Mit unterschiedlich hoch eingebauten Fenstern wird zusätzlich ein Kamineffekt erzeugt, der  die natürliche Belüftung  unterstützt. Durch das intelligente Zusammenspiel von temperatur- und lichtabhängig gesteuerten Rollläden und Sonnenschutzelementen mit den Fenstern wirkt das System wie eine natürliche Klimaanlage.

Energetische Ertüchtigung des Bestandsgebäudes

Ein weiterer zentraler Bestandteil des Energiekonzepts war die Wärmedämmung des Altbaus nach modernsten Erkenntnissen. Aufgrund der niedrigen Geschosshöhe und der fehlenden Unterkellerung wurde auf der vorhandenen Betonsohle oberseitig eine Polyurethandämmung verlegt und darauf das Fußbodenheizungssystem angeordnet. Eine 200 mm dicke mineralische Dämmung aus Steinwolle sorgt für die energetische Optimierung der Fassade. Die Sparren des neuen Kehlbalkendachs mit einer Höhe von 220 mm wurden vollständig ausgedämmt. Die Stärke  der außenseitig angeordneten Holzfaserdämmstoffplatten beträgt 35 mm. Aus der Geometrie und den weiteren Randbedingungen (u.a. Luftdichtheit mit n50 = 1,0/h und optimierte Wärmebrücken mit  ∆  UWB = ­0,05 W/m²K) ergab sich ein Primärenergiebedarf nach EnEV von 42,28 kWh/m²a für das Gesamtgebäude. Der Wert entspricht einem Drittel (34,5 %) des für das EnEV-Referenzgebäude zulässigen Energiebedarfs.

Die dem energetischen Ziel verpflichtete, aber dennoch anspruchsvolle Architektur schafft völlig neue Aufenthalts- und Verkehrsflächen. Es entstand ein offenes Treppenhaus als so genannte Tageslichtlampe, das mit großflächigen Dachfenstern den gesamten Raum vom Erdgeschoss bis zum Dach mit natürlichem Licht versorgt, Tageszeiten erlebbar macht und Energie für künstliche Beleuchtung einspart. Die geschickt angeordnete Treppe behindert den Lichteinfall nicht und unterstützt in ihrer Farbgebung die Lichtausbeute. Ein Geländer aus weißem Stahlrohr und gespannten Stahlseilen schafft größtmögliche Transparenz und Helligkeit. Der Treppenbereich, früher schmuckloses Stiefkind des Gebäudes, wurde mit seiner fast 5 m langen Fensterfront zum Garten hin so umgestaltet, dass er nicht nur den ungestörten Blick ins Freie, sondern auch bei jedem Wetter eine enge Beziehung zur Natur ermöglicht.

Im Erdgeschoss befinden sich zwei Kinderzimmer und ein Bad. Das (Eltern-)Schlafzimmer, ein Ankleideraum und noch ein Bad wurden im Obergeschoss eingerichtet. Der ehemals dunkle Spitzboden verwandelte sich dank großzügiger Dachfenster in einen zusätzlichen Wohnraum. Insgesamt erhöhte  sich die Grundfläche von unter 100 auf 132 m²,  die Fensterfläche des Gebäudes wurde dagegen von 18 auf 36 m² vergrößert.

Der Erweiterungbau: Energieeffizienz und Wohnwert vereint

Der Neubau schafft nicht nur den nach modernen Nutzungsansprüchen benötigten Flächenzuwachs um mehr als 30 %, sondern ist auch in seiner Konstruktion, Gestaltung und Konzeption als optimierte Verkörperung des Vorgängerbaus zu sehen. Die Holzrahmenkonstruktion sowie die Dach- und Bodenaufbauten können auf U-Werte zwischen 0,12 und 0,14 W/(m²K) verweisen. Für ein optimales Zusammenspiel zwischen Belichtung, passiven Wärmegewinnen und sommerlichem Wärmeschutz wurden sowohl die Süd- als auch die Nordfassade teilweise aus transparenten Bauteilen errichtet. Die Giebelseiten blieben weitgehend geschlossen.

Die Raumaufteilung ist grundsätzlich flexibel angelegt. Raumteilende Möbel schaffen Platz für einen Wohn-, Koch- und Essbereich und garantieren dennoch ein Höchstmaß an Variabilität und Nutzungsfreiheit. Im westlichen Kopf des Anbaus befinden sich ein Haus­technikraum, eine Vorratskammer sowie ein Gäste-WC. Den Abschluss bildet ein Carport, der aus der Konstruktion des Anbaus hervorgeht. Am östlichen Kopfbereich schließt sich an den Wohnbereich eine überdachte Terrasse an, die als Verbindung zwischen Innen und Außen, als Raum für das Leben im und mit dem Garten ein hohes Maß an Lebensqualität bietet.

Im LichtAktiv Haus spielen steigende Energiepreise in der Zukunft keine Rolle, denn dank ausgefeilter Tageslicht-, Belüftungs- und Beschattungskonzepte sowie einer durchdachten Raumplanung wird der gesamte Energiebedarf für Heizung-, Warmwasser und Strom ganzjährig nachhaltig durch Sonnen- und Umweltenergie gedeckt. Die Idee der energetischen Autarkie erhält mit dem LichtAktiv Haus auch ohne Abstriche an architektonische  Freiheit und gestalterische Vielfalt eine ganz neue Dimension.

Kompetenzteam LichtAktivHaus

Externe Berater:

Prof. Manfred Hegger, TU Darmstadt, FB Architektur, Lehrstuhl für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen (Entwurfsplanung); Katharina Fey, TU Darmstadt, FB Architektur, Lehrstuhl für Entwerfen und Energie­effizientes Bauen (Entwurf und Konzept); Prof. Klaus Daniels, HL Technik und TU Darmstadt, FB Architektur, Lehrstuhl für Entwerfen und Gebäudetechnologie (Energiekonzept); Prof. Peter Andres, Lichtplaner und Honorarprofessor an der Peter Behrens School of Architecture, University of Applied Sciences, Düsseldorf (Lichtplanung); Prof. Karsten Tichelmann, TSB-Ingenieure (Statik) Ostermann Architekten (Ausführungsplanung); Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA Hamburg

Das Veluxteam:

Lone Feifer, strateg. Projektdirektorin

Petra Schumacher, Projektleiterin

Astrid Unger, Leitung PR Velux
Kristina Heckmann, Projektkoordinatorin

Energiewerte der Bauteile (W/m²K) VorherNachher AltbauNachher NeubauU-Wert Außenwand0,480,160,14U-Wert Dach0,55 0,140,14U-Wert Boden 0,900,320,32U-Wert

Fenster FassadeUw = 2,8
g-Wert = 0,8Uw = 1,1
g-Wert = 0,49Uw = 1,1
g-Wert = 0,49U-Wert

Fenster Dachk.A.Uw = 1,4
g-Wert = 0,6Uw = 1,0
g-Wert = 0,45

Endenergiebedarf (Referenz 4-Personenhaushalt; Einheit: kWh/m²/Person/a)Vorher NachherHaustechnikstrom1,010,725Haushaltsstrom10,053,975Warmwasserbereitung8,210,725Heizbedarf54,043,875Gesamtverbrauch74,419,3

CO2-Emission (Referenz 4-Personenhaushalt; Einheit: kg/m²/Person/a)VorherNachherHaustechnikstrom0,920,6Haushaltsstrom8,373,3Warmwasserbereitung2,630,6Heizbedarf17,293,225Gesamtverbrauch29,227,725CO2-Kompensation aus
regenerativen Energienkeine7,775

Energieproduktion (Referenz 4-Personenhaushalt; Einheit: kWh/m²/Person/a)VorherNachherSolarkollektorenkeine5,875Wärmepumpekeine11,95Photovoltaikkeine9,375Gesamtproduktionkeine27,15

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