Bücherei, Kressbronn
Der fast 100 Jahre alte Stadel der Gemeinde Kressbronn am Bodensee sollte in eine Bücherei umgebaut werden. Im Zentrum der Überlegungen von Steimle Architekten stand, das bauliche Erbe der regionalen Bauweise trotz der Transformation zu erhalten und zeitgemäß zu interpretieren.
Bekenntnis zum Bestand
Alte Struktur, neues Gewand
Ganz konkret beinhaltet dieser Ansatz, so viel bestehende Bausubstanz wie möglich zu erhalten. Das Tennengeschoss mit der auskragenden Holzdachkonstruktion war vor allem in Hinblick auf sein Alter in erstaunlich guter Verfassung und konnte – mit ein paar wenigen, statisch notwendigen Ergänzungen und Ersetzungen – weiterverwendet werden. Ebenso sollte das händisch gemauerte Sockelgeschoss erhalten und lediglich mit einer dämmenden Schale versehen werden. Im Bauprozess zeigte sich jedoch bald, dass das Mauerwerk für die neue Nutzung nicht mehr tragfähig war und ersetzt werden musste. Für die Planung jedoch war dies ein Glücksfall, denn so konnte die Sanierung noch einmal ganz neu gedacht werden: Die Holzkonstruktion des Tennengeschosses wurde Balken für Balken kartiert und demontiert, wodurch das Holz optimal auf die zukünftige Nutzung eingestellt resp. getrocknet und von Schädlingen befreit werden konnte. Das Dachgebälk war bisher im Prinzip witterungsoffen und wird nun aus Sicht der Bauphysik zum Innenraum gehören.
Um den Eindruck des einst massiven Sockels zu bewahren, gestalten Steimle Architekten das neue Sockelgeschoss nun aus homogenem Dämmbeton, dessen leicht horizontal profilierte Oberfläche die Planer als Referenz an die Vorgängersubstanz verstehen. Die Öffnungen im Sockelgeschoss sind mit tiefen Laibungen versehen, die in Anlehnung an das Vorbild des alten Stadels gesetzt wurden, nun aber mehr Tageslicht in den Innenraum lassen. Die teils spielerisch angeordnete vertikale Lattung filtert den Blick durch die Öffnungen und schafft zugleich einen gestalterischen Übergang zur Gestaltung des Tennengeschosses darüber. Dessen mit einer vertikalen Holzschalung versehene Fassade verstehen die Architekten ebenfalls als Verweis auf die Historie. Die Latten erfahren jedoch eine subtile, sich über die Fassade wellenartig verändernde Drehung, wodurch der hölzerne Oberbau im Gegensatz zum massiven Sockel eine große Leichtigkeit erhält. „Die schlanken Holzlamellen“, so die Architekten, „verleihen dem Haus mit ihrer eleganten Struktur ein erstaunlich modernes Äußeres.“
Hohe Raumqualitäten
Tradition und Region
Neben dem Beton bzw. Dämmbeton wird die Atmosphäre im Haus vor allem durch das Holz bestimmt: ein Weißtannen-Holz aus regionalen Wäldern. Obwohl das Projekt als öffentliches Gebäude auch öffentlich ausgeschrieben und der günstigste Anbieter gewählt werden musste, konnten für die ausführenden Arbeiten der bei diesem Projekt gestaltprägendsten Gewerke – Rohbauer, Zimmerer und Schreiner – Handwerksbetriebe aus der Umgebung beauftragt werden. „Das war für uns sensationell gut“, schwärmt Thomas Steimle, denn bei ihnen sei das Bewusstsein für die traditionelle Bauweise vor Ort und das Verständnis für den Umgang mit den Materialien optimal gewesen. So konnten Christine und Thomas Steimle zusammen mit Handwerkern vor Ort nicht nur vom Entwurfsansatz her, sondern auch in der Ausführung den Spagat zwischen historischer Vorgabe und heutiger technischer wie architektonischer Herausforderung meistern.
Thomas Geuder, Stuttgart
Baudaten
Objekt: Bücherei Kressbronn
Standort: Kressbronn am Bodensee
Typologie: öffentliche Folgenutzung des historischen Stadels als Bücherei
Bauherr/Nutzer: Gemeinde Kressbronn am Bodensee
Architekt: Steimle Architekten BDA, Stuttgart,
www.steimle-architekten.com
Mitarbeiter: Jens Oehmigen
Bauleitung: vdo Architekten GmbH, Weingarten, www.vdo-architekten.de
Bauzeit: November 2016 – August 2018
Fachplaner
Tragwerksplaner: wh-p Ingenieure, Stuttgart,
www.wh-p.de
TGA-Planer: Ingenieurbüro Rolf Witschard, Ravensburg, www.ib-wischard.de
Elektroplanung: Ingenieurbüro Straub, Tettnang
Akustikplaner, Energieplaner/-berater: Bobran Ingenieure, Stuttgart, www.bobran-ing.de
Landschaftsarchitekt: Jetter Landschaftsarchitekten, Stuttgart, www.jetter-landschaftsarchitekten.de
Brandschutzplaner: Landratsamt Bodenseekreis, Friedrichshafen, www.bodenseekreis.de
Projektdaten
Grundstücksgröße: 3 450 m²
Nutzfläche gesamt 685 m²
Nutzfläche: 525 m²
Technikfläche: 30 m²
Verkehrsfläche: 130 m²
Brutto-Grundfläche: 860 m²
Brutto-Rauminhalt: 3 500 m³
Baukosten (nach DIN 276)
Gesamt brutto: 4,1 Mio €
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 108 kWh/m²a nach EnEV 2013
Endenergiebedarf Wärme: 34 kWh/m²a nach EnEV 2013
Jahresheizwärmebedarf: 37,5 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2013
Energiekonzept
Dach: Sparrendach Bestand mit Mineralwolledämmung 140 mm, Unterdeckplatte 60 mm
Außenwand EG: Dämmbeton, 700 mm;
Außenwand OG: Holz-Ständerwände, 200 mm
Fenster EG: Holzrahmen, Dreischeiben-Sonnenschutzverglasung
Pfosten-Riegel-Fassade OG: Holz-Alu, Dreischeiben-Sonnenschutzverglasung
Boden: Perimeterdämmung unter Bodenplatte 120 mm, Trittschalldämmung 30 mm, Wärmedämmung 80 mm
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand EG = 0,52 W/(m²K),
U-Wert Außenwand OG = 0,25 W/(m²K),
U-Wert Bodenplatte = 0,15 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,21 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 0,8 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 1,0 W/(m²K)
Haustechnik
Heizung über Geothermie, Erdwärme über Erdsonden mit Wärmepumpe 36 KW
Energiepeicherung über Pufferspeicher 1 000 l
Kontrollierte Be- und Entlüftung mit WRG in Teilbereichen
Abluftanlage in Teilbereichen
Hersteller
Dach: Dachziegelwerke Nelskamp GmbH,
www.nelskamp.de
Holzlamellen Fassade: Häussermann GmbH & Co. KG, www.haeussermann.de
Dämmbeton Erdgeschoss: Liapor GmbH & Co. KG, www.liapor.com
Der gewählte Dämmbeton für die Sockelgeschoss-Fassade erlaubt eine einfache Detaillierung in den Bereichen Sockel und Fensterlaibungen. Gelungene Proportion zwischen Sockel und Obergeschoss mit Holzschalung. Die Öffnungen im Erdgeschoss und die Verwendung der gleichen Holzlamellen reduzieren den Gegensatz zwischen leichter Holzkonstruktion und massivem Sockel. Innenräumlich schöner Kontrast zwischen den Bauelementen, der neutrale Charakter des Sichtbetons rückt die alte Holztragkonstruktion in den Vordergrund.
⇥DBZ Heftpate Matthias Reese