Bewertungssystem als Planungshilfe
Gebäudestandards der Zukunft durch nachhaltiges Bauen entwickeln

Das Bauwesen nimmt sowohl beim Bau als auch in der Bewirtschaftungs- und Betriebsphase von Bauwerken erhebliche Ressourcen in Anspruch. Rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland wird immer noch für die Raumheizung benötigt. 50 % der benötigten Rohstoffe verbrauchen wir für die Errichtung und den Umbau von Gebäuden. 60 % aller Abfallmaterialien kommen aus dem Gebäudebereich.

 

Die Bauindustrie, als eine Schlüsselbranche für die Binnenwirtschaft und zugleich der größte Wirt­schaftszweig in Deutschland, ist deshalb bei der Lösung dieser Fragen in besonderer Weise gefragt. Darüber hinaus müssen neben der Ressourceneffizienz auch die Kosteneffizienz und die soziokulturelle Qualität stimmen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, die Überlegungen nicht nur auf den Zeitpunkt der eigentlichen Investition zu konzentrieren. Nachhaltigkeitsüberlegun-gen beziehen sich daher auf die gesamte Lebensphase von Bauwerken, von ersten Planungs­überlegungen bis zur Entsorgung und Recyclingfähigkeit eines Bauwerkes nach Ablauf seiner Lebensdauer, und beinhalten auch die Herstellung der Vorprodukte, d. h. der Baustoffe. Entscheidend ist, dass zukünftig auf Lebenszykluskosten statt Investitionskosten abgestellt wird. Nur so können wir einen Qualitätswettbewerb unterstützen.

Wie können wir Nachhaltigkeit auf dem Markt als Kriterium besser etablieren? Ein wichtiger Schritt ist dabei die Einigung auf eine klare, nachvollziehbare Definition von „Nachhaltigkeit“. Was nachhaltiges Bauen bedeutet, wie es vergleichbar, bewertbar und messbar gemacht werden kann, war und ist Gegenstand der Diskussionen am Runden Tisch Nachhaltiges Bauen, den das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) seit 2001 moderiert. Aus dem Prozess hervorgegangen ist u.a. der Leitfaden „Nachhaltiges Bauen“, der den Nach­haltigkeitsgedanken im Hochbau verankert und seitdem bei Bauvorhaben des Bundes zu beachten ist. Die Bewertung des Beitrages von Einzelbauwerken zu einer nachhaltigen Entwicklung führte zur Forderung der Entwick­lung eines Gesamtsystems zur Beschreibung und Beurteilung von Gebäuden einschließlich des Grundstücks. Ein solches Gesamtsystem stellt die Entwicklung eines Deutschen Gütesiegels Nachhaltiges Bauen dar. Ziel der Zertifizierung war und ist es, dem Markt ein umfassendes, wissenschaftlich fundiertes und praxisorientiertes Bewertungssystem für nachhaltige Gebäude anzubieten.

System sich ergänzender Planungs- und Bewertungshilfsmittel

Die Entwicklung, Erprobung und Einführung eines Systems zur Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Gebäuden als alleinige Maßnahme reicht nicht aus. Zwar unterstützt ein glaubwürdiges Label Marketing und Marktdurchdringung sowie die kompakte Formulierung von Anforderungen an nachhaltige Gebäude seitens der öffentlichen Hand und der Investoren. Planer und Bauunternehmen benötigen darüber hinaus jedoch Grundlagen und Hilfsmittel, um die im Zertifikat geforderten Ziele auch mit planerischen und baulichen Mitteln zu erreichen. Zusätzlich werden bei einem quantitativen Ansatz für die Bewertung und Zertifizierung von Gebäuden Daten für die Ökobilanzierung von Bauprodukten, Bauprozessen und Bauwerken, für die Ermittlung der Lebenszykluskosten sowie für die Abschätzung der Nutzungs- bzw. Verweildauer von Bauteilen in Bauwerken benötigt.

In Deutschland wurde ein System sich ergänzender Planungs- und Bewertungshilfsmittel entwickelt und realisiert. Unterschiedliche Hilfsmittel zur Bauteil- und Bauwerksoptimierung sowie zur Zertifizierung greifen auf identische Datengrundlagen (qualitative Informationen wie z. B. Gesundheitsrisiken bei Verarbeitung und Nutzung von Bauprodukten, Ökobilanzdaten, Lebensdauern, Kostenkennwerte) zu und können über definierte Schnittstellen Informationen austauschen.

So wird es möglich, entwurfsbegleitend produkt- und herstellerneutrale Daten aus der Planung allmählich durch produktkonkrete Informationen aus der Angebotsphase zu ersetzen. Durch eine Integration wesentlicher Anforderungen der Zertifizierung in den Planungsprozess soll sichergestellt werden, dass wesentliche Informationen bereits in der Planung erzeugt und nicht – in der Regel mit Mehrkosten verbunden – im Rahmen der eigentlichen Zertifizierung erarbeitet werden müssen.

Einen Überblick zu den Instrumenten des nachhaltigen Bauens, den Datenbanken und Informationssystemen, zur Politik der Bundesregierung und zu guten Beispielen ermög­licht das entsprechende Internetportal des Bundes: www.nachhaltigesbauen.de.

Nationales System zur Bewertung und Zertifizierung nachhaltiger Gebäude

Das BMVBS und die Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) haben gemeinsam im Jahre 2008/2009 ein Bewertungssystem mit dem Titel „Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen“ erarbeitet. Die Vielzahl bereits verfügbarer Methoden und Hilfsmittel zur Bewertung und Zertifizierung der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit bzw. der Nachhaltigkeit von Gebäuden bezogen sich bisher mehrheitlich auf die Verwendung von Kriterien aus den Bereichen Standortqualität, Energieeffizienz, Klimaschutz, Ressourcenschonung und Gesundheit und beschrieben damit „green buildings“. Systeme, die zusätzlich auch ökonomische Aspekte berücksichtigen und die Ergebnisse einer Ökobilanzierung und Lebenszykluskostenrechnung einbeziehen sind dagegen noch sehr selten.

Das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen sieht vor, neben den ökologischen und sozio-kulturellen Qualitäten des Gebäudes auch ökonomische Aspekte einzubeziehen und so den Ansatz „green building“ in Richtung „sustainable building“ zu erweitern. Es wird von einer gleichberechtigten Bedeutung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte ausgegangen und dies auch bei der Wichtung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeitsbewertung berücksichtigt. Es erfolgt eine zur Bewertung der Nachhaltigkeit des Gebäudes zusätzliche Beschreibung der Qualität des Standortes und der Qualität der Prozesse der Planung, Errichtung und Bewirtschaftung. Die Tabelle gibt einen Überblick zu den im System verwendeten Kriterien (Stand Oktober 2009).

Das Notensystem des DGNB

Ziel des Vorschlags für das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen ist die Vergabe einer „Gebäudenote“ und die zusätzliche Beschreibung der Standortmerkmale. Die Gebäudenote wird (wie bei Stiftung Warentest auch) durch Teilnoten gebildet. Es gibt fünf Teilnoten für:

- ökologische Qualität

- ökonomische Qualität

- soziokulturelle und funktionale Qualität

- technische Qualität des Bauwerks

- Prozessqualität.

Die Teilnoten werden durch die Auswertung verschiedener Einzelkriterien beschrieben. Die Zahl dieser Einzelkriterien ist für die Büro- und Verwaltungsgebäude festgelegt. Allerings wurde im Prozess der Systemerstellung deutlich, dass nicht für alle Kriterien hinreichend gute Nachweismethoden zur Verfügung standen. Einige Kriterien bleiben vorerst „aus­geschaltet“ und müssen mit entsprechenden Forschungsaktivitäten erst „zum Leben erweckt“ werden.

Ziel war es u.a., alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Regelungen verpflichtend ein­zubeziehen. Im ökologischen Bereich wird zusätzlich zu den im Zuge der Planung ohnehin abzuliefernden Nachweisen eine Ökobilanz verlangt. Bei den ökonomischen Qualitäten sind nicht nur Investitionskosten, sondern auch die Lebenszykluskosten zu ermitteln. Die zusätzlichen Anforderungen an die Nachweispflicht sind gering, wenn im normalen Planungsprozess bereits übergreifende Überlegungen und Dokumentationen zur Nachhaltigkeit realisiert wurden. Die Ausrichtung der Planung auf Übererfüllung und die erhebliche Qualitätskontrolle sind das eigentliche Merkmal der Zertifizierung.

Leitfaden für Planung und Ausführung

Das Zertifizierungssystem ist zurzeit nur für Büro- und Verwaltungsgebäude ausgelegt und wurde an solchen Gebäuden erprobt. Aufgrund einer Vereinbarung mit der DGNB wurden private und öffentliche Gebäude ausgewählt, an denen in zwei Testphasen Ende 2008 und Anfang 2009 die Zertifizierungsversion 2008 getestet wurden. Mit den Ergebnissen wurde die Version „Neubau von Büro- und Verwaltungsgebäuden Version 2008“ in eine Version 2009 überführt. Sie soll nunmehr für den operativen Betrieb zur Verfügung stehen.

In der Pilotphase wurden auch Ziele und Referenzen getestet. Dabei ging es darum, das System so auszulegen, dass man mit einer Erfüllung bzw. knappen Übererfüllung der deutschen Standards das untere Ende von „Bronze“ erreicht. Damit werden zwei Botschaften transportiert:

1. Deutsche Standards sind auch im internationalen Maßstab auf allen Gebieten relativ hoch und

2. der Wert einer Zertifizierungsplakette liegt in der hohen Qualitätssicherung durch das Zertifizierungssystem.

Darüber hinaus wurde auch die Gewichtungder Einzelkriterien zueinander (Spreizung max. 1:3), die Festlegung von Mindestanforderungen bei jedem Kriterium (Nichteinhaltung bedeutet Nichtzertifizierung) und die Festlegung von Mindestanforderungen an einzelne Kriteriengruppen (zum Erreichen des Gold-Standards müssen die Teilaspekte mindestens Silber-Standard aufweisen) untersucht. Das System „Neubau von Büro- und Verwaltungsgebäuden Version 2009“ steht marktbereit zur Verfügung. Das BMVBS

wird die entsprechende Datenbank mit den Steckbriefen Anfang Dezember 2009 im Internet veröffentlichen (unter www.nachhaltiges­bauen.de). Die enge Zusammenarbeit des BMVBS mit der DGNB ist damit vorerst beendet.

Dieses Bewertungssystem kann als Pla­nungs­hilfe oder Leitfaden für das Planen und Ausführen, als Arbeitsmittel für die Qua­litätssiche­rung oder als Qualitätssicherungssystem mit einer Zertifizierung verbunden werden. Die Systematik wird vom BMVBS als methodische Grundlage für die Neuherausgabe des Leitfadens Nachhaltiges Bauen, die für Anfang 2010 vorgesehen ist, verwendet. Es ist geplant, dass das BMVBS diesen Leitfaden für Gebäude des Bundes per Erlass verbindlich macht. Praktisch werden dann alle Bundesgebäude (intern) gelabelt. Den Ländern und Kommunen wird diese Methode angeboten. Die DGNB hat begonnen, für den gewerblichen Bereich ein Zertifizierungsverfahren anzubieten. Die Anwendung von Bewertungssystemen für die Nachhaltigkeit von Gebäuden und baulichen Anlagen ist prinzipiell weiter freiwillig. Auch das Anbieten derartiger Systeme erfolgt freiwillig nach Marktprinzipien.

Das BMVBS prüft die Bewer­tungssysteme zukünftig auf Anfrage und empfiehlt sie nach erfolgreicher Prüfung zur Anwendung für die Planungs- und Baupraxis. Dabei müssen wichtige Anforderungen eingehalten werden. Es werden nur Systeme anerkannt, die eine Gesamt­beschreibung des Gebäudes vornehmen. Das System muss gewährleisten, dass jede Kriteriengruppe mit konkreten Einzelkriterien beschrieben wird. Diese Kriterien müssen auf nachvollziehbaren und eindeutigen Erhebungs- und Bewertungsmethoden aufbauen und eindeutige Messvorschriften beinhalten. Die Kriterien werden nach Relevanz und Pra­ktikabilität vom Systemersteller festge­legt. Bei jedem Kriterium ist eine Mindestqua­lität vorzugeben, die zwingend eingehalten werden muss. Die Vorgabe der Mindestqualität muss insbesondere bei Neubauvorhaben die Einhaltung aller gesetzlichen Anforderun­gen einschließen.

Die Empfehlung des BMVBS („vom BMVBS anerkanntes und für die Praxis empfohlenes Bewertungssystem für nachhaltige Gebäude“) wird auf der Grundlage von Grundsätzen und Richtlinien ausgesprochen und soll im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Die Anerkennung ist verbunden mit den Rechten zur Nutzung eines einheitlichen Logos. Es wird angestrebt, diese Praxis noch im Jahre 2009 einzuführen.

Diese Anerkennungspraxis soll in der weiteren operativen Tätigkeit auch bei anderen gewerblichen Gebäudekategorien angewandt werden (z.B. Hotels, Handelsbauten etc.). Die DGNB hat auch hier bereits erste Testversionen entwickelt. Das BMVBS schließt ein derartiges Verfahren nur für Gebäude mit erheblichem öffentlichen Interesse aus. Bei Gebäuden und baulichen Anlagen, die ausschließlich von Trägern öffentlicher Belange betrieben werden, sollen diese auch selbst Bewertungs­systeme entwickeln. Das betrifft den Wohnungsbau, Gebäude der sozialen Infrastruktur (Schulen, Kitas), Infrastrukturbauten (Tunnel, Brücken) und Stadtquartiere. Zum Thema Wohnungsbau arbeitet bereits eine Arbeitsgruppe beim BMVBS gemeinsam mit Vertretern und Spitzenverbänden der Wohn­ungswirt­schaft. Zusammen mit den Ländern wurden die Einrichtungen weiterer Arbeitsgruppen angeregt.

Insgesamt stehen damit in Deutschland nunmehr umfangreiche Planungs- und Bewertungshilfsmittel zur Verfügung. Dem nachhaltigen Bauen und Planen ist damit besser als bisher der Weg bereitet!

 

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