Bewegende Schulzeit
Rheinische Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung in Euskirchen

Eigentlich ist die Rheinische Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung in Euskirchen ein ganz normaler Schulbau – wären da nicht Details!

„Barrierefrei heißt für uns nicht nur die Abwesenheit physischer Schwellen, sondern freie Sicht und schnelle Orientierung“, definiert Judith Kusch von 3pass Architekten ihren Anspruch an die Schule für Körperbehinderte im kölnnahen Euskirchen. Heute bewegen sich 160 geistig fitte, körperlich aber teils schwerst- und mehrfachbehinderte Jugendliche durchs Schulhaus. Den einen Schülern sieht man ihr Handi­cap kaum an, andere kommen ohne komplizierte Geh- oder Fahrhilfen nicht vom Fleck.

In dem vor eineinhalb Jahren eingeweihten Erweiterungsbau nun, fanden drei neu integrierte Klassen ihre Lehrräume und das motorische Lernangebot wurde durch eine Schwimm- und Sporthalle sowie Handwerks-, Musik- und Sozialräume aufgestockt.

Like to move it!

Was schürt die Bewegungsfreude mehr als ein großzügiger Rundgang, dachte man sich bei 3pass und entschied, den Bestand aus den 60er und 80er Jahren bogenförmig zu erweitern. Der mit Kletterwand und allerlei Spielequipment versehene Schulhof rückt damit als verbindendes Element in den Mittelpunkt des Gesamtensembles und sorgt für Übersichtlichkeit. Bereits beim Eintritt durchs Eingangsportal sieht man direkt in den Hof und begreift intuitiv den Aufbau der angrenzenden Trakte. Vom Eingang aus nicht einsichtig ist der unerwartete Höhepunkt des Flurerlebnisses – ein fast trichterartiger Tunnel, der Neu- und Altbau verbindet. Strikt nach Proportionslehre, mag es dem Durchgang an Größe fehlen – in den Augen der Schüler ist der aus Mangel an verfügbarer Flurzone und festgelegter unterer Traufe erwachsene Kompromiss zweifellos ein Highlight.

Dass die Kinder mittlerweile im Schulhaus ihre Runden ziehen können, ist keinesfalls selbstverständlich – da einst die Ortsstraße verlief, wo heute gelernt wird. Da jedoch ein verkehrswegegetrennter Erweiterungsbau ohne personalintensive Tunnel- oder Brückenlösung nicht realisierbar gewesen wäre, entschied sich der Bauherr für den Rück- und Neubau der Straße sowie die Einebnung des eigentlich hangigen Geländes. Dabei wurde der neue Straßenschwung bewusst so geführt, dass der Neubau am Bestand andocken konnte, doch den Euskirchen-Fahrern der dadurch fällige Umweg nicht auffällt.

Ecken und Kanten reduziert auf das Wesentliche. Auf den ersten Blick könnte das prägnant geformte Ensemble in warmer Ziegelhaut jegliche Art von Schul- oder gar Verwaltungsbau sein. So zählen etwa auskragende Dächer über automatisierten Schiebetüren bei öffentlichen Gebäuden mittlerweile zur standardisierten Begrüßungsgeste. Hier allerdings gewähren sie Schülern den nötigen Schutz vor Wind und Wetter beim zeitaufwendigeren Ein- und Ausstieg in die Schulbusse. Ähnlich verhält es sich mit der klaren Gebäudestruktur, die auf den zweiten Blick keine bloße Frage der Ästhetik, sondern eine gesteigerter Funktionalität ist. Denn, wer sich in die Details vertieft, begreift, wie das Gebäude körperliche Defizite keinesfalls verstärkt – oder gar auszugleichen versteht.

Verkehrsfläche: Damit der Bewegungsfreiheit in den Gängen nichts im Weg steht, verschwanden Brandschutz- wie Klassenzimmertüren, aber auch die höhenverstellbaren Garderoben und Pinnwände in Wandnischen. Die wegsäumenden Fenstersitzbänke passen sich der Wegeführung an und gewähren auch noch aus dem Rolli heraus freie Außensicht. In der offenen Hallenzone, links neben dem Eingang, parken im Schulhaus verweilende Fahrgeräte. Um Eng­pässe zu vermeiden, wurde auf Türen und Zagen bewusst verzichtet. Raumab­grenzende Funktionen übernehmen drei Vitrinen mit Sitzbank, in der Sportpokale und Bastelarbeiten würdigenden Platz finden.

Die Klassenzimmer gibt es in zwei Größen. Das größere besitzt neben der Unterrichtszone unterfahrbare Küchenzeilen, an denen Schüler selber kochen, und einen Gruppenraum, der je nach Alters­stufe zum Arbeitsrückzug, als Kuschelecke oder Stauraum für Kunstwerke dient. Ganz im Duktus der physischen Schwellenminimierung schließen Küchen und Schränke bündig zur Wand bzw. Rollwagenschränken bündig zum Fenstersims ab. Die niedrige Fensterbrüstung gibt den Blick ins Grün frei, sofern der automatische – kurbellose – Sonnenschutz nicht die Sicht versperrt. Aus jeder Klasse führt eine „Terrassentür“ hinaus ins Vorklassengrün und zu den aufgeschütteten Beeten, die auch Rollstuhlfahrer bewirten können.

Sanitäres: Vom Flur aus gelangt man in kleine Vorräume, von denen drei Räume (Wasch- und Wickelraum sowie die Toilette) abgehen. Ihr Platzangebot ist üppiger als gewohnt, die überbreiten Schiebetüren sind mit Griffen, Griffstange sowie niedrigerer Extramulde zum Nach­ziehen versehen. Höhenversetze Waschtische ermöglichen Rollstühlen unterschiedlicher Größe einen leichten Zugang. Die Lichtschaltung funktioniert automatisch, wenngleich die meisten Räume natürliches Oberlicht besitzen, das die gebührende Intimität wahrt. Schränke wie Feuerlöscher sind in die Wände eingelassen; an den schrankintegrierten Funktionsspiegeln kann jeder aus dem Rollstuhl heraus nochmal checken, dass seine Bekleidung wieder ordnungsgemäß sitzt. Die Umkleidräume bieten wenig Intimität, dafür umso mehr Barrierefreiheit. Die Großraumduschen kommen weit gehend ohne Trenn­elemente aus. Die Gefälle-Landschaft im Boden lässt das Wasser schneller abfließen und markiert einzelne Duschplätze.

Hör- und sichtbar einfacher geht es im Schwimmtrakt der Schule zu. Gerade beim Sport ist Verständigung wichtig, doch mit hohem Nebengeräuschpegel für die teils Sprach- und Hörbehinderten geradezu unmöglich. Wie also bekommt man eine stützenfreie Schwimmhalle mit unterspannten Fachwerkbinder akustisch barrierefrei? Zusätzlich zu den Deckenelementen mit Absorbern und Hohlräumen, die den Geräuschpegel im gesamten Gebäude zähmen, absorbiert in der Halle Akustikputz den Schall zu geradezu dumpfen Klangerlebnissen.

Dank der ausgefeilten Geometrie der Fahrrampe können Kinder direkt mit ihrem Rollstuhl in das Schwimmbecken hineinfahren. Damit entfällt das anstrengende Hineinhieven über den Lastenlift. Das Lehrbecken besitzt Wasserstandsebenen von 80 cm bis 1,60 m Tiefe, was unterschiedliche Therapieanwendungen ermöglicht. Um die anwendungsnötige hohe Wassertemperatur von 30 °C energiesparender halten zu können, wird das Becken im ungenutzten Zustand von Folien abgedeckt, die auf Rollen am Beckenrand lagern.

Kontrast Erlebnis: Ein eher unbewusster Bewegungsanreiz ist die vermiedene Monotonie der langen Gänge. Selbst in den Zonen, wo zur Hofinnenseite hin Sozialräume integriert wurden, sind die Strecken nie so lang, als das kein natürliches Tageslicht sichtbar wäre. Dieses Wechselspiel sorgt für helle und dunklere, enge und weite Zonen und für ein abwechslungsreiches Raumerleben – das im Neu- mit Altbau verbindenden Tunnel gipfelt.

Aber auch die gesamte Farbgestaltung baut auf einem Kontrastprogramm auf. Im Flur hebt sich die Anthrazitkühle des R9-Linoleumbodens vom warmen rostrosa Sichtbeton und hellen Holzeinbauten ab. In den Klassenzimmern verkehrt sich das Verhältnis – der hellbraune Korkschrotboden ist der Wärmequell im kühlen Weiß der Wände bzw. der Alutüren und -fensterrahmen.

Kommentar: Die Motorikschulen Euskirchen statuiert ein gelungenes Exempel dafür, dass Barrierefreiheit nicht nach außergewöhnlichen Raum- oder Gestaltungsprogrammen verlangt, sondern nach einem bestimmten funktionalen Blick auf Architektur. Städtebaulich ist der Schulbau einwandfrei gelöst; Sicht- und Hürdenfreiheit wurden konsequent durchdekliniert. Der Orientierung allerdings hätte mehr Mut zur Farbe auf größere Sprünge helfen können. Zaghafte Ansätze finden sich in den Sanitäranlagen, in denen Unterscheidungen teils so kontrastarm ausfallen, dass sie ohne Erläuterung nicht wahrgenommen werden. An diesem Punkt trägt der architektonisch-ästhetische Anspruch dann doch noch einen klaren Sieg vor dem warmen Purismus im Dienste der Barrierefreiheit davon. Rahel Willhardt, Aachen

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