Bauhaus continued...
Bibliothek der Hochschule Anhalt, Dessau

Bauen in Nachbarschaft einer Weltkulturerbestätte ist zumeist eine nur schwer lösbare Aufgabe. Die neue Bauhausbibliothek in einer früheren DDR-Kaufhalle löst jedoch den Konflikt zwischen Denkmal und neuer Architektur sehr elegant. Mit sichtlich großem haptischen Vergnügen treffen hier Alt und Neu selbstbewusst aufeinander.

Die Architekturikone der Moderne ist das Bauhausgebäude in Dessau. Kein anderes Gebäude der 1920er-Jahre wird so verehrt und von Architekten aus aller Welt besucht wie dieses Haus, das Walter Gropius 1926 als das emblematische Flaggschiff einer Architekturbewegung schuf. So erfolgreich, dass schon 1920 das Neue Bauen mit dem Begriff Bauhausstil gleichgesetzt wurde – leidenschaftlich verklärt, aber auch bekämpft von jenen, welche die neue Architektur ablehnten. Die Nationalsozialisten vertrieben das Bauhaus schon 1932 aus Dessau und veranlassten 1933 seine endgültige Schließung. Den Stalinisten der 1950er-Jahre galt das Bauhaus als eine kapitalistische Verirrung, die das politisch kontaminierte Gebäude verfallen ließen und es mit sowjetischen Soldatenwohnungen von der Stadt isolierten.

Erst der Fall der Mauer veränderte die ­Situation des Bauhauses. Mit Postgraduate-  Programmen, Workshops und Ausstellungen öffnete sich das Gebäude wieder der Öffentlichkeit, dank der neu gegründeten Stiftung Bauhaus Dessau. Nur wenige Meter hinter dem Bauhausgebäude entstand der Campus der neuen Fachhochschule Anhalt, deren Studienangebote Architektur und Design in Dessau konzentriert wurden. Die Nähe beider Institutionen, ließ denn auch schon Ende der Neunziger die Idee einer gemeinsamen Bib­liothek entstehen, was sich in Folge aber erheblich schwieriger als erwartet erwies. Ein Anbau an das markante Flügelgebäude des Bauhauses kam nicht in Frage. Doch auch die erste Idee eines neuen Solitärs zwischen Fachhochschule und Bauhaus musste bald wieder verworfen werden, da der Status des Bauhauses als Weltkulturerbe ausdrücklich zur Erhaltung seines solitären Charakters verpflichtete.

Einmal mehr stand so eine Weltkulturerbestätte vor dem Dilemma, welcher Wandel, welche zeitgenössische Ergänzung der Ort ohne Gefährdung des heiß begehrten Status noch erlauben könnte. Ein Ausweg aus diesem Dilemma eröffnete sich erst 2003 nach der Schließung einer benachbarten Kaufhalle aus DDR-Zeiten. Hinter der prominenten Adresse Gropiusallee 34 verbarg sich ein Kleinod der DDR-Moderne, das mehrfach umgebaut aber erst wieder entdeckt werden musste. Für eine Kaufhalle im Erdgeschoss und einem Tanzcafé da­rüber, hatte Anfang der 1960er-Jahre der Architekt Hermann Rey ein pavillonartiges Gebäude geschaffen, das sehr sensibel auf das Bauhausgebäude Rücksicht nahm, das sogar überaus elegant mit seinen großen Glasflächen und grazilen Trageelementen an das Bauhaus anknüpfte. So überzeugend, dass viele Dessauer in den 1960er-Jahren das neue Café und nicht das sehr verkommene Original meinten, wenn sie sagten: „Wir gehen heute ins Bauhaus“.

Die Umnutzung der ehemaligen Kaufhalle zur Bibliothek

Als 2008 jedoch Reiner Becker Architekten zu einem Architekturwettbewerb für die Umnutzung der Kaufhalle in eine wissenschaftliche Bibliothek eingeladen wurden, war nicht mehr viel von dieser Blütezeit des Cafés am Bauhaus erkennbar. Nur wenige Jahre existierte es, danach folgten viele Umbauten an der Kaufhalle, die sich immer mehr in den Straßenraum ausbreitete und den Ursprungsbau nahezu zum Verschwinden brachte. Während viele andere Architekten deutliche Zäsuren mit Teilabrissen und größeren Neubauteilen setzen wollten, wählten Reiner Becker Architekten einmal mehr den Weg moderater Rekonstruktion und Implantation. Sie, die schon in der Nachbarschaft von Mendelsohns berühmtem Einsteinturm gebaut hatten und sich mit Bibliotheken im Altbestand in der Stadt Brandenburg und Potsdam einen Namen gemacht hatten, vermieden hier ganz bewusst jede Konkurrenz mit dem Nachbarn. Keine neue Architekturikone, aber ein geistesverwandter Nachbar entstand so, der nun vor allem mit seinen zurückgewonnenen Proportionen und Oberflächen sowie neuen Farben besticht.

Mit einem klaren Schnitt legten Reiner Becker Architekten das ursprüngliche Gebäude von Hermann Rey wieder frei. Die lange Ladenzeile verschwand ebenso wie eine Verkaufshalle an der Ecke zum Bauhaus, die über Jahrzehnte hinweg den Blick auf die Stirnseite des Nachbarn mit dem berühmten Schriftzug „Bauhaus“ verstellt hatten. Zugleich legte der Schnitt den trapezoid auskragenden Betonrahmen der Eingangsfront der früheren Kaufhalle frei, wo nun wieder eine weite Fensterzone zum Betreten des Hauses einlädt. Die weitaus größere Bibliothek der Fachhochschule Anhalt befindet sich im Erdgeschoss, während die kleinere der Stiftung Bauhaus im Obergeschoss des Tanzcafés ihren Platz fand.

Als Ersatz für die verlorenen Flächen konzipierten die Architekten einen neuen Baukörper, die sogenannte „Bücherbox“, ein Stahlbau, der sich nun als Mediator an der Gelenkstelle zwischen Ursprungsbau und den rückwärtig erhaltenen Anbauten einfindet, aber mit seiner Reduziertheit sanft zum Bauhaus überleitet. Nur auf den ersten Blick eine einfache Kiste, deren Weiß sich klar vom unscheinbaren Grau der Kaufhalle absetzt. Das umlaufende Glasband der Box weckt aber auch Neugier auf das, was sich in ihr ereignet. Dort treten die verschiedenen Zeitschichten des Gebäudes sehr offen zu Tage, um ein neues Ganzes entstehen zu lassen. Weitgehend frei geräumt wurde das Erdgeschoss der Kaufhalle entlang der Straßenfront für ein großzügiges Foyer. Entlang der Längsachse folgt darauf der Bibliotheksempfang als ein dezidiert kubischer Körper ähnlich des Bauhauses in Weiß und Schwarz, der zu den weiteren Kuben der Zeitschriftenauslagen überleitet, die eine dritte Raumschicht für die Internetarbeitsplätze bilden. Der Raum wurde quasi nach Funktionen gestaffelt. Das Gros der Bücher findet sich rückwärtig oder daneben in der Bücherbox mit ­einer eigenen Topografie ein. Unter der ­unverkleideten Trapezblechkonstruktion der Box stehen gestaffelte Winkelregale, die effektvoll Orte konzentrierter Zurückgezogenheit bilden, aber auch völlig unerwartete Blickbeziehungen anbieten. Von Raum zu Raum können die Leser so en passant die wechselhafte Geschichte des Gebäudes erfahren, dessen Wände und Decken weitgehend unverkleidet blieben, wo sich nun alter Massivbau und neuer Stahlbau abwechseln. Anders im Obergeschoss, wo mit Detailliebe der weitgehend stützenfreie Raum des Tanzcafés für die Bauhausbibliothek restauriert, aber auch um einen Himmel versenkter Deckenlichter erweitert wurde. Zwischen einer geschosshohen Glasfront, den Bücherregalen und dem Counter sowie einem restaurierten Wandbilds des Hallenser Künstlers Fritz Freitags erstreckt sich nun ein lichter Raum unverwechselbarer Atmosphäre. In Dessau gelang den Architekten Erst, denen nur 3,2 Mio. € zur Verfügung standen. Neben der energiesparenden Dämmung des Altbestands – fast durchweg als Innendämmung – wurde auf dem Dach eine Photovoltaikanlage mit mikromorphen Solarzellen und 36 kW realisiert. Wo sonst oft die Gebäudetechnik kaschiert ist, da setzten sie diese als Mittel der Raumgestaltung ein. Wie etwa bei den abgehängten oder versenkten Leuchten unterschiedlicher Ausrichtung und Dimensionen, welche nun die Orientierung erleichtern und jedem Raum ein Eigenleben zu­ge­steht. Diese Vielfalt der Räume, die die Biblio­theken zweier Institutionen in einem Haus zu vereinen weiß, macht die neue Bauhausbibliothek zu einem Ereignis. Klein, aber fein steht sie für eine Kontinuität im Wandel, für eine sympathische Erneuerung des Vorhandenen mit wenigen, genuin architektonischen Mitteln. 

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