Auf Licht, Luft und Farbe gebaut
Neubau der Chirurgie/ Dermatologie am Universitätsklinikum Ulm

Grenzen zwischen Fachabteilungen schwinden, Anforderungen wie Prozessoptimierung und nutzungsoffene Raumstrukturen rücken in den Vordergrund, Patienten erwarten Hotelambiente, Angestellte ein attraktives Arbeitsumfeld. Mit dem Neubau der Uniklinik Ulm ist ein in dieser Hinsicht zukunftsweisendes (Kranken-)Haus in Betrieb gegangen.

Verortung und Funktion als Leitmotiv

Aufgabe beim 2001 ausgeschriebenen Architekturwettbewerb „Neubau Chirurgische Klinik des Universitätsklinikums Ulm“ war die Zusammenführung der bestehenden klinischen Standorte auf dem Oberen Eselsberg: Chirurgie, Innere Medizin und Strahlentherapie – im Laufe der Planung wurde auch die Dermatologie integriert. Dabei sollte der Neubau städtebaulich den topografischen Höhenversprung von rund fünf Metern in die Gebäudestruktur aufnehmen. Der Entwurf von KSP Jürgen Engel Architekten ging aus 29 eingereichten Arbeiten einstimmig als 1. Preisträger hervor. Elf Jahre später wurde nach vier Jahren Bauzeit die zu diesem Zeitpunkt größte Klinikbaustelle des Landes Baden-Württemberg fertiggestellt. Neben 15 OP-Sälen, 235 Normalpflege- und 80 Intensivpflegebetten entstanden, wie in der Ausschreibung gefordert, zahlreiche weitere Funktionsbereiche.

Aus der Topografie des Ortes entwickelten die Architekten mit dem Prinzip der Funktionstrennung in medizinische Bereiche und Aufenthaltsräume das Leitmotiv für den Entwurf: Der Sockelbau verbindet sich durch die eingeschnittenen Höfe mit der Landschaft und nimmt die Operationssäle, Intensivstation, Notaufnahme, Radiologie, Fachambulanzen und Dermatologische Klinik auf. Darüber spannt sich als schwebender Gebäuderiegel das Bettenhaus und wird zum Blickfang und städtebaulichen Zeichen, da der Großteil des im Sockel verbauten Volumens mit etwa 70 000 m² BGF optisch zu großen Teilen zurücktritt.

Durch die in den Sockel eingeschnittenen rechteckigen Außenhöfe entstehen fingerartige Bauteile, die den natürlichen Geländesprung sichtbar machen. Die Verzahnung von Innen und Außen funktioniert nicht nur horizontal – auch in vertikaler Richtung schaffen die verglasten Erschließungszonen als Lichthöfe nach oben eine Verbindung zwischen Natur und Baukörper.

Der dreigeschossige 160 m lange Gebäuderiegel des Bettenhauses beherbergt auf drei Ebenen die Pflegestationen mit 235 Betten. Um den Eindruck eines schwebenden Bettenhauses zu erzielen, kragt es rund 8 m stützenfrei über die darunterliegende Glasfassade der Magistrale aus. An dieser für den Entwurf prägenden Kernidee wurde sowohl von Architekten- als auch von Bauherrenseite trotz des wachsenden Kostendrucks und den erhöhten Anforderungen an die Statik festgehalten. „Die durchgängige Verzahnung von Architektur und Landschaftsraum schafft differenzierte Raumgefüge und Analogien zur Stadt. So wird das Krankenhaus vom hochtechnisierten Artefakt zu einem vertrauten Ort.“ (Jürgen Engel)

Der funktionalen Trennung der Nutzungen folgt die separate Besucherführung: Eine 5 m breite Freitreppe führt auf die Promenade und von dort zum zentralen Haupteingang. Mit Sitz- und Verweilmöglichkeiten dient der Empfang als Aufenthaltsbereich für Patienten und Besucher und erlaubt Ein- und Ausblicke auf das Gesamtklinikum oder zu den angrenzenden Grün- und Parkflächen.

Die Zufahrt zur Notfallaufnahme, inklusive Selbsteinweisern, der Liegendkrankenvorfahrt sowie der Anlieferverkehr zum Betriebshof mittels PKW und LKW erfolgt eine Ebene tiefer im Südwesten des Gebäudes. Der Hubschrauberlandeplatz befindet sich auf dem Dach des Bettenhauses. Die unterirdische automatische Warentransport-Anlage vervollständigt den Ringschluss und die Anbindung vom Versorgungszentrum an das Universitätsklinikum. Zur untergeordneten Versorgung ist unterirdisch in Ebene 0 ein Betriebshof angeordnet.

Stadt zum Gesundwerden

Der Neubau wird mit der bestehenden Klinik über einen großzügig gestalteten Foyer-Pavillon verbunden. Als neuer Eingangsbereich übernimmt er mit dem Service Point, der Patientenaufnahme mit Cafeteria und Kiosk zentrale Funktionen für das gesamte Universitätsklinikum. Architekt Engel sieht in seiner Entwurfsidee die Analogie zur Stadt: „Der helle lichtdurchflutete Eingangsbereich mit Patientenaufnahme ist offen gestaltet wie eine Piazza. Hier können die Menschen verweilen.“ Die Magistrale enthält alle senkrechten Erschließungskerne, die zu den verschiedenen medizinischen Bereichen unten im Sockelbau und oben im Bettenhaus verbinden. Als Rückgrat ermöglicht die zweigeschossige verglaste Erschließungsachse kurze Wege, eine klare Zuordnung der Nutzungen und zahlreiche Blickbezüge.

„Menschen sollen ein überschaubares Gebäude vorfinden, mit dem sie sich identifizieren können. Vertraute Bezüge zur Umgebung schaffen eine selbstverständliche Architektur und können Unbehagen und Schwellenängste überwinden.“ (Jürgen Engel)

Begrünte Außenhöfe gliedern den Sockelbau in schmale, lichte Gebäudeflügel. Großzügige Verglasungen ermöglichen Durchblicke und binden die Umgebung mit Blickbezügen ins Gebäude ein. Hier befinden sich die Funktionseinheiten für die „Operative Therapie“ mit zwölf Operationssälen, „Intensivstation“ mit 80 Überwachungs- und Pflegebetten, Tagesklinik mit drei weiteren Operationssälen, Notfallaufnahme, Radiologie, Fachambulanzen sowie die „Dermatologische Klinik“. Gegliedert und rhythmisiert wird die Magistrale durch verglaste Lichthöfe mit angelagerten Erschließungskernen als vertikale Verknüpfung bis zur 6. Etage.

Die „Operative Therapie“ ist in zwei Abteilungen mit je sechs OP-Räumen aufgeteilt. Beide Abteilungen haben einen gemeinsamen Aufwachbereich. Jedem OP-Raum ist ein Einleitungsraum sowie ein Ausfahrtsraum angegliedert wobei jeweils ein Ärzte-Waschraum zwei OP-Räumen dient. Die Ver- und Entsorgung erfolgt aus der in Ebene 0 direkt unter den OP-Bereichen angeordneten Zentralsterilisation. Über Aufzüge im reinen und unreinen Bereich werden die Güter im Ringschlusssystem den OP’s bzw. dem Reinigungsprozess zugeführt. In der Intensivpflege fasst ein Mittelbund die Nebenräume zusammen, so sind sie von beiden Fluren aus zugänglich. Die hier minimierten Flächen kommen den Patientenzimmern zugute. Jeweils mittig angeordnete offene Leitstellen mit angegliederten Pflegearbeitsräumen ermöglichen kurze Wege für das Personal und eine optimale Patientenversorgung. Oberhalb der Magistrale schließt in den Ebenen 4 bis 6 das Bettenhaus mit acht Pflegestationen an.

Mehrdimensionales Farbkonzept

Eine wichtige Rolle spielt das durchgängige Farbkonzept, das über seine gestalterische Wirkung hinaus vor allem als Leitsystem dienen soll: Vom Teppichboden im unteren Bereich, über die Glasbrüstungen und Leitstellen der Pflegestationen bis zu den innenliegenden Licht- und Außenhöfen findet sich der Farbkanon aus Gelb, Orange, Rot und Braun. In den Patientenzimmern findet sich der jeweilige Farbton als gefliestes Farbfeld im Bad wieder und akzentuiert im Zimmer auch die Einbaumöbel.

Die farbigen Fenster der Öffnungsflügel verteilen sich in den unterschiedlichen Farbtönen über die Fassade des Bettenhauses an den Längsseiten. Was von außen auf die Fläche betrachtet ein spannungsreiches grafisches Muster ergibt, kann aus jedem einzelnen Zimmer von innen her betrachtet im Tagesverlauf eine ebenso belebende wie kontemplative Wirkung haben: Die sich je nach Tageszeit und Sonnenstand verändernde Lichtstimmung zeichnet sich auf Wand, Decke oder Boden des Patientenzimmers ab.

Aus den Lichthöfen gelangen Patienten und Besucher zu den Patientenzimmern auf den oberen Stockwerken. Der Landschaftsbezug setzt sich an den transparenten Geländern in den Lichthöfen gestalterisch fort: Die Bäume der Außenhöfe finden hier ihre Fortsetzung in stilisierter grafischer Darstellung der Münchner Grafikerin Valerie Kiock über die drei Etagen der Pflegestationen hinweg.

Durch seine städtebauliche Differenzierung integriert sich das Gebäudekontinuum nicht nur räumlich sondern auch zeichenhaft in den Grünraum und Stadtkörper. Die Magistrale ermöglicht eine effiziente Erschließung und Funktionalität. Gerade im Gesundheitswesen gilt diese nicht als festgeschrieben – Anforderungen an Prozesse wachsen und verändern sich. Für die Zukunft bescheinigten die Preisrichter dem Entwurf „die notwendige räumliche Flexibilität.“ Das Projekt erhielt die „Auszeichnung herausragender Gesundheitsbauten 2013“, ausgelobt von den Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen im Bund Deutscher Architekten (AKG).

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