Altes behüten und mit Neuem „schmerzfrei“ ergänzen

Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Zink
zum Thema „Sanierung“

Für Architekten und Bauingenieure stellt das Thema Sanierung eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Immerhin muss sich ein Architekt mit dem Bestand befassen, obwohl er doch im Grunde ein Entwerfer, ein Gestalter sein möchte. Was aber macht er, wenn sich die Auftragslage mehr und mehr zum Thema Sanierung verschiebt und das dann bitteschön auch noch mit dem Hauptaugenmerk auf Energieeffizienz? Sind wir Architekten schon bereit dafür?

Deutschland hat ca. 42 Mio. Wohneinheiten mit einer durchschnittlichen Größe von 90 m². Da gibt es in Zukunft gewaltig viele Auf­gaben, die es zu gestalten gilt. Die Herangehensweise bei einer Sanierung ist eine komplett andere als beim Neubau: Wer kennt die Geschichte, die Anamnese, wer kennt den baulichen Zustand mit all seinen Tücken? Hier beginnt die eigentliche Frage zum Umgang mit der Bestandsimmobilie. Man kann nicht einfach zwanghaft etwas Neues überstülpen wollen oder gar vorschnell zu dem Schluss zu kommen: „Dann reißen wir das Haus einfach ab, das ist einfacher und rechnet sich ohnehin besser.“ Einige Kollegen werfen das Handtuch, bevor überhaupt mit strategischen und prozessoptimierenden Überlegungen begonnen wird.

Um das Optimale aus dem vorhandenen Gebäude, dem Altbau oder dem Denkmal herauskitzeln zu können, sind folgende Schritte unabdingbar: Zuerst benötigen wir die Anamnese, die Geschichte des Gebäudes. Vielleicht wollen wir auch die Seele, das Herz eines Gebäudes erkunden. Danach folgt die Diagnose, die allumfassend den Zustand des Gebäudes dokumentiert und mit deren Ergebnis sich doch die Analyse der einzelnen Bauteile umsetzen lässt. Was aber, wenn wir nicht in der Lage sind, alles selbst zu analysieren?

Bereits hier beginnt der Prozess der integralen Planung, denn wir schalten, wenn wir klug sind, weitere Experten als Netzwerkpartner ein. Das könnte der Statiker, der Holzschutzgutachter, der Restaurator, der TGA-Ingenieur etc. sein. Je früher der Gebäudezustand auch im notwendigen Detail erkannt wird, desto früher lassen sich Chancen und Risiken erkennen. Mit diesem großen Potential können wir nun getrost auch unsere Kreativität nutzen, immerhin geht es darum, für das Bestandsgebäude eine neue sichere Zukunft zu ermöglichen.

Wir beginnen nun mit der Therapie: Dabei wird es darum gehen, das Alte – wo immer es Sinn gibt – zu behüten und dort, wo es möglich ist, mit dem Neuen „schmerzfrei“ zu ergänzen.

Es muss eine sinnvolle Symbiose sein. Dabei muss man insbesondere auf kulturelle Werte achten, deren Stärken nutzen und mit neuen Materialien und Systemlösungen zukunftsfähig gestalten. Das ist leichter gesagt als getan, denn immerhin sind die Anforderungen an einen sanierten, modernisierten Altbau durchaus sport-lich, schließlich beginnt der Lebenszyklus nach der Sanierung wieder neu, will heißen, weitere 100 Jahre Lebenserwartung verbunden mit einem gehörigen Maß an Energieeffizienz. Eine Aufgabe, die wir mit geschickter Hand und viel Kreativität sowohl ästhetisch als auch technisch meistern müssen.

Allerdings – ohne eine darauf ausgerichtete Ausbildung aller Experten kann das Ziel der gebrauchstauglichen Bestandsimmobilie nicht erreicht werden. Dazu müssen sich sowohl Hochschulen als auch die handwerklichen Ausbildungseinrichtungen gemeinsam auf den Weg machen. Ziel ist, dem Altbau eine sinnvolle, nachhaltige Zukunft zu sichern. Die Herausforderung an uns, die Architekten und Bauschaffenden, besteht darin, die Qualität der Architektur und Technik – vereint mit der sozialen und baukulturellen Verantwortung – sicher zu stellen. Nehmen wir diese Herausforderung an, ist es eine Chance, unsere gebaute Umwelt mit einer nachhaltigen Kreativität zukunftsfähig zu gestalten.

Der Architekt

Ulrich Zink ist Vorstandsvorsitzender des BAKA, hat einen Lehrauftrag an der Hochschule Augsburg und ist Freier Architekt bei Integra Planen und Gestalten GmbH. Geboren 1951 in Künzelsau Baden Württemberg, Architekturstudium in Stuttgart, Mitglied verschiedener Beiräte, Kuratorium Messe München, runder Tisch der Nachhaltigkeit. Buchautor von Stiftung Warentest das gebrauchte Haus, die gebrauchte Wohnung, Mitherausgeber und Autor des Buches die Wärmedämmung VDE Verlag. Initiator und Mitautor Fachbuch Almanach Bauen im Bestand, Entwickler der Gebäudediagnose idi-al, zahlreiche Veröffentlichungen, Beiträge u. a. im dpa Themendienst sowie weitere Projekte und Aktvitäten.

www.bakaberlin.de

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