Büchereiquartier in Spijkenisse/NL

Alles aus einem Stein
Büchereiquartier in Spijkenisse/NL

Trotz mehrmaligem Wechsel des Bauherren, ist MVRDV in Spijkenisse ein Wohnungsbau gelungen, der den Vorort von Rotterdam beleben kann. Das Herzstück des Ensembles bildet eine Bibliothek, um die sich die Wohnhäuser mit ihren unterschiedlichen Grundrissen gruppieren.

Pendlerstadt Spijkenisse

MVRDV gewann 2003 den Wettbewerb für den Bau einer neuen Stadtbibliothek am Marktplatz an der alten Dorfkirche von Spijkenisse. Spijkenisse ist ein Vorort von Rotterdam. Die Stadt liegt etwa 12 km südwestlich von der Rotterdamer Innenstadt und ist an das Rotterdamer Metronetz ange­bunden. Dementsprechend hat sich diese Pendlerstadt mit ihren rund 72 000 Einwohnern in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker um die Metrostation und das dortige Geschäftsviertel entwickelt. Erst seit dem Bau der neuen ­Bibliothek und der erneuten Belebung des historischen Stadtzentrums wird der Marktplatz wieder zum Zentrum für diverse Marktszenarien.

Rund um diesen Marktplatz findet man eine sehr hete­roklite Bebauungsstruktur, die zum Teil noch die Zeichen des ursprünglichen Dorfes tragen. Viele der vorhandenenWiesen und Felder wurden in der Zwischenzeit mit 3- bis 4-geschossigen Wohngebäuden unterschiedlichster Baustile bebaut.

Bibliotheksviertel

Auch die neue Bibliothek und die Wohnbauten von MVRDV wurden auf einer ehemaligen Landwirtschaftsfläche errichtet. Im Zuge der Planung der Bibliothek schlugen die Architekten die Integration der Wohnbebauung in ihr Projekt vor, um eine städtebauliche Einheit zu schaffen. Für das Terrain bestand bereits ein Bebauungsplan und ein Projekt eines Bauträgers für betreutes Wohnen, das allerdings nicht die Erwartungen der Gemeinde erfüllte, weshalb die Stadt den Auftrag für eine Neuplanung an MVRDV vergab.

Auf der Basis des bestehenden Bebauungsplans und der geforderten Bebauungsdichte schlug das Büro ein Wohnbauprojekt vor, das einerseits mit der Bibliothek harmonieren und sich andererseits an die heteroklite Bebauung anpassen sollte. MVRDV schwebte eine Mischung aus mehreren kleinen, dörflichen und größeren, städtischen Bauvolumen vor, die in sich wie ein Dorf wirken sollten. Das Wohnungsprogramm entwickelten die Architekten mit „Woonzorg Nederland“ dem ursprünglichen Bauherrn.

Dieser konnte das Projekt allerdings nicht finanzieren und so sprang die Gemeinde Spijkenisse als Bauherr ein. Die Entwicklung des Grundstücks als ein Projekt war vor allem durch die 2-geschossige, öffentliche Tiefgarage, die das gesamte Terrain einnimmt und von der Bibliothek wie auch von den Bewohnern mitbenutzt werden kann, sinnvoll. Kurz vor der Realisierung kam es zu einem erneuten Bauherrenwechsel. Die lokale Wohnbaugesellschaft De Leeuw van Putten führte das Wohnbauprojekt schließlich aus.

Dorf im Dorf

MVRDV entwarf für das Grundstück eine Dorfstruktur mit mehreren Häusern, die auf den ursprünglichen, ländlichen Charakter und auf die Bauernhöfe der Umgebung hinweisen sollen. Die unterschiedlichen Positionen und die Verschiedenartigkeit der Gebäudevolumen führten zu einer sehr großen Wohnungsvielfalt. Die durchgehende Verwendung eines dunkelroten Backsteins, der sich vom Inneren der Bibliothek über die Zwischenplätze bis in die Loggien durchzieht, soll hingegen die Einheit des neuen Wohnviertels herstellen. Die Giebeldächer der Wohngebäude entsprechen in ihrer Neigung dem Dach der Bibliothek und unterstreichen damit auch die Zusammengehörigkeit der Baukörper. Das Dach der Tiefgarage auf dem alle Gebäude stehen, bildet eine verbindende Platte, die aufgrund des leichten Gefälles an der Südwestseite des Grundstücks, der Seite der Tiefgarageneinfahrt, ca. 1 m über dem Straßenniveau liegt.

Bei der Organisation der Bibliothek sahen MVRDV auch eine kleine Geschäftszone im Erdgeschoss in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohnungseingänge vor. Im Zuge der Umplanung der Grundrisse von Wohnungen für betreutes Wohnen zu Sozialwohnungen konnten einige der Bauvorschriften zugunsten besserer Raum- und Wohnungseinteilungen fallen gelassen werden.

Fünf Blöcke

Entstanden sind letztlich fünf verschiedene Gebäudetypologien: Block A besteht aus vier niedrigen, 2-geschossigen Reihenhäusern mit Giebeldächern. Ursprünglich war pro Haus eine von der Straßenseite bis zum Platz durchgehende Wohnung vorgesehen. Aus Kostengründen wurde allerdings jedes Haus in der Mitte geteilt, wodurch in diesem Block anstatt der ursprünglich vier nun acht Wohnungen untergebracht sind.

Die straßenseitigen Wohnungen werden über eine kleine Freitreppe erschlossen, die Wohnungen an der Rückseite sind über den kleinen inneren Platz zugänglich. Die kleinen 2-Zimmerwohnungen haben im Erdgeschoss ihren Wohn-/Essraum mit einer Kochnische und ein Schlafzimmer mit dazugehörigem Badezimmer im Obergeschoss.

Der 5-geschossige Block B, das höchste Gebäude des Ensembles, liegt an der Kreuzung zweier Straßen, die das Grundstück an der Südwest- und Südostseite begrenzen. Das Wohngebäude besitzt zwei verschiedene Zugänge. Im Erdgeschoss liegen drei 3-Zimmerwohnungen, ein Fahrradabstellraum und zwei allgemeine Abstellräume. Im Geschoss darüber konnten neben den vier 3-Zimmerwohnungen noch zwei allgemeine Abstellräume im Flur untergebracht werden. Die Einteilung der Wohnungen im 2. Obergeschoss sind trotz der gleichen Wohnungsanzahl nicht mit jener im ersten identisch. Durch das Giebeldach verringern sich die Zahl der Wohnungen auf drei 3-Zimmerwohnungen im 3. Obergeschoss und auf zwei 2-Zimmerwohnungen im 4. Obergeschoss. Direkt unter dem Giebel sind technische Installationen untergebracht.

Der 4-geschossige Block C liegt an der hinteren Grundstücksgrenze zu den bestehenden Einfamilienhäusern. Um möglichen Klagen der Nachbarn zuvorzukommen, beschloss die Stadt das ursprüngliche fünfte Geschoss wegzulassen.

Das Gebäude besitzt, ähnlich wie Wohnblock B, zwei gegenüberliegende Eingänge.Im Erdgeschoss befinden sich neben den drei 3-Zimmerwohnungen noch ein Fahrradabstellraum und ein allgemeiner Abstellraum. Jede der Wohnungen hat eine ca. 6 m² große Loggia, aber keinen Garten.

Durch das Wegfallen der vielen Verkehrsflächen im Erdgeschoss wurde es möglich, im 1. Obergeschoss vier 3-Zimmerwohnungen zu organisieren. Die zweiten Schlafzimmer mit einer maximalen Fläche von 10 m² sind als Kinderzimmer vorgesehen. Durch große Dachschrägen verlor man an Wohnfläche, so ließen sich im 2. Obergeschoss wieder nur drei 3-Zimmerwohnungen unterbringen. Das 3. Obergeschoss wird von zwei symmetrischen 2-Zimmerwohnungen eingenommen. Die nach Südosten orientierten Balkone von etwa 10 m² sind architektonisch in die Dachschrägen integriert.

Im Gegensatz zu Wohnblock B gibt es in den Obergeschossen keine allgemeinen Abstellräume, da in diesem Gebäude an ­derselben Stelle die Entlüftungsschächte der Garage eingebaut wurden.

Block D besteht aus zwei 3-geschossigen Häusern mit insgesamt vier Wohnungen.
Im Erdgeschoss befindet sich jeweils eine Wohnung mit einem Wohn-/Essraum, der ­Küche und zwei Schlafräumen. Das 2. und 3.Obergeschoss bilden eine Wohnung mit insgesamt vier Schlafzimmern. Die nach Süd-osten, auf den Platz hin orientierten Wohn-/Esszimmer im 1. Obergeschoss besitzen eine kleine Loggia von ca. 6 m2. In beiden Obergeschossen befinden sich Badezimmer.

Ähnlich wie die Häuser von Block A, ist der Block E eigentlich als Einfamilienhaus konzipiert. Letztlich wurde dieses Gebäude in drei, 2-geschossige Wohnungen unterteilt. Das Haus, das über der Einfahrt der Tiefgarage liegt, zeichnet sich von außen durch ein Spiel mit schiefen Fenstern und Türen aus.

Es liegt im Zentrum der gesamten Anlage.Die drei 2- Zimmerwohnungen haben ihr Wohn-/Esszimmer, die Küche und eine Toilette im Erdgeschoss und ein Schlafzimmer mit Bad im Obergeschoss. Keiner der Wohnungsblöcke hat einen direkten Zugang in die Tiefgarage. Die Wohnungen besitzen keine speziell reservierten Parkplätze in der Tiefgarage.

Architektur

Abgesehen von den kleinen Balkonen der Wohnblöcke B, C und D fehlen der Anlage, so wie sie letzten Endes realisiert wurde, private Außenbereiche oder gemeinschaftliche Grünflächen. Dies erscheint angesichts des ländlichen Kontexts und der relativ geringen Bebauungsdichte unverständlich. ­­Auffallend ist auch, dass die Balkone in den ­Blöcken B und C von Stockwerk zu Stockwerk verspringen, obwohl die Nettowohnflächen dieselben bleiben. Dies führt dazu, dass die Orientierung der Wohn-/Esszimmer und der Balkone nicht optimal sind.

Die von MVRDV im ursprünglichen Konzept vorgestellten kleine Vorgärten und gemeinschaftlich nutzbaren Straßenmöbel im Amsterdamer Stil wurden aus Kostengründen nicht realisiert. Die Freiraumgestaltung übernahm die Gemeinde selbst, die Ideen der Architekten wurden nicht umgesetzt.
Die verschiedenartigen Plätze zwischen den Wohnblöcken wirken leer und unbelebt. Die Realisierung des Komplexes wurde durch das Prozessieren der Anwohner gegen das Projekt um rund 1,5 Jahre verzögert. Der mehrfache Wechsel des Bauherrn und der lange Stillstand der Planung hat vor allem in der Qualität der Sozialwohnungen Spuren hinterlassen. Die Anzahl der zu realisierenden Wohnungen war bei Planungsbeginn deutlich niedriger. Erst im letzten Planungsstadium wurde die Wohnungsanzahl erhöht und damit viele Wohnungen wesentlich verkleinert. Die Grundausstattung der Wohnung umfasste geflieste und möblierte Badezimmer und Toiletten, sowie eine eingerichtete, einfache Küche. Die Fußböden der anderen Räume wurden im Rohbau mit fertigem Estricht übergeben.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 03/2014 Wohnbebauung in den Haag/NL

Wohnen in einer Schatzkiste Wohnbebauung in Den Haag/NL

Städtebaulicher Kontext Block 10 liegt am Erasmusweg im Stadtviertel Den Haag-Moerwijk. Der Erasmusweg ist eine der Einzugsstraßen ins Zentrum von Den Haag. Der von KCAP entworfene Städtebauplan...

mehr
Ausgabe 04/2023 Von Einfalt zu Vielfalt

Wohnungsbau Nekkersput, Gent/BE

Nordwestlich der Genter Innenstadt, im Stadtteil Brugse Poort-Rooigem liegt ein achtgeschossiger Wohnriegel aus den 1960- Jahren in einer ruhigen Wohnstraße mit dreigeschossigen Reihenhäusern...

mehr
Ausgabe 08/2012

Bibliothek mit Ohren Stadtbibliothek, Helmond/NL

Die Stadtbibliothek in Helmond der Architekten BOLLES+WILSON steht in prominenter Nachbarschaft zu den Baumhäusern von Piet Blom aus den 1970er-Jahren. Als erstes fertig gestelltes Bauwerk der...

mehr
Ausgabe 12/2021

Wohngebäude aus dem „Entwurfsbaukasten“

Das Pestel-Institut aus Hannover hat für die Zeit bis 2025 einen ­jährlichen Bedarf von 400?000 neuen Wohnungen ausgerechnet. Tatsächlich schaffte die Baubranche im vergangenen Jahr rund 300?000...

mehr
Ausgabe 11/2018 Ein Stück Stadt in der Höhe

Friends Wohnhoch- häuser, München

Die Zukunft ist urban! Dieser Prophezeiung der Zukunftsforscher ist man in München bislang nur zögerlich gefolgt. Experimente sind nicht gefragt, besonders nicht, was das Wachsen in die Höhe...

mehr