60 % Kündigungsentschädigung möglich: die 60/40-Klausel im Detail

Die Situation ist leider nur zu bekannt. Der Auftraggeber kündigt den Architekten bzw. Ingenieurvertrag im laufenden Projekt. Der Architekt bzw. Ingenieur fordert zur Abnahme seiner erbrachten Leistungen auf und stellt seine Schlussrechnung. Bei einem gekündigten Werkvertrag muss er zunächst die erbrachten Leistungen und die nicht erbrachten Leistungen in der Schlussrechnung voneinander abgrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 4.12.1997 – VII ZR 187/96 = BauR 1998,357) und dann das vereinbarte Honorar entsprechend genau verteilen. Für die mangelfrei erbrachten Leistungen kann er die vollen Honoraranteile ansetzen. Was aber ist mit den offenen Leistungen?

Ohne eine gesonderte vertragliche Vereinbarung, kann der Architekt bzw. Ingenieur nach einer ordentlichen Kündigung des Vertrags für die offenen nicht erbrachten Leistungen nach § 648  BGB (vor 2018: § 649 BGB) grundsätzlich auch das volle, vereinbarte Honorar verlangen.

Hinweis: Die Kündigungsentschädigung nach § 648 BGB muss netto geltend gemacht werden, da sie nicht der Umsatzsteuerpflicht unterliegt, vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2007 – VII ZR 83/05.
Jedoch muss der Architekt bzw. Ingenieur zur Geltendmachung dieses Anspruchs darlegen und beweisen, dass er keine ersparten Aufwendungen oder die Möglichkeit eines anderweitigen Erwerbs hatte, vgl. § 648 BGB. Das müsste sich der Architekt bzw. Ingenieur nämlich von dem Honorar der offenen Leistungen abziehen lassen. Da dies in der Praxis den Architekten bzw. Ingenieur vor große Herausforderungen im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast stellt, wurde in den § 648 BGB eine pauschale Kündigungsentschädigung auch ohne Nachweispflicht für den Architekten bzw. Ingenieur aufgenommen. Demnach kann er 5 % der Vergütung, die auf die offenen und nicht erbrachten Leistungen nach einer ordentlichen Kündigung entfallen, gegen den Auftraggeber pauschal geltend machen. Im Umkehrschluss muss sich also der Architekt bzw. Ingenieur 95 % an ersparten Aufwendungen von seinem Honorar abziehen lassen. Dem Auftraggeber bleibt der schwierig zu führende Beweis, dass die ersparten Aufwendungen des Architekten bzw. Ingenieurs höher als 95 % waren und/oder, dass dieser die Möglichkeit hatte, Honorar aus anderweitigem Erwerb zu erzielen. Dies führt für den Architekten bzw. Ingenieur aus honorartechnischer Sicht zu unbefriedigenden Ergebnissen. Dem Auftraggeber ist es gegenüber den Architekten bzw. Ingenieuren hier nur zu oft möglich, billig aus dem geschlossenen Vertrag wieder ­herauszukommen. Aus diesem Grunde wurde in Abweichung zu § 648 BGB eine Vertragsklausel entwickelt, die dem Architekten statt der gesetz­­­-li­chen 5 % einen Anspruch auf pauschale 60 % Kündigungsentschädigung ermöglicht.

Frühere Versuche einer solchen Klausel scheiterten regelmäßig an der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Die Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes in AGBs war nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer dann unwirksam, wenn dem anderen Vertragsteil die Nachweismöglichkeit abgeschnitten wurde, dass ein Schaden überhaupt nicht entstanden oder wesentlich geringer sei als die vereinbarte Pauschale. Bei vorzeitiger Vertragsbeendigung von Architekten- bzw. Ingenieurverträgen bestand nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs eine vergleichbare Interessenlage, wenn die Klausel die Höhe der Vergütung bei Kündigung regelt. Auch der BGH (Bundesgerichtshof) hatte regelmäßig so entschieden (vgl. insoweit die BGH Urteile vom 25.10. 1984 – VII ZR 11/84; vom 8.11.1984 – VII ZR 256/83; vom 9.7.1992 – VII ZR 6/92; vom 21.12.2000 – VII ZR 467,99; und vom 5.5.2011 – VII ZR 181/10). Den Klauseln, die Gegenstand der vorgenannten Entscheidungen waren, fehlte jeweils die Möglichkeit für den Besteller, Gegenbeweis für einen geringeren Schaden zu erbringen. Zum Beispiel war eine Klausel, die von der Vergütung abzuziehende ersparte Aufwendungen „mit 40 % für die vom Auftraggeber noch nicht erbrachten Leistungen vereinbart“, unwirksam. Der Besteller musste nach dem Wortlaut und erkennbaren Sinn der Klausel davon ausgehen, dass er mit dem Nachweis für höhere ersparte Aufwendungen des Architekten bzw. Ingenieures ausgeschlossen ist. Diese Klauseln scheiterten entweder generell an der fehlenden Möglichkeit des Bestellers, Gegenbeweis zu erbringen oder daran, dass dem Besteller zwar der Gegenbeweis für die ersparten Aufwendungen des Architekten bzw. Ingenieures ermöglicht wurde, nicht jedoch für eine anderweitige Erwerbsmöglichkeit.

Für eine überarbeitete Formulierung einer solchen Klausel hat nun das Oberlandesgericht Köln in einem Hinweisbeschluss vom 12.7.2018 - 16 U 52/18 – grünes Licht gegeben. Den regelmäßigen Lesern unserer Rechtskolumne im DBZ Newsletter ist diese Entscheidung nicht unbekannt geblieben. Die Klausel, die dem Rechtsstreit zugrunde lag, entsprach exakt den gesetzlichen Beweislastregeln des § 648 BGB. Mit dieser Klausel wurde lediglich in Abweichung vom Gesetz die 5%-ige Pauschale auf 60 % angehoben. Dem Besteller blieb es also unbenommen, höhere anrechenbare Kosten oder die Möglichkeit eines anderweitigen Erwerbs des Architekten bzw. Ingenieurs einzuwenden und zu beweisen. Die Klausel stimmte daher mit den Beweislastregeln des Gesetzes überein und schloss nicht etwa die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit des Bestellers aus, eine für ihn günstigere Entschädigungsfolge nachzuweisen.

Auch dass die Klausel statt einer gesetzlich vorgesehenen 5%-igen sogar eine 60%-igen Pauschalentschädigung vereinbarte, verstoße nach der Auffassung des OLG Köln nicht gegen AGB-Recht und sei daher auch aus diesem Grunde nicht unwirksam. Eine unangemessene Benachteiligung des Bestellers sei damit noch nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der § 648 S.3 BGB kein gesetzliches Leitbild für Pauschalierungsabreden dar. Daraus folgt, dass aus dem Überschreiten der Pauschale – die kein gesetzliches Leitbild sein soll – nicht automatisch eine Unangemessenheit folgt. Dies hatte der BGH schon 2011 so festgelegt (vgl. BGH, Urteil vom 5.5.2011 – VII ZR 181/10). Bei einer 60 %-igen Entschädigung für nicht erbrachte Leistungen kann eine Unangemessenheit demnach auch nicht daraus folgen, dass der Architekt bzw. Ingenieur bei einer Kündigung des Vertrags besser stehen würde, als wenn er die Leistungen hätte erbringen müssen. In der baurechtlichen Literatur wird vielmehr seit Jahrzehnten für die Kündigung des Architektenvertrags ein Abzug in Höhe von 40 % für ersparte Aufwendungen als nicht unangemessen bewertet, vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 16. Auflage 2018, Rz.1137; Münchener Kommentar – Busche, BGB, 7. Auflage 2018 § 648 Rz.35. Auch die älteren BGH-Entscheidungen ließen derartige Klauseln nicht an der Höhe der Pauschale sondern nur aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Gegenbeweises des Bestellers scheitern.

Im Ergebnis ist die Entscheidung des OLG Köln also sehr erfreulich für die Architekten bzw. Ingenieure. Die Vereinbarung einer sogenannten 60/40-Klausel für den Fall der ordentlichen Kündigung kann den Besteller davon abhalten, den Vertrag voreilig zu kündigen. Vielmehr kommt das Gebot der gegenseitigen Bauförderpflichten wieder in den Vordergrund, das die Parteien dazu anhält, aufkommende Probleme zunächst einvernehmlich zu lösen. Auch der allseits verbreiteten Teilkündigung von einzelnen Leistungen oder Leistungsphasen kann damit zuvorgekommen werden. Nicht selten ist in den Verträgen enthalten, dass zunächst mehrere Leistungsphasen beauftragt werden, der Besteller aber das Recht hat, nach Vertragsschluss einzelne Leistungen oder auch ganze Leistungsphasen aus dem Leistungssoll des Architekten wieder heraus zu kündigen. Auch hierfür gilt die gesetzliche Regelung des §  648 BGB. Im Vertrag sollte die 60/40-Regelung daher auch auf diese Teilkündigungen bezogen werden.

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