Im Gespräch mit … Kengo Kuma www.bundeskunsthalle.de

Auf gutes Handwerk angewiesen

Zugegeben, die Ausstellung von Arbeiten des Japaners Kengo Kuma mit dem rätselhaften Namen „Onomatopoeia Architecture“ besetzt nicht den Hauptraum der Bundeskunsthalle. Dennoch hat die Ausstellung, die aus Venedig kommt, in Bonn eine sehr eigene Wirkung. Offenbar auch auf die Ausstellungsmacher, die den langgestreckten Raum zum ersten Mal seit langem wieder für Tageslicht geöffnet haben. Wir hatten das seltene Glück, mit Kengo Kuma in der Ausstellung (siehe S. 10) sprechen zu können.

Kuma-san, sie sind heute in Bonn. Kennen Sie die Stadt?

Kengo Kuma Nicht wirklich, für mich ist das hier der erste Besuch in dieser Stadt. Aber Ihr Land kenne ich ein wenig. Vor, ich glaube, 20 Jahren war ich eingeladen worden, ein kleines Teehaus am Kunstmuseum in Frankfurt zu machen.

Und aktuell ein Meditationshaus im bayerischen Wald …

Ja, tatsächlich. Ein Yoga-Haus für ein Hotel, ziemlich mitten im Wald, viel Holz innen und außen drumherum.

Nun sitzen wir jetzt hier und heute in einer postmodernen Architektur des Österreichers Gustav Peichl. Passt die Postmoderne mit ihrem Eklektizismus zu Ihren Exponaten hier in der Ausstellung? Fühlen Sie sich wohl?

Ja, auf jeden Fall. Und wirklich ist das Hiersein eine Art von Déjà-vu. Ich habe in den späten 1970er-Jahren Architektur und Gestaltung studiert, da war die Postmoderne gerade sehr aktuell, eine „heiße Sache“, die wir Jungen geliebt haben. Heute würde ich sagen, dass die Aus­einandersetzung mit der Postmoderne für mich der Zugang zur Baugeschichte war, mit ihr habe ich verstanden, dass sich Geschichte in sich wiederholenden Phasen vollzieht und vielleicht auch einmal eine Art von Resumée braucht?! Ich habe aus meiner Beschäftigung mit der Postmodernen viel gelernt. Heute würde ich sagen, dass diese Bewegung damals notwendig war, damit wir heute dort stehen können, wo wir stehen. Postmodernes Design ist etwas sehr Spezielles, aber es ist zu Ende. Ich selbst sehe ich mich länger schon gänzlich woanders.

Ich verbinde die Postmoderne mit Westeuropa und den USA, weniger mit Japan?!

Wenn wir davon ausgehen, dass die Postmoderne eine Auseinandersetzung mit Geschichte war, dann musste sie in Japan auch eine andere sein! Vielleicht hat sich das Postmoderne bei uns nicht so ausdrücken können wie bei Ihnen, weil sich diese Bewegung von der Tradition der Kontinuität  einer kulturellen Distinktion unterscheidet, die in Japan für sehr wichtig angesehen wird. Die Postmoderne hat sich eher am europäischen Stil abgearbeitet, eine für uns Japaner damals jedenfalls immer auch fremde, fernstehende Kultur.

Die Ausstellung mit dem schönen Titel „Onomatopoeia Architecture“ kommt aus Venedig … Konnten Sie das Biennale-Konzept so einfach nach Bonn transferieren?

(Er lacht) Venedig hatte ein ganz anderes Konzept. Ich kenne Venedig gut, auf der 46. Kunstbiennale 1995 konnte ich die Ausstellungsarchitektur im japanischen Pavillon machen. In kaum einer anderen Stadt in Europa habe ich Stadt und Natur so wunderbar verwoben erleben können. Das ist hier in Bonn völlig anders. In Venedig habe ich mich mit meinen Arbeiten auf Stadt und Natur als Nachbarn bezogen. Mit ihren Geräuschen, mit dem Licht, das in dem alten Palazzo aber eher ein künstliches war.

Der Umzug der Ausstellung nach Bonn bot mir die Chance einer Neuinterpretation der Sicht auf meine Arbeiten, die vielleicht meiner Haltung als japanischem Architekt näher ist. Im Gegensatz zur Ausstellung im Palazzo Cavalli-Franchetti, in der 20 Arbeiten auf verschiedenen Ebenen und sehr separiert präsentiert wurden, konnten wir hier in Bonn die Modelle auf ihren Podesten bei Tageslicht zeigen. Und mit dem fließenden Verändern der Intensität und der Lichtfarben – in einem für uns Japaner bedeutsamen Kontinuum –, geht man nun durch die Ausstellung, die meine Arbeit als Ganzes zeigt. Die Wege durch die Modelle sind dabei sehr subtil vorgegeben, Blickachsen werden angedeutet und verweigert, das Offene konkurriert und harmoniert zugleich mit dem Geschlossenen. Das wurde hier in Bonn ganz wunderbar gemacht.

Das klingt für mich so, als wären Sie in Deutschland anders, vielleicht besser angekommen?

Nein, hier geht es nicht um besser oder schlechter. Venedig und Bonn sind zwei Orte, die zu unterschiedlichen Dinge inspirieren. Aber ich bin schon sehr glücklich, meine erste Ausstellung in Deutschland in diesem Raum in diesem schönen Haus zu haben. Wie es für mich sehr, sehr wichtig ist, in Ihrem Land sein zu dürfen. Ich habe in Europa Arbeiten in Frankreich, Italien, Spanien oder der Schweiz, in Deutschland bisher nur die beiden– ich sage mal – Zeremonienhäuser. Sie werden es vielleicht nicht wissen, aber ich betrachte Bruno Taut als meinen frühen Mentor. Taut hat in den 1930er-Jahren in Japan gearbeitet, mein Vater, der Kunstgegenstände sammelte, besaß eine hölzerne Box von Taut, die ich immer bewundert habe.

Auch, weil hier europäisches Design mit japanischem Handwerk zusammenkommt?

Ja, unbedingt! Die Box ist aus dem japanischen ­Keaki [japanische Zelkove; Be. K.] gemacht, von lokalen Handwerkern in sehr traditioneller Weise. Aus diesem Holz sind viele Dinge des von unseren Traditionen bestimmten Gebrauchs gefertigt, Eßschalen, Bogenschäfte … oder eben Boxen für besondere Dinge. Ein schönes und sehr schwieriges Holz. Bruno Taut hat in Japan viele Dinge gestaltet, Möbel, aber nur ein einziges Haus gebaut, die Kyu-Hyuga-Villa in Atami. Und die steht nur wenige hundert Meter entfernt von einem meiner eigenen Projekte, dem Coeda Haus. Diese Nachbarschaft empfand ich als glückliche Koinzidenz in meiner Beziehung zu Bruno Taut. Seine Bezugnahme auf das Tatami-Maß, seine Bezüge zur Landschaft, sein Versuch, westliche mit japanischer Tradition in ein Objekt zu überführen, das hat mich bis heute stark beeinflusst.

In Deutschland sehe ich zwei bis heute anhaltende Bewegungen: Mies van der Rohe, Gropius, die für eine eher industrielle Fertigung stehen, für Präzision und eben für das Produktive. Auf der anderen Seite und im kompletten Kontrast dazu sehe ich Bruno Taut, auch Hugo Häring, Hans Scharoun, die für den menschlichen Maßstab stehen, für eine Organik, die auf Veränderlichkeit, auch auf Unschärfe zielen … Das letztere hat mich beeinflusst und ist mir bis heute sehr wichtig.

Die Deutschen bewundern japanische Architektur, woran könnte das liegen?

Ist das so? Vielleicht gibt es eine Bezugsebene auf der handwerklichen Tradition, die in beiden Ländern stark ausgeprägt ist. Und dabei ist das Handwerkliche nicht unbedingt in Asien allgemein zu finden; in China oder Korea sehe ich die Verbindung überhaupt nicht. In Japan dagegen ist das Handwerk tief verwurzelt in der Gesellschaft insgesamt. Bis heute finden Sie in jedem noch so kleinen Dorf Handwerker, die ihre Arbeit aus der Tradition beherrschen … Das ist auch gut für Architekten wie mich, der ich absolut auf gute Handwerker angewiesen bin.

Diese selbstverständliche Präsenz ist bei uns nicht immer gegeben, leider. Auf der Pressekonferenz gerade nannten Sie ein Datum, das Ihre Haltung in der Architektur radikal verändert hat.

Sie meinen das Jahr 2011?! Da gab es den großen Tsunami, dessen verheerende Folgen meine Auffassung von Architektur grundlegend verändert haben. Ich war bis dahin in der Gewissheit gefangen, dass Architektur aus Beton mit allem fertig werden könne. Aber die Kraft der Natur hat das in wenigen Stunden widerlegt. Ein großer Schock für mich! Ab da war mir klar, dass ich als Architekt nur mit der Natur arbeiten kann, nicht gegen sie. Den Klimawandel sehe ich auch als eine Art von Protest der Natur gegen den rücksichtslosen Umgang mit ihr.

Und um noch einmal zum Handwerk zurückzukommen: Wenn wir wieder mehr auf das solide Bauen setzen, auf lokales Wissen und lokale Materialien, sind wir als Architekten in der Lage, das wirtschaftliche System, wenn nicht zu erneuern, so doch zu verändern. Wir wissen, dass wir nicht ständig Dinge verbrauchen können, die von irgendwoher herangeschafft werden, ohne dass sie dort ersetzt werden. Die Zusammenarbeit mit dem traditionellen Handwerk sehe ich als große Chance, aktiv auf den Klimawandel zu reagieren. Im Augenblick sind wir mit wenigen großen Bauunternehmen unterwegs, die ihre Gewinne auf keinen Fall mit dem Handwerk teilen wollen. Aber: Je weiter wir aus den Städten und suburbanen Zonen gehen, umso mehr Handwerk finden wir. Vielleicht können wir das in die Städte zurückentwickeln.

Gibt es dafür Hoffnung?

Ja, ich sehe hier sehr positiv einen noch jungen Trend in Japan. Immer mehr Touristen, die Japan als Kulturnation besuchen, suchen das Kulturelle nicht in Tokio oder Osaka oder in den anderen Großstädten. Sie fahren aufs Land, getrieben von der Sehnsucht nach dem Echten. Ob sie das dort auf dem Land finden, sei dahingestellt, aber diese Touristen tragen dazu bei, dass diese Regionen an einem neuen ökonomischen Aufschwung teilhaben, eben weil sie der Globalisierung Authentizität und eigene, robuste, auf den Ort bezogene Fähigkeiten entgegenhalten.

Wenn wir ein Teehaus brauchen, bestellen wir das bei einem japanischen Architekten, ein Bürogebäude bei einem deutschen. Wie sieht  ein Büroturm von Ihnen anders aus als der vom deutschen Kollegen?

Wir haben schon einge Bürotürme geplant und gebaut, wir machen nicht nur die kleinen Pavillons, wie Sie sie hier in Deutschland sehen! Aber tatsächlich versuchen wir unsere Haltung auch in diese Großprojekte einfließen zu lassen, was, wie Sie sich vorstellen können, nicht einfach ist. Andere Oberflächen, andere Raumhöhen, veränderte Fassaden, neue Materialien, alles das spielt bei uns eine Rolle.

Aber gebaut wird noch in Beton?!

Ja, gebaut wird noch in Beton, ein Hochhaus komplett aus Holz zu machen, halte ich für nicht unbedingt zielführend. Bei unserem Museum in Tokio wollen wir den Fußboden – Beton! – mit Tatami belegen … in einem Museum! Die meisten sind davon begeistert und es ist klar, dass Welten zwischen dem Sitzen auf einer Tatami-Matte und auf Estrich liegen! Ich hoffe, dieser Bodenbelag wird realisiert … in einem Museum!

Die deutsche Architektur wird gerade vom Schlagwort „Nachhaltigkeit” bestimmt. Der Begriff ist recht alt, die dahinter stehende Erkenntnis – dem Forst nur soviel entnehmen, wie er reproduzieren kann – setzt sich als ein die gesamte Ökonomie betreffendes Paradigma aber nur sehr langsam durch.

Das ist bei uns in Japan ähnlich. Nachdem wir jahrzehntelang Holz aus Kanada oder China importiert haben, weil es deutlich günstiger ist als das heimische, hat sich die Infrastruktur einer regelrechten Holzbewirtschaftung nicht weiterentwickelt. Wir bekommen das Holz also auch heute nicht zu konkurrenzfähigen Preisen aus dem Wald! Meine Auftraggeber, mit denen ich Holzhäuser baue, bestehen immer noch auf dem deutlich günstigeren Holz aus Russland oder Kanada … Dass mit dessen Transport klimaschädliches CO2 in die Atmosphäre geblasen wird, wird meist mit dem Hinweis auf die Verwendung von Holz in der Architektur übertüncht. Wir brauchen hier dringend eine CO2-Abgabe. Also: Lokales Holz nehmen, das zahlt sich vielfach aus.

Glauben Sie, dass Ihre Ausstellung und die damit verbundenen Botschaften mehr als nur ein Fachpublikum erreichen?

Auf jeden Fall. Sehen Sie, hier in Bonn werden meine Arbeiten in einem viel weiteren Kontext gezeigt. Menschen, die andere Ausstellungen besuchen, werden auch die „Onomatopoeia Architecture“ anschauen. Vielleicht zufällig, von Neugier getrieben. Die sehr plastischen, haptisch ansprechenden Modelle kommen, davon bin ich überzeugt, der Sehnsucht nach Berührung sehr entgegen. Die Detaillierung, die Materialisierung in den Modellen macht sie nah, erzeugt Emotio­nen etc.. Um die zu spüren, muss ich nicht unbedingt Architekt sein. Auch sind ja einige der gezeigten Arbeiten plastisch, skulptural, sehr präsent …

Anfassen verboten! Ich hatte auch den Eindruck, dass die auf den Sockeln platzierten Modelle und ebenso die frei im Raum sich entfaltenden Materialskulpturen auch Kunstobjekte sein könnten?!

Ja, durchaus. Wir sprachen ja gerade darüber, über das Material, Holz, Beton, Glas … Alles das ist wichtig für uns Menschen, wichtiger denn je in diesen Zeiten, die die Wirklichkeit auf Smartphone-Bildschirmen anbieten, auf immer den gleichen, abwischbaren Hochglanzoberflächen. Das erleben die Besucher hier nicht, ich würde sagen: im Gegenteil!

Jetzt haben wir gar nicht mehr über das Lautmalerische gesprochen … Wohin wird die Ausstellung nach Bonn gehen?

Meine „Onomatopoeia Architecture“ ist nicht in wenigen Sätzen erklärt. Ich bin mir sicher, dass die Besucher den Lautklang meiner Projekte am besten und vielleicht nur hier in der Ausstellung erfahren können, das „Sara Sara“, „Zara Zara“, oder das „Pata Pata“ etc. Wenn wir Architektur wieder näher an uns Menschen herankommen lassen, können wir wieder langlebige Häuser bauen, die wir langsam bauen. Diese Häuser sind gut zu uns und gut für die Gesellschaft und das Ökosystem Erde.

Wohin die Ausstellung gehen wird? Ich wurde in Venedig von Kroatien angesprochen und ja, die Ausstellung ist 2025 in Zagreb zu sehen. Wie sie dort stehen wird, wie sie wirkt? Ich bin gespannt!

Mit dem japanischen Architekten Kengo Kuma unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 7. März 2024 in der Bundeskunsthalle Bonn, auf  Englisch.

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