Aus der Rechtssprechung

60 Tage Prüffrist gibt’s nicht immer

LG Berlin, Urteil vom 07.09.2023 - 12 O 225/20

Die Regelung des § 16 Absatz 3 Nummer 1 Satz 2 VOB/B, wonach sich die Frist für die Fälligkeit des Anspruchs auf Schlusszahlung auf bis zu 60 Tage verlängert, wenn dies vereinbart wurde und aufgrund der besonderen Merkmale der Vereinbarung sachlich gerechtfertigt ist, ist unwirksam, wenn keine die Fristverlängerung rechtfertigenden Umstände (z. B. die besondere Komplexität des Bauvorhabens) vorliegen.

Der Sachverhalt:

Auf Grundlage eines VOB-Bauvertrags stellte der Auftragnehmer dem Auftraggeber seine erbrachten Leistungen in Rechnung. Innerhalb der 21-tägigen Prüffrist erfolgte keine Zahlung auf die vom Auftragnehmer gestellte Abschlagsrechnung. Nach Ablauf von 30 Tagen nach Rechnungsstellung berief sich der Auftragnehmer auf sein Leistungsverweigerungsrecht und setzte die Arbeiten aus. Kurz darauf leistete der Auftraggeber die Zahlung auf die Abschlagsrechnung des Auftragnehmers. Im anschließenden Werklohnprozess fordert der Auftragnehmer vom Auftraggeber die Erstattung der durch die Arbeitsunterbrechung entstandenen Stillstandskosten gemäß § 642 BGB. Der Auftraggeber entgegnet, dass die Abschlagsrechnung nicht fällig gewesen sei und die Leistungseinstellung unberechtigt war, da eine 60-tägige Prüffrist vereinbart gewesen sei. Der Auftragnehmer hält diese Vereinbarung für unwirksam.

Die Entscheidung:

Mit Erfolg. Dem Auftragnehmer steht gegen den Auftraggeber ein Anspruch auf Zahlung der infolge seiner Leistungseinstellung entstandenen Stillstandskosten aus § 631 BGB in Verbindung mit dem Bauvertrag zu.

Der Auftragnehmer habe gemäß § 16 Absatz 3 Nummer 3 Satz 2 VOB/B berechtigt ein Leistungsverweigerungsrecht ausgeübt, weil sich der Auftraggeber in Verzug mit der Begleichung der Abschlagsrechnung befand. Die Verlängerung der Nachfrist auf 60 Tage nach Rechnungslegung bis zum Eintritt des Verzuges sei nicht wirksam vereinbart. Diese Klausel verstoße vor diesem Hintergrund gegen §§ 308 Nummer 1 a BGB. Sie sei gemäß § 305 BGB unwirksam. Der Auftraggeber habe insoweit nicht dargetan, dass besondere Umstände eine solche Verlängerung gerechtfertigt hätten.

Ausnahmsweise könne sich die Frist nach § 16 Absatz 3 Nummer 1 Satz 2 VOB/B auf bis zu 60 Tage verlängern. Dies setze neben einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien voraus, dass die Fristverlängerung sachlich gerechtfertigt sei, z.B. durch besondere Komplexität des Bauvorhabens. Eine besondere Komplexität sei vorliegend jedoch nicht anzunehmen. Das Bauvorhaben sei vom Auftragnehmer in Umfang und Komplexität als durchschnittlich eingestuft worden. Soweit sich der Auftraggeber darauf berufen habe, die Abrechnung hätte zunächst durch die Bauleitung als auch durch den Projektsteuerer geprüft werden müssen, ehe sie zur Zahlungsfreigabe an die zuständige Stelle des Beklagten weitergeleitet worden sein, sei nicht ersichtlich, dass dieser Vorgang notwendig länger als 30 Tage in Anspruch nehmen müsse. Die Prüfungen durch die Bauleitung hätten im Regelfall nur eine Woche benötigt. Die Plausibilitätsprüfung des Projektsteuerers hätte parallel erfolgen können. Ein Zeitbedarf von mehr als drei Wochen bis zur Freigabe durch die zuständige Stelle sei daher nicht nachvollziehbar.

Praxishinweis:

Stellt der Auftragnehmer seine Leistung aufgrund eines Zahlungsverzugs des Auftraggebers - wie vorliegend - berechtigterweise ein, kann er die Stillstandskosten, die ihm dadurch entstehen, dass er seine Mitarbeiter nicht produktiv einsetzen kann, auf der Grundlage seiner Stundenverrechnungsätze abzüglich des kalkulierten Gewinns berechnen.

Macht der Auftragnehmer eine Entschädigung nach § 642 BGB geltend, ist die Vorlage einer bauablaufbezogenen Darstellung des Stillstands nur dann erforderlich, wenn die Behinderung auf andere Weise nicht nachvollzogen werden kann

Entgegen gängiger Praxismeinungen bedarf es nach 30 Tagen nach Rechnungsstellung keiner gesonderten Mahnung, um den Schuldner in Verzug zu setzen (dass ein Hinweis hier oft sinnvoll sein kann, steht auf einem anderen Blatt). Der Schuldner gerät spätestens 30 Tage nach Rechnungsdatum in Verzug (§ 286 Absatz 3 BGB und § 16 Absatz 5 Nummer 3 Satz 4 VOB/B), wenn die VOB/B vereinbart ist. Und nur, wenn eine Komplexität der Maßnahme dargelegt werden kann, ist die Regelung des § 16 Absatz 3 Nummer 1 Satz 2 VOB/B einschlägig. Wenn mehrere Parteien mit der Rechnungsprüfung beauftragt sind, sollte der Bauherr darauf achten, die Prüffristen einheitlich zu koordinieren, um Missverständnisse und potenzielle Regressansprüche zu vermeiden.

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