Urbach Turm, Remstal

Zur Remstal Gartenschau 2019 ist der erste aus selbstgeformten, großformatigen Bauteilen bestehende Holzturm entstanden. Die Institute der Universität Stuttgart, das ICD und das ITKE, machen sich dafür das Schwinden des Holzes zu nutze.

URBACH_TOWER_Photos
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

In Remstal steht ein 14 m hoher Holzturm. Ein Unikat seiner Art. Denn seine großformatigen Bauteile sind selbstgeformt. Achim Menges und Jan Knippers sind Professoren an der Architekturfakultät der Universität Stuttgart. Sie arbeiten schon seit mehreren Jahren zusammen an robotisch gefertigten Holzschalenkonstruktionen und schalungslosen Verbundwerkstoffen.

URBACH_TOWER_Photos_
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Selbstformende Holzbauteile
Mit dem Holzturm in Remstal ist ihnen gelungen, einen Prozess zu entwickeln, bei dem der Werkstoff sich ganz von selbst formt. Die Formänderung wird allein durch das Schwinden des Holzes bei abnehmenden Feuchtigkeitsgehalt erreicht. Ohne energieintensive mechanische Umformprozesse biegen sich die Brettsperrhölzer autonom in vorausberechnete gekrümmte Formen. Diese natürliche Veränderung wird genutzt, um die 5 x 1,2 m langen, als flache Paneele geplante Bilayer aus Fichtenholz in Form zu bringen. Die Bilayer aus Fichtenholz haben eine hohe Holzfeuchte und einen spezifischen Schichtaufbau (10-30-10-30-30-10). Mit den spezifischen Eigenschaften des Holzes und einem industriellen standardisierten Trocknungsverfahren wird die präzise Krümmung möglich. Achim Menges und Jan Knippers mit ihrem Team nutzen dazu digitale Materialmodelle, die das feuchtigkeitsbedingte Quellen und Schwinden des Holzes, genauer voraussagen können.  

URBACH_TOWER_Process_ Flache Bilayer im Trockenofen bei der Lehmann Holzwerk AG
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Flache Bilayer im Trockenofen bei der Lehmann Holzwerk AG
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Die Herstellung des Urbachturms
Die präzise Vorausberechnung und die optimale Faserausrichtung im Herstellungsprozess zahlt auf die Fertigung ein. In gerademal 90 Minuten Maschinenzeit wird jedes einzelne Bauteil mit 15 m Länge, mit einem Radius von 2,40 m und einer Dicke von 90 mm gefertigt. Drei Bauteile sind aus Halbzylinderrohlingen 5-achsig CNC-gefräst; mit Wassersperre und Oberflächenbehandlung aus Titanoxid-UV-Schutz bilden sie eine Baugruppe.

URBACH_TOWER_Process_ Gebogenes CLT-Bauteil wird für das 5-Achs-CNC-Fräsen bei der Blumer Lehmann AG vorbereitet
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Gebogenes CLT-Bauteil wird für das 5-Achs-CNC-Fräsen bei der Blumer Lehmann AG vorbereitet
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Die Herstellung kann eine Unternehmensgruppe übernehmen. Das ist wichtig, denn dasselbe Unternehmen und der gleiche Standort, reduziert graue Energie und ermöglicht eine nachhaltige sowie innovative Produktion.

Selbstformende Technologie im Gebäudemaßstab
Innerhalb eines Tages ist der 14 m hohe Urbachturm aufgebaut worden. Aus 12 gekrümmten Bauteilen aus Brettsperrholz, verbunden mit kreuzweise angeordneten Vollgewindeschrauben, ohne aufwendige Gerüste und Schalungen, innerhalb eines Tages.

URBACH_TOWER_Transport_and_Assembly_ Aufbau des Urbachturms
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Aufbau des Urbachturms
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Achim Menges und Jan Knippers zeigen gemeinsam mit ihrem Team, wie sich die selbstformende Fertigung nahtlos in bestehende industrielle Holzverarbeitungs- und Fertigungsabläufe integrieren lässt. Und beweisen die Umsetzung der selbstformenden Technologie für Holzbauteile im Gebäudemaßstab.

URBACH_TOWER_Transport_and_Assembly_ Aufbau des Urbachturms
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart

Aufbau des Urbachturms
Foto: ICD/ITKE University of Stuttgart


Porjektteam

ICD – Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung, Universität Stuttgart
Prof. Achim Menges, Dylan Wood
Architektonischer Entwurf und Planung
Selbstformende gekrümmte Holzelemente Forschung und Entwicklung
 
ITKE – Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen, Universität Stuttgart
Prof. Jan Knippers, Lotte Aldinger, Simon Bechert
Tragwerksentwurf und Planung
 
Forschungs- und Industriepartner:
Angewandte Holzforschung, Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt), Schweiz & Holzbasierte Materialien, ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich), Schweiz
Dr. Markus Rüggeberg, Philippe Grönquist, Prof. Ingo Burgert
Selbstformende gekrümmte Holzelemente Forschung und Entwicklung (PI)
 
Industriepartner:
Blumer-Lehmann AG, Gossau, Schweiz Katharina Lehmann, David Riggenbach
Holzbau Herstellung und Ausführung
Selbstformende gekrümmte Holzelemente Forschung und Entwicklung

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 11/2019

Urbach Turm – Architektonische Landmarke aus selbstgeformtem Holz

Urbachturm, Remstal, Teilansicht

Der Urbach Turm ist in doppeltem Sinne eine Landmarke. Als eine von 16 Stationen, die anlässlich der Remstal Gartenschau von verschiedenen Architektinnen und Architekten realisiert wurden, liegt das...

mehr
Ausgabe 06/2024

Wangen Turm

Eingebettet in die Landschaft des Westallgäus ist der Wangen Turm ein architektonisches Wahrzeichen und ein wegweisender Holzbau für die Landesgartenschau 2024. Basierend auf der Forschung des...

mehr
Ausgabe 06/2024 Im Gespräch mit … Jan Knippers und Achim Menges, Stuttgart

Dem Material einen größeren Mitgestaltungsanteil einräumen

Kleine Provokation zu Beginn: Wie lange wollt ihr noch auf Bundes- oder Landesgartenschauen aktiv sein, um einmal zu sagen: „Wir haben genug ausprobiert, jetzt gehen wir in die Praxis und machen...

mehr
Ausgabe 09/2022

Faserfassade am Texoversum, Reutlingen

Die heimische Textilindustrie hat sich aufgrund der zunehmenden globalen Konkurrenz mehr und mehr den technischen Textilien zugewandt. Diese sind von wachsender Bedeutung für verschiedenste...

mehr
Ausgabe 07/2014 Forschungspavillon ICD/ITKE, Stuttgart

Schalungslose Faserverbundwerkstoffe Forschungspavillon ICD/ITKE, Stuttgart

Fliegende Käfer haben hochfeste und dennoch leichte Deckflügelschalen – Elytren genannt – die ihren Hinterleib schützen. Mithilfe der Mikro-Computertomographie in dreidimensionale Modelle...

mehr