Spielen in der Stadt

Vortag und Diskussion über kinderfreundliche Stadtgestaltung am 11. Juni 2009, Naumburg, ein Nachbericht von Dipl.-Ing. Ruth Esther Gilmore

Die Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer in Leipzig, Inge Kunath, sowie die Verfasserin des nachfolgenden Artikels waren vom Stadtplanungsamt Naumburg als Referenten eingeladen, um über die spannende Arbeit von und mit Kindern bei der Planung von Städten zu sprechen. Hier folgend der Nachbericht:

Kinderfreundliche Stadtgestaltung von und mit Kindern                   

Der Naumburger Vortragsabend der Internationalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 zum Thema „Kinderfreundliche Stadtgestaltung von und mit Kindern“ wurde mit einer Ausstellung der Entwürfe für eine kinderfreundliche Planung des Umfeldes des Jugendhauses Fischgasse kombiniert. Die Kinder aus dem Naumburger Domgymnasium (Klasse 6a) haben bei dem ersten Kinderbeteiligungsprojekt „Orte der Kommunikation“ ihre Stadt mitgeplant. Ausführlich erklärten die Kinder ihre Arbeiten und gaben Einblicke in die unterschiedlichen Entstehungsphasen.

Der Einfallsreichtum der Kinder war grenzenlos. Feuerstellen, Indianerzelte, schräge Minigolfanlagen, Graffitiwände mit gesprühten Lebensweisheiten und mit Fischen gestaltete Bewegungsräume waren einige Kinderideen. Ebenfalls abwechselungsreiche, schattige Ruhezonen, um sich mit Freunden zurückzuziehen, waren auf der Wunschliste und haben bei den Erwachsenen für Überraschung gesorgt. Denn meistens assoziiert man Ruhezonen recht selten mit Kindern. Das Vorurteil der Erwachsenen, dass Kinder sich nur mit quirligen Aktivitäten austoben wollen, wurde schnell widerlegt. Sogar eine Abschirmung gegenüber Lärm, sei es von der Straße oder von anderen Lärmquellen, hat bei Kindern einen hohen Stellenwert auf der Prioritätenliste. Darüber hinaus wurde ersichtlich, dass die „uralten“ Spielgeräte wie Sandkasten, Rutsche und Schaukel inklusiv Wipptiere bei den Kindern keine Anziehungskraft mehr besitzen.

In Magdeburg Neu-Reform arbeitete ich fünf Monate mit Kindern aus der katholischen Gemeinde St. Sebastian und St. Adalbert, der Grundschule Ottersleben, dem Geschwister-Scholl-Gymnasium, der IGS „Willy Brandt“, der Sekundarschule A. W. Franke und der Lindenhofschule zusammen. Bei den Kinderbeteiligungswochen 2008 entstanden photographisch und in Modellform die unterschiedlichsten Vorstellungen für eine neue kinderfreundliche Stadtplanung in Neu-Reform. Durch den geplanten Rückbau von Plattenbauten in Magdeburg Neu-Reform und die Straßenbahnverlängerung entsteht ein neues Raumgefüge, das den Stadtteil nachhaltig verändert. Wenn ein neuer Bereich geplant wird, ist es immer wichtig, die Kinder bei der Planung mit einzubeziehen, denn sie wissen am besten, wie sie sich ihre Umwelt tagtäglich aufs Neue aneignen. Gerade Kinder sind Ästhetiker und legen größten Wert auf Sauberkeit und Schönheit ihrer Umgebung. Unabhängig davon in welcher Stadt ich mit Kindern gesprochen habe, wurde es zunehmend deutlich, dass Kinder einen geschärften Blick für soziale Belange haben. Nicht nur Wünsche und Ideen für sich selber wurden entwickelt, sondern die Kinder haben stets für Erwachsene mitgedacht. In Magdeburg Neu-Reform entwickelten die Kinder ein Novum: eine „Säufer-Ecke“ für die Betrunkenen. Ein Gedanke, der bis heute in keiner Stadtplanung vorkommt! Denn trotz Begleitung der Erwachsenen fühlten sich die Kinder während der Kinderbeteiligungswochen von einigen betrunkenen Jugendlichen und Erwachsenen bedroht. Darauf hin überlegten sie, dass es notwendig ist, schon im ersten Entwurfsstadium an diese Nutzergruppe zu denken. Wenn ein Platz für die Betrunkenen geschaffen wird, so ihre logische Schlussfolgerung, sind dann die Kinderbereiche vor diesen geschützt.

Als Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer in Leipzig hat Frau Inge Kunath in ihrem Vortrag das Spielraumkonzept in der Innenstadt Leipzigs dargestellt. „Basierend auf den Erkenntnissen des Kinder- und Familienberichts aus dem Jahre 1999 soll Spielen überall dort möglich sein, wo keine Gefahren bestehen. Die Grundlage dafür bildete das Konzept autoarme Innenstadt. Künftig sollen Kinder und Jugendliche beim Besuch der Innenstadt Leipzig vielfältige Spielmöglichkeiten an verschiedenen Orten in der Innstadt sozusagen “am Wege“ vorfinden, die zum Entdecken und Bespielen anregen“, sagte Frau Kunath. Die Kinder von Leipzig beteiligen sich nicht nur bei Spielraumwerkstätten, sondern bilden auch die Kinderjury und stimmen so über die Entwürfe der Architekten ab. So entsteht in diesem Jahr ein von den Kindern und dem Künstler Jan Viecenz gemeinsam geschaffenes Labyrinth in der Reichsstraße mitten in der Stadt Leipzig.

„Das Spielraumkonzept Innenstadt Leipzig trifft in den Steckbriefen Aussagen zur Bespielbarkeit, zur Aufenthaltsqualität und gibt Prioritäten und Schwerpunkte für eine schrittweise Umsetzung vor. Es beschränkt sich deshalb räumlich auf die innerhalb des Promenadenrings gelegene historische Altstadt Leipzigs einschließlich des Promenadenrings selbst“, erläuterte Frau Inge Kunath.

Meiner Meinung nach ist eine Kinderbeteiligung nicht einmalig, sondern ein begleitender demokratischer Prozess. Diese Pionierarbeit wird in den nächsten Jahren größere Beachtung bei der Schaffung von weichen Standortfaktoren für Städte finden. Dabei gilt sowohl in Naumburg als auch in Magdeburg Neu-Reform, dass die Ergebnisse der Kinder- und Jugendprojekte zügig umgesetzt werden müssen. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist bei Kindern und Jugendlichen ein Jahr schon eine halbe Ewigkeit.

Die Autorin verfasst zurzeit bei Frau Prof. Dr. Barbara Zibell an der Fakultät Architektur und Landschaft an der Leibniz Universität Hannover und bei Prof. Dr. Jens Dangschat an der TU Wien ihre Doktorarbeit über Innovative Wege einer kinderfreundlichen Stadtplanung in deutschen Städten am Beispiel von Magdeburg, Cloppenburg und Neuwied. Kontakt unter montaggio@gmx.de.

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