“Reporting from the Front” Frontberichte in Venedig

Anderthalb Monate im Amt verkündet der künstlerische Leiter der 15. Architekturbiennale Venedig, Alejandro Aravena, ein auf den ersten Blick markiges Motto

Architektur macht Arbeit und sie macht, wird sie gebaut, Dreck. Aber muss man solches Arbeiten mit dem Begriff der Front zusammenbringen? Ist die Arbeit im Büro, selbst die auf der Baustelle, nicht noch immer und hoffentlich für immer, frei von Lebensgefahr? Der aktuelle künstlerische Leiter der 15. Internationalen Architektur Ausstellung in Venedig, der chilenische Architekt Alejandro Aravena sieht das womöglich anders, auf Pressekonferenzen ist er einer der wenigen international arbeitenden Planer, die die gegenüberstehende Bauherrschaft auch mal als Bedrohung empfunden hat. Aufgebrachte, wütende Bürger in einem Land, in dem Armut unübersehbar und Reichtum sich besonders deutlich in der Armut spiegelt.

Als Gründer von “Elemental“ hat Aravena viele Projekte realisiert, die im so genannten sozialen Brennpunkt standen, in Problemvierteln, am suburbanen Rand, am Rand von allem. Und hier haben er und sein Team wunderbare Arbeit geleistet, die viel zu wenig bekannt gemacht wird (wir haben darüber zuletzt in einer Buchrezension geschrieben). Und weil Aravena weiß, dass er mit dieser Arbeit nicht alleine dasteht und weil er weiß, dass diese Arbeit auch für uns, im satten Europa, Bedeutung hat und mehr und mehr bekommen wird, ruft er alle Architekten dieser Welt dazu auf, von Erfolgsstories vom Rand zu berichten. Nicht vom Rand der Welt, sondern vom Rand  der Wahrnehmung.

Aravena beschreibt seinen Ansatz wie folgt:

„Reporting from the Front“ möchte Projekte in der Welt bekannt machen, die mit Wenigem die meiste Qualität erreichen, unter schweren äußeren Bedingungen und drängenden Herausforderungen. Oder braucht es, um Speerspitze zu sein in der Eroberung ganz neuer (Arbeits-/Denk)Felder?

Wir wollen von den Architekten lernen, die trotz eingeschränkter Möglichkeiten und dem Mangel an Mitteln das verarbeiten, was vorhanden ist und nicht darüber jammern, dass etwas fehlt.  Wir möchten verstehen lernen, welche Gestaltungsmittel wir benötigen, um die Kräft zu unterlaufen, die das individuelle Ziel über das der Gemeinschaft halten. Wir möchten gerne von Beispielen erfahren, die dem Reduktionismus und der Übervereinfachung widerstehen und nicht die Mission verraten, die die Architektur gegenüber dem menschlichen Dasein vertritt.

Wir wünschen uns keinen „REPORT FROM THE FRONT” als eine Chronik passiven Zuschauens sondern wir möchten lebendige Zeugnisse davon, wie Menschen hier und jetzt ihren Weg gehen. Wir möchten Hoffung und Wut ausbalancieren. Der Kampf für eine bessere Architektur ist weder ein qaulvoller noch ein romantischer Kreuzzug. [...]

Wir werden Projekte und Büros zeigen, die mit Kreativität das Risiko eingehen, vielleicht nur einen winzigen Fortschritt zu erreichen, denn wenn das zu lösenden Problem riesig ist, ist ein auch nur ein Millimeter großer Fortschritt von Bedeutung; was wir brauchen ist eine veränderte Wahrnehmung von Erfolg, denn die Erfolge an der Frontlinie sind relativ und nicht absolut zu bewerten.

Wir sind uns sehr bewusst, dass der Kampf für eine bessere gebaute Umwelt eine kollektive Anstrengung ist die jedermanns Kraft und Kenntnisse erfordert. Darum wollen wir eine Biennale, die alles umschließt, die Geschichten zu Gehör bringt, Gedanken und Erfahrungen, die aus den unterschiedlichen Lebenshintergründen kommen: Denen der Architekteen, der Zivilgesellschaft, den Tonangebern, den Nationen Pavillons. 

So soll die 15. Internationale Architektur Ausstellung auf die Balance zwischen Intelligenz und Intuition konzentrieren und daraus lernen, um dem Status Quo zu entkommen. Wir möchten Projekt zeigen, die trotz aller Schwierigkeiten (oder gerade wegen dieser) nicht in Resignation oder Verbitterung endeten, sondern im Gegenteil für eine Zukunft aktiv geworden sind. Wir möchten zeigen, dass in einer permanenten Debatte über die Qualität der gebauten Umwelt nicht nur Zwang steckt, sondern vor allem Raum für Handeln.“

Da können wir alle gespannt sein, welche Büros welche Projekte einreichen. Da Aravena und sein Thema auch Gastgeber sind, bleibt die Spannung ebenfalls hoch, wen er in den Zentralpavillon bitten wird. Der Anspruch ist riesig! Be. K.

15. Architekturbiennale Venedig

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